Jour fixe bei Hanser

"Gedichte für die schönsten Frauen"

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Der gestrige Jour fixe bei Hanser war zugleich eine Feier zum 20-jährigen Bestehen des Hanser Kinderbuchverlags und eine Hommage an Verlagsleiter Michael Krüger. "Ihr wisst ja, im nächsten Jahr sieht man mich häufiger auf Parkbänken sitzen, weil ich den Verlag verlasse und dann ein freier Mensch und für alle und auch für allen Spott zu haben bin", begrüßte Krüger humorvoll.

Krüger erinnerte an die Gründung des Kinderbuchverlags, als ausführliche Fassung zu sehen in der 25. Folge der preisgekrönten Hanser-Youtube-Reihe. Bevor er sich auf einem improvisierten Podest stehend auf ein ungewöhnliches Interview einließ, hieß er seine Autoren willkommen, unter ihnen Thomas Stressle („Gelassenheit – Über eine andere Haltung zur Welt“), Karl Schlögel („Grenzland Europa – Unterwegs auf einem neuen Kontinent“), Rolf Lappert („Pampa Blues“), Norbert Gstrein („Eine Ahnung vom Anfang“) und Thomas Glavinic ( „Das größere Wunder“): „Ein bedeutender Roman, der im Moment für Furore sorgt, auch Kontra bekommt, und das ist gut. An dem Tag, da Marcel Reich-Ranicki gestorben ist, muss man sich ja auch einmal daran erinnern, dass Literaturkritik eben keine Streichelei bedeutet.“

Der Hanser Verlag hatte Roswitha Budeus-Budde ("Süddeutsche Zeitung") gebeten, Fragen an Michael Krüger zu stellen. Nach zahlreichen lobenden Archivfunden („Er ist eine Ausnahme im Literaturbetrieb der Bundesrepublik. Er ist ein weißer Rabe“ ("FAZ"), „Ein Mann, der alles kann und das Meiste besser als die Anderen“ ("SZ"), „Er ist ein furchtbar männlich schillernder Doppelkäfer“ (Claus Heinrich Meyer, 1986)), kam es zur Gegenüberstellung mit dem Fragebogen der FAZ von 1990:

Wo möchten Sie leben?
Heute: „Im Wald.“ Damals: „In der Nähe des Meeres.“
Was ist für Sie das vollkommene irdische Glück?
Heute: „Unter einem Lindenbaum zu sitzen und Kafkas Tagebücher zu lesen.“ Damals: „Spaghetti.“
Welchen Fehler entschuldigen Sie am ehesten?
Heute: „Auf keinen Fall – auch wenn sie oft sinnherstellend sind – die Druckfehler.“ Damals: „Sinnherstellende Druckfehler.“ Dazu Michael Krüger: „Das ist eine wichtige Entscheidung in meinem Leben. Den sinnherstellenden Druckfehler, den wir alle kennen, lautet: ‚Marx Weber hat gesagt …‘, statt ‚Max Weber hat gesagt …‘ Mittlerweile habe ich so viele Druckfehler gefunden, gerade wieder in einem wunderbaren Buch über Kafka von Reiner Stach und meine Meinung geändert. Da schreibt Stach über einen Druckfehler bei Kafka, nämlich ein Komma, das in der Kurt-Wolff-Ausgabe falsch ist. Und genau in diesem Text Reiner Stachs ist ein zentnerschwerer Druckfehler.“
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einem Mann am meisten?
Heute: „Ach, wenn man so alt ist …“ Damals: „Pessimismus und Neugier.“ Dazu Krüger: „Genau.“
Welche Eigenschaften schätzen Sie bei einer Frau am meisten?
Heute: „Dazu kann ich mich jetzt als alter Mann nicht äußern. Sonst würde ich ja vielleicht noch jemanden beleidigen.“ Damals: „Galgenhumor.“ Dazu Krüger: „Ja, eben. Aber das ist nicht so häufig.“

Nach dem vergnüglichen Update des Proust'schen Fragebogens sollte der Verleger über seinen ersten Roman sprechen: „Da war ich sehr jung. Als die Tchibo-Kette in Berlin aufmachte, bin ich immer mit einem kleinen Heft hingegangen, habe für 15 Pfennig einen Kaffee bestellt und habe mitgeschrieben, was die Leute geredet haben. Das war der Tchibo-Roman in zehn Folgen, den ich leider nicht mehr besitze.“ Zur Frage, mit welchen Büchern oder Zitaten aus Büchern ein Mann eine Frau beeindruckt, meinte Krüger: „Als ich jung war, habe ich unvergessliche surrealistische Gedichte geschrieben. Ich habe sie generös an die schönsten Frauen verteilt, in der Hoffnung, dass sie sich davon beeindrucken lassen, was nicht der Fall war. Das zeigt das nachlassende Interesse seit Bretons Tod am Surrealismus.“
Auch zu ernsten Themen äußerte er sich: „Es kann nicht gut sein, wenn ein Elektro-Händler etwa 90 Prozent des E-Book-Marktes beherrscht. Meines Erachtens hätte man das Geld, das notwendig war, um Penguin und Random House zusammen zu bringen, dazu verwenden sollen, um ein Antidot gegen Amazon aufzubauen. Das hätte der Sache mehr genutzt."