Neu im Buchregal

Lesen als Körpertechnik für Geübte

27. Februar 2015
von Börsenblatt
Michael Schikowski liebt Bücher – und macht keinen Hehl daraus, ein konservatives Verhältnis zur Buchkultur zu besitzen. In seinem Großessay „Warum Bücher?“ macht der ausgebildete Buchhändler, studierte Germanist und Blogger (!) seiner Abscheu gegenüber der Digitalkultur auf herrliche Weise Luft.

„Viele Dinge sind ausgereift und man kann sie kaum verbessern. Der Stuhl, die Tasse sind perfekt (…) weil sie eine Form gefunden haben, die dem Leib entspricht. Die Tasse für den ersten Durst. Die Menge ist ausreichend und doch schon ein wenig abgekühlt. So ein Gegenstand ist gewiss auch das Buch. Es ist perfekt und nicht verbesserungsfähig", schreibt Schikowski. Das Schönste an seinem Buch, einem Buch über die Buchkultur, ist sein ernsthafter Versuch, die Veränderung der Lesekultur als soziales Phänomen zu begreifen. „Die Selbstverständlichkeit der Buchkultur", resümiert Schikowski, „ist verloren." Das Buch ist es - in Zeiten des E-Books - noch lange nicht.

Was die Körperlichkeit des Buches in aller Konsequenz für einen Wert und eine Wertschöpfungsmöglichkeit – auch im kulturellen Sinn ermöglicht – das alles bringt Schikowski herrlich auf den Punkt.

Er ordnet, unterscheidet und gewichtet: Verschiedene Typen und ihre Stellung zum Digitalen, beispielsweise: von buchlosen Hip-Tuern über pragmatische Verwalter der Buchdämmerung bis zu den Tempelhütern des Analogen, zu denen er sich mit Augenzwinkern selbst zählt. Haupteigenschaften des physischen Buches, die es von Digitalisaten abheben und überlegen machen, werden da beschworen:

Die besondere Konvention und Fähigkeit der Weltdarstellung, für die Geduld notwendig istdie körperliche Form, die ein eigenes Leseerlebnis ermöglichtund zu guter Letzt das Buch als soziales Medium

Er verhöhnt die Arroganz des Digitalen ebenso wie den in seinen Augen hilflosen Versuch des „Verbandskastens", den nicht zu stoppenden kulturellen Wandel zu gestalten. Er schüttelt sich vor Furcht über die Macht der Digitalkonzerne, die gewiss nicht als Wohltäter in die Welt des Buches und des Handels mit Büchern eingestiegen sind und das Medium und die Lesekultur nachhaltig verändern.

Ein Leser, der seinen E-Reader genauso wenig hergeben möchte wie seine Bücherwand abzuschaffen, erscheint manches allzu katzenjammerisch und schwarzgemalt. „Die Tür zur Buchkultur schließt sich langsam. Zu folgern, dass das, was vergeht, verdiene zu vergehen, ist ehrlos und schäbig. Es ist eine Frage der Integrität, wie man sich in das Unvermeidliche ergibt", hebt der Schwanengesang bereits in der Einleitung an. Doch Schikowskis Buch ist bei allem Ernst gar keine Hasspredigt gen Digitalien; Humorlosigkeit wird man bei ihm vergeblich suchen. Schikowski beschreibt auf einzigartige Weise, wie sie sich anfühlt, diese „Holprigkeit des Übergangs zwischen Buchkultur und Digitalkultur" am eigenen Leib zu erfahren. Schwarz hier, weiß dort – Schikowski ist ein wahrer Meister im Vermessen der Graustufen.

Börsenblatt-Leser kennen den Autor vielleicht bereits von seinen Meinungsbeiträgen, etwa dem Letzten, der heftig polarisierte. Hier kommt nun die Langfassung, die sich aber viel kürzer liest. Kaum vorstellbar, dass es einen Leser gibt, den es nach der Lektüre nicht reizt, Position zu beziehen.

Michael Schikowski: "Warum Bücher?" Bramann, 104 Seiten, Klappenbroschur, 14,90 Euro.

Der Titel, im August für seine Praxis-Ratgeberreihe für Verlagsmitarbeiter und Buchhändler bekannten Bramann Verlag erschienen, ist auch als E-Book erhältlich. In einer älteren Version dieser Rezension wurde fälschlicherweise das Gegenteil behauptet. Schikowskis Essay wäre als E-Book wohl nicht so leicht in meine Jackentasche gewandert - das Problem der Sichtbarkeit von Büchern im Internet, das er ausführlich diskutiert, beweist sich so an seinem eigenen Buch. Und dafür hat es, als grimmigen Liebesbeweis, ein paar Eselsohren erhalten.