Hugendubel ersetzt Kassierer durch Zeitarbeiter

Träumt weiter!

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Werden die Angestellten der Filialisten zu Schleckerfrauen des Buchhandels? Das fragt sich Martina Bergmann. Die Buchhändlerin aus Borgholzhausen zu Arbeitsbedingungen im Buchhandel und bei Amazon, Birkenstocks und böse Männer in Nadelstreifen.

Werden die Angestellten der Filialisten zu Schleckerfrauen des Buchhandels? Der Gedanke liegt nah, denn über die Personalpolitik mancher Firma wurden zuletzt Fakten publik, die besser in Wallraff-Reportagen als in unser (Selbst-)Bild des Sortimentsbuchhandels passen. Man kann sich das schön zurechtlegen: Hier die tapferen Buchhändler in ihren ausgetretenen Birkenstocks und da die fiesen Nadelstreifenberater. Schwarz und weiß, gut und böse.

Ich finde das nicht sinnvoll. Es ist zu einfach, und es ist auch ungerecht. Bei Schlecker arbeiteten viele Frauen aus bildungsfernen Milieus in auch sonst prekären Lebenslagen. Auf Buchhändler trifft das nicht zu. Man gerät normalerweise nicht zufällig in eine Buchhandlung und bleibt dann mangels Alternative einfach da. Buchhändler haben eine qualifizierte Fachausbildung, nicht selten Abitur. Buchhändler wählen ihren Beruf nicht in erster Linie aus Geldgründen, und das ist ja auch sympathisch.

Doch das andere Extrem, diese fortgesetzte ökonomische Tagträumerei: Sie kommt uns gerade teuer zu stehen. Es gibt ja Kollegen, die immer noch glauben, es wird wieder so wie 1987. Kein Euro und kein Internet, erprobte Bräuche im Geschäftsgebaren wie in der Personalpolitik; bequem, überschaubar und ein bisschen langweilig. Je vehementer beim Börsenverein oder dem lieben Gott eingefordert wird, es möge wieder werden wie dar einst, desto lächerlicher werden wir Buchhändler. Und zwar alle – nicht nur die Spinner.

Eines der besten Argumente gegen Amazon waren immer die Arbeitsbedingungen: Unsere Leute haben es besser. Aber ist das wirklich so? Wenn ich lese, was bei Hugendubel an den Kassen passiert, wenn ich überlege, wie viele Kilometer ein Angestellter bei Thalia jede Woche läuft und welche Kilo Taschenbücher er hebt: Was ist da besser als im Internet? Vielleicht noch gerade, dass man die Leute sieht, dass man ihre Augenringe und Hängeschultern anschauen und sich schämen kann.

Es müssten paradiesische Zeiten für uns andere sein. Wir haben viel Verständnis mit unseren Angestellten und zahlen Tarif wie immer schon. Deswegen sind unsere Leute hoch motiviert, und alles wird bald wieder wie 1987 – siehe oben. Problem dabei: Weniger Buchhandlungen benötigen weniger Fachpersonal. Wohin also mit all den Buchhändlern? Es kann nicht jeder selbständig sein, aber ein paar mehr sollten sich trauen, finde ich.

Die schlüssigste Betriebsform ist im Moment der Einzelunternehmer im Stadtteil oder Dorf. Man muss sich dazu nicht sinnlos verschulden, und man kann in seiner Nische die Konsequenzen der Marktbereinigung abwarten. Unsere Aushilfe profitiert nicht zuletzt finanziell von meinem Optimismus. Aber ich kann deswegen nicht zehn Aushilfen oder drei Vollzeitkräfte einstellen. Und dass die Damen alle gern Romane lesen, superschöne Schaufenster gestalten und überdies vermuten, ich sei ein netter Chef: Ja, und?

Ich erwarte (wie übrigens auch Kunden) von Buchhändlern viel. Ich setze Allgemeinbildung und Umgangsformen voraus, und die Leute sollen wissen, welche Themen wichtig sind. Wenn ich etwas nicht mehr hören kann, dann den Lamento zum Medienwandel. Ich kenne keinen Autoladen, wo der Verkäufer sagt – Ich selber aber fahre Fahrrad. Ich kenne keinen Schlachter, der Veganer ist. Hingegen kenne ich viele Buchhändler, die sich blanke Realitätsverweigerung anmaßen. Anders als die Schleckerfrauen verfügen Buchhändler über eine solide Ein- und Ausbildung. Mögen sie sie reichlich nutzen – auch gerne branchenfremd.