Start-ups im Buchverlagswesen

Zwei Welten, zwei Sprachen

20. Juli 2015
von Börsenblatt
Der Goodreads-Amazon-Deal beweise, dass man mit Start-ups in der Buchbranche ordentlich Geld verdienen kann, meint der Branchenexperte Javier Celaya. Die Journalistin Alva Gehrmann hat sich in der Szene umgesehen.

Nachdem das Jahr 2012 in der Buchverlagsbranche bereits als „Jahr des Start-ups" gefeiert wurde, sieht es so aus, als hätte der Start-up-Trend 2013 tatsächlich noch mehr Auftrieb bekommen. Und dem Branchenexperten Javier Celaya zufolge beweist der Goodreads-Amazon-Deal, dass man mit Start-ups sogar ordentlich Geld verdienen kann. Wir stellen einige der spannendsten Start-ups der Verlagsbranche vor und fragen: „Wie gut funktioniert die Zusammenarbeit zwischen Investoren, Verlagen und Start-ups wirklich? Sprechen sie überhaupt dieselbe Sprache? Und hinken die europäischen Start-ups ihren US-amerikanischen Pendants wirklich so weit hinterher?

Würden Sie in einen Regenschirm investieren, bei dem Sie beide Hände frei haben? Der Erfinder ging damit in die US-Fernsehshow „Shark Tank", in der Start-ups und Erfinder neue Produkte präsentieren können. Auf dem Podium sitzen jeweils fünf „Sharks" („Haie"), also potenzielle Investoren, die es zu überzeugen gilt. Für seinen Nubrella, der aussieht wie eine Mischung aus einem riesigen Astronautenhelm und einer Seifenblase, erhielt der junge Existenzgründer tatsächlich 200.000 US-Dollar. Als Gegenleistung bekam der Investor einen 25-prozentigen Anteil an der Firma. Die Sendung „Shark Tank" ist natürlich in erster Linie eine Unterhaltungsshow, dennoch ist es interessant zu sehen, auf welche Weise die Start-ups den Investoren ihre Produkte präsentieren. Einige der kritischen Fragen, mit denen sie konfrontiert werden, sind durchaus spannend.

Es ist schwer zu sagen, ob Goodreads in der Fernsehshow ebenfalls erfolgreich gewesen wäre. Vor sieben Jahren starteten Otis Chandler und seine Frau die Online-Plattform von ihrem Wohnzimmer aus – zunächst ohne Unterstützung von Investoren. Die Idee ist einfach: „Wir wollten den Leuten eine bessere Methode bieten, Bücher, die sie begeistern, zu finden und zu teilen", beschreibt es Chandler auf Goodreads. Bereits im zweiten Jahr wurde das US-Start-up von Business Angels mit rund 750.000 US-Dollar unterstützt. Mittlerweile hat die Website mehr als 16 Millionen registrierte Leser. Im März wurde das Unternehmen für eine ungenannte Summe von Amazon gekauft – die bislang größte Erfolgsgeschichte eines Start-ups in der Buchbranche.

Javier Celaya vom spanischen Beratungsunternehmen Dosdoce.com findet das Konzept der US-Show „Shark Tank" spannend. Die Show stammt übrigens ursprünglich aus Japan und hat mittlerweile Ableger in über 20 Ländern (darunter Saudi-Arabien, Nigeria und Finnland). Sie bietet jungen Unternehmern eine Chance, aus erster Hand zu erfahren, was für Investoren wichtig ist, indem sie zwei Welten gegenüberstellt – zwei Welten, die zunächst lernen müssen, in derselben Sprache miteinander zu sprechen. Und die Mühe lohnt sich, da letzten Endes jede Seite von der anderen profitiert. Das traditionelle Buchverlagswesen sieht sich der großen Herausforderung gegenüber, mit den Anforderungen und Trends des 21. Jahrhunderts Schritt halten zu müssen, um überleben zu können. Auf der anderen Seite stellen Start-ups die technischen Lösungen und innovativen Ideen zur Verfügung, die dieses Schritthalten ermöglichen.

„Ohne Business Angels hätte Goodreads es auch nicht geschafft", ist sich Javier Celaya sicher. Sein Beratungsunternehmen Dosdoce hat kürzlich eine Studie mit dem Titel „How to collaborate with startups" („Wie man mit Start-ups zusammenarbeitet") veröffentlicht. Ziel war es, eine Abhandlung zu erstellen, in der Möglichkeiten erörtert und reflektiert werden, wie sich die Beziehung zwischen Technologie-Start-ups und Unternehmen innerhalb der Buchbranche verbessern lässt. Für die Studie führte Celaya Interviews mit rund 170 internationalen Verlagen und Start-ups unter anderem aus Großbritannien, Deutschland, Spanien, Argentinien, Chile und den USA. Als positive Beispiele für eine erfolgreiche Zusammenarbeit nennt Celaya neben der in Berlin ansässigen Social-Reading-Community ReadMill auch die neuartige Geschäftsidee von SmallDemons (USA), das spanischsprachige Portal 24Symbols, das bereits als „Spotify für E-Books" gerühmt wird, und – natürlich – Goodreads. Welche Bedeutung hat der Amazon-Deal? „Er war eine Initialzündung und zeigte, dass man auch in der Buchbranche mit Start-ups eine Menge Geld verdienen kann", meint Celaya, der ebenfalls als Professor an der Universität Madrid als Professor im Master-Studiengang „Digital Publishing" unterrichtet.

In den USA scheint es deutlich einfacher zu sein, ein Start-up zu gründen. Es herrscht die vielbeschworene „Alles ist möglich"-Einstellung. Zudem ist dort aufgrund fehlender staatlicher Kulturförderung das Kultursponsoring traditionell weiter verbreitet als andernorts. Wer eine neue Idee hat, stürzt sich einfach ins Abenteuer – und sollte es nicht funktionieren, so hat man es wenigstens versucht und eine wichtige Lektion für das nächste Projekt gelernt. Die „AngelList", die Investoren und Unternehmer zusammenbringt, verfügt beispielsweise über eine eigene Kategorie für Start-ups im Verlagswesen. In Europa werden hingegen eine ganze Reihe innovativer Projekte bereits im Keim erstickt, oder zumindest werden ihre Erfinder mit zahllosen skeptischen Fragen bombardiert: Wollen Sie wirklich Zeit in diese Idee investieren? Welches Potenzial hat Ihr Projekt und können Sie damit jemals ausreichend Geld verdienen? Wäre es nicht besser, wenn Sie stattdessen etwas Sinnvolleres machen?

Wenn es also in den USA so viel einfacher für Start-ups ist, sollte man dann nicht nach Silicon Valley ziehen und dort das neue Projekt in Angriff nehmen? „Theoretisch ist das bestimmt eine gute Idee", sagt Celaya. „Aber in der Realität ist die Konkurrenz in Silicon Valley und allgemein in den USA sehr viel stärker. Sie sind uns dort zwei bis drei Jahre voraus." Außerdem sollte man den europäischen Markt nicht unterschätzen, es gibt hier eine neue Generation mit einer ganz anderen Mentalität. Das spiegelt sich auch in unserer Liste beachtenswerter Start-ups (siehe Kasten unten) wider, die genauso viele Start-ups aus Europa wie aus den USA enthält. Auch eine öffentlich zugängliche "Best of publishing start-ups" Liste zeigt: Die Neugründer kommen nicht nur aus dem angelsächsischen Raum.

Buchverlage und Start-ups: Was passiert, wenn sie aufeinandertreffen?

Im Rahmen der Studie hat Celaya festgestellt, dass beide Seiten mit einem bestimmten Grad an Selbstgewissheit ins Gespräch gehen – und dass beide gleichermaßen überzeugt davon sind, es besser zu wissen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die beiden Parteien mit unterschiedlichen Erwartungen zu einem Meeting kommen. Während das Start-up in erster Linie daran interessiert ist, möglicherweise ein Geschäft abzuschließen, wollen sich viele Buchverlage zunächst einfach nur ihre Ideen anhören und inspirieren lassen. Dies führt wiederum bei den Start-ups zu Bedenken, dass der Verlag einfach ihre Ideen stehlen könnte.

Es ist weiterhin interessant, welche Arten von Technologien angeboten werden – und für welche davon eine Nachfrage besteht. Die meisten der Start-ups aus der Studie gaben an, dass ihre Technologien den Verlagen Dienstleistungen bieten, mit denen sie ihre Buchverkäufe steigern können, etwa E-Commerce-Lösungen für gedruckte Bücher und E-Books. Ein ebenfalls hoher Prozentsatz bietet Technologien an, die auf eine gesteigerte Sichtbarkeit und Auffindbarkeit im Internet abzielen. Lediglich vier Prozent der Start-ups beschäftigen sich mit anderen Bereichen, wie zum Beispiel dem Copyright-Management oder der internen Manuskript-Publikation. „Eine der interessantesten Tatsachen, die diese internationale Untersuchung ans Licht gebracht hat, besteht darin, dass es eine übermäßige Konzentration von Start-ups mit extrem ähnlichen technischen Ansätzen und Lösungen gibt", sagt Celaya. Auf der anderen Seite sind Verlage auf der Suche nach technischen Lösungen, die noch von keinem existierenden Start-up angeboten werden, etwa im Bereich der Distribution oder zur Optimierung interner Abläufe wie dem Eingang und der Verwaltung von Manuskripten. „Diese Bedürfnisse werden von der aktuellen Technologie nicht gedeckt und könnten Geschäftsmöglichkeiten für neue Unternehmer darstellen", betont Celaya.

Manchmal wirken Start-ups und Verlage wie ein altes Ehepaar, das aneinander vorbeiredet. Die ideale Lösung, so Celaya, wäre eine Berater, der Start-ups und Verlage zusammenbringt. Die Studie legt die Beschäftigung einer Art von Inhouse-Mentor nahe, der „die innovativsten Projekte unterstützen sollte, und zwar im Hinblick darauf, wie sie implementiert werden können. So kann man eine neue, offenere, frische und kreative Unternehmenskultur schaffen, ohne die Identität des Verlags zu opfern."

Javier Celaya ist selbst auch Business Angel. Er investiert ausschließlich in kulturelle Projekte, darunter www.entrelectores.com, eine spanische Version von Goodreads. Seiner Erfahrung nach schafft es, so wie auch in jedem anderen Geschäftsbereich, nur eines von zehn Start-ups. Manche haben nicht ausreichend Unternehmergeist oder Durchhaltevermögen, andere sind vielleicht ihrer Zeit voraus, weil es die Technologie noch nicht gibt, um die Idee im großen Umfang realisieren zu können. Zu einem erfolgreichen Start-up gehört nicht nur ein innovatives Konzept, sondern auch Glück zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute zu treffen. Wenn Celaya mit Start-ups spricht, fragte er sie auch: „Was ist eure nächste Idee?" Diese Idee kann für ihn sogar viel interessanter sein, selbst wenn sie noch nicht voll entwickelt ist. Im Gegensatz zu Verlagen zahlen Investoren bei Start-ups für die Vision, nicht für das aktuelle Geschäft …

 

Die aussichtsreichsten Start-ups im Buchverlagswesen

 

24Symbols: http://www.24symbols.com/

ABC Tales: http://www.abctales.com/

Bibliocrunch: http://bibliocrunch.com/

Blinist: http://www.blinkist.com/en/

Bookigee: http://www.bookigee.com/

Booklamp: http://www.openbookpublishers.com/

Epubli: http://www.epubli.co.uk/

Hyperink: http://www.hyperink.com/

Inkle: http://www.inklestudios.com/

Jottify: http://jottify.com/

Kraut-publishers: http://www.kraut-publishers.de/

Neobooks: http://www.neobooks.com/

Offbeat Guides: http://www.offbeatguides.com/

On Demand Books: http://www.ondemandbooks.com/

Open Book Publishers: http://www.openbookpublishers.com/

Paperight: http://www.paperight.com/

Paper C: www.paperc.com

ReadMill: http://readmill.com/

Skoobe: https://www.skoobe.de/

Small Demons: https://www.smalldemons.com/

Smashwords: http://www.smashwords.com/

Unbound: http://unbound.co.uk/

Unglue It: https://unglue.it/

ValoBox: http://www.valobox.com/

Javier Celaya ist Vizepräsident der Spanischen Vereinigung für digitale Zeitschriften (ARDE), Vorstandsmitglied der Spanischen Vereinigung der digitalen Wirtschaft sowie CEO und Gründer von Dosdoce.com, einem Online-Portal, das die Verwendung neuer Technologien im kulturellen Sektor analysiert und jährliche Studien zu den Trends im Kulturbereich herausbringt.

Übrigens: Sie können Javier Celaya auf der Frankfurter Buchmesse (9.–13. Oktober) treffen, wenn er als Sprecher bei der Konferenz CONTEC am 8. Oktober auftritt.

 

Der Beitrag von Alva Gehrmann erschien zuerst im Blog der Frankfurter Buchmesse.