Branchenparlament

"Eine Branche, die nicht mehr ausbildet, glaubt nicht mehr an sich"

27. Februar 2015
von Börsenblatt
Freihandelsabkommen, Metadatenbank und gleich eine zweifache Änderung der Verkehrsordnung: Das Branchenparlament hat am Donnerstag in Frankfurt getagt - und setzte mit vier wichtigen Themen den Schlusspunkt unter die Herbstsitzungen des Börsenvereins. Zum ersten Mal als Vorsteher am Podium: Heinrich Riethmüller, der mehr Mut und Selbstbewusstsein einforderte, auch bei der Ausbildung.

"Erwarten Sie keine Regierungserklärung": Der neue Vorsteher des Börsenvereins wollte die Erwartungen an seine Auftaktrede vor dem Branchenparlament eher niedrig hängen. Trotzdem nutzte Buchhändler Heinrich Riethmüller die Gelegenheit zu ein paar grundsätzlichen Gedanken über Zukunft und Entwicklung der Branche. Während Verlage den Aufbruch ins digitale Zeitalter gut geschafft hätten, tue sich das Sortiment nach wie vor schwer. Pro Jahr verliere die Branche rund 50 Buchhandlungen. Probleme hätten sowohl ganz kleine Sortimente mit geringer Kapitaldecke als auch die großen Filialisten. „Die Schwierigkeiten lassen sich nicht an der Größe der Betriebsform festmachen“.

"Mit Wollust" werde in den Medien über das Verschwinden des Buchhandels geschrieben, sagte Riethmüller, der von der Branche mehr Mut und mehr Selbstbewusstsein einforderte: Die niedrigen Ausbildungszahlen 2012 seien beschämend: „Eine Branche, die nicht mehr ausbildet, glaubt auch nicht mehr an sich“, betonte der neue Vorsteher – und wagte einen ungewöhnlichen Vergleich, um deutlich zu machen, warum die Branche sehr wohl Perspektiven hat. Die Zahl der Zuschauer bei Fußballspielen der Bundesliga im Stadion habe sich seit 1990 verdoppelt – obwohl alle Spiele bequem von zuhause aus abrufbar seien. "Dieser Branche ist es gelungen, ihr Produkt, den Fußball, so attraktiv zu machen, dass bei stark steigenden Preisen immer mehr Menschen in die Stadien kommen. Warum sollte dem Buchhandel ein solcher Erfolg nicht auch gelingen?". Schließlich gebe es genug gute, überzeugende Konzepte im Sortiment.

Nichtsdestotrotz beschäft "das Ringen nach Partizipation" am digitalen Geschäft den Buchhandel seit langem. Klar sei, dass die Branche nur dann Erfolg haben können, wenn sie die Probleme des jeweiligen Handelspartners erkenne, so Riethmüller, der allen drei Sparten Aufgaben ins Pflichtenheft schrieb – den Barsortimenten beispielsweise, dass sie zur Kooperation mit der Börsenvereinstochter MVB bereit sein müssten, um den Buchhandel im digitalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu halten (Stichwort Metadatenbank).

Vor Aufgaben steht aus Sicht des Vorstehers aber auch der Börsenverein selbst: Die ausgeprägte föderale Doppelstruktur werde sich der Verband so auf Dauer nicht mehr leisten können, unterstrich Riethmüller. Im Mittelpunkt aller Aktivitäten müsse immer die Frage stehen: Was nutzt dem Mitglied? Bei der Suche nach Antworten wünschte Riethmüller dem Verband und der Branche vor allem zwei Dinge: Kreativität – und viel Gelassenheit. Die ganze Rede ist hier abrufbar.

Freihandelsabkommen: Zum Stand der Dinge

Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, gab einen Einblick in den aktuellen Stand des Freihandelsabkommens (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP). Skipis unterstrich, dass jede Branche im Rahmen der Verhandlungen ihre Chancen und Risiken einschätzen müsse. Die Buchindustrie habe sich bereits zu Wort gemeldet – zumal der Kultursektor, wie normalerweise üblich – aus dem TTIP nicht ausgenommen werden solle.

Der Hauptgeschäftsführer bewertete die Chancen des Abkommens für die Buchindustrie als gering, die Risiken hingegen als sehr hoch. "Wir investieren viel Arbeit, um das Abkommen mitzugestalten", sagte Skipis. Die Gefahr, dass Preisbindung und Urheberrecht tangiert würden, schätzt er als „sehr groß“ ein. Hinzu komme die Tendenz der EU, Mehrwertsteuersätze zu harmonisieren.

Skipis betonte, dass der Börsenverein auf deutscher und europäischer Ebene eine Sensibilität für diese Themen schaffe und Gespräche mit Politikern führe. Zudem habe man sich etwa mit dem Deutschen Kulturrat und anderen Verbänden der Kreativwirtschaft verbündet oder suche den Schulterschluss mit Frankreich. Kritik übte er an den „intransparenten Verhandlungen“, bei denen konkrete Zwischenergebnissen nicht kommuniziert würden.

An die Branche appellierte Skipis, die Preisbindung zu würdigen und sich nicht in der Grauzone zu bewegen.

Metadatenbank VLB+ 

MVB-Geschäftsführer Ronald Schild skizzierte den Stand des Projekts Metadatenbank VLB+. Es sei durch zwei wesentliche Aspekte gekennzeichnet: Die Investitionen und die dafür benötigten Ressourcen seien hoch und es sei ein spartenübergreifendes Branchenprojekt. Daher werde es eine Task Force mit ca. 15 Mitgliedern geben, die alle Sparten repräsentiere. Sie soll für die Hauptversammlung im kommenden Juni einen Vorschlag erarbeiten, wie genau die Metadatenbank aussehen könnte. Dazu gehört etwa eine Kosten-Nutzenanalyse, eine Priorisierung der Aufgaben sowie ein Finanzierungskonzept. "Wir möchten, dass der Branchenwillen bestmöglich abgebildet wird", betonte Schild. 

Nach Meinung von Anton Neugirg (Pustet) ist das VLB+ ein "tolles Projekt". Er gab jedoch zu bedenken, dass die Datenqualität im VLB nach wie vor nicht gewährleistet sei. Diese sei aber das Fundament für den Aufbau der Metadatenbank. Daher appellierte er an die Verlage, korrekte Daten zu liefern. Auch Sortimenterin Irmgard Clausen aus Coburg verlangte von den Verlagen eine korrekte Datenbasis: "Sie machen uns Geschäfte kaputt, wenn sie nicht die richtigen Daten liefern. Da hört der Spaß auf und es ist nicht mehr lustig!" 

Ronald Schild sagte, dass man über Sanktionsmöglichkeiten für schlechte Daten nachdenken könne, die in der Task Force ausgearbeitet werden könnten. Albrecht Hauff (Thieme) sieht darin "kein Problem", denn auch im Umgang mit Banken oder anderen Geschäftspartnern seien Sanktionen ein ganz normales Vorgehen.

Stefan Könemann, Vorsitzender des Ausschusses für den Zwischenbuchhandel, brachte nochmals das Thema Rezensionen in die Diskussion ein. Diese seien für die Metadatenbank unabdingbar. "Ich habe jedoch das Gefühl, dass das Thema bei den Verlagen noch nicht ganz angekommen ist." Angesichts des schwebenden Rezensionsstreites forderte er die Verleger auf, alle Rezensionen einzeln zu prüfen und positiv freizugeben.

Verleger Matthias Ulmer wies darauf hin, dass bei der künftigen Datenbank zu differenzieren sei zwischen den Kundenrezensionen und jenen der Verlage. Beide müssten getrennt voneinander behandelt werden.

Das Ergebnis der Diskussion um die Qualität der Daten: Das Branchenparlament unterstützt den Antrag des Sortimenter-Ausschusses zur Datenqualität, der gestern formuliert wurde. Die genaue Ausgestaltung des Antrags werde die Task Force übernehmen. 

Der Beschluss des SoA zur Datenqualität im Wortlaut:

"Eine deutlich verbesserte Datenqualität und verlässliche Lieferbarkeitsinformationen sind zwingende Voraussetzung für eine Metadatenbank (VLB +).

Das Sortiment benötigt in erster Linie eine qualitativ verlässliche Datenbank aller tatsächlich lieferbaren Titel. Das VLB wird diesem Erfordernis gegenwärtig nicht gerecht. Daher wäre eine Bereinigung der bislang gelisteten Titel und Eliminierung, zumindest aber deutliche Kennzeichnung der nicht lieferbaren Titel erforderlich.

Der Sortimenter-Ausschuss fordert die MVB dazu auf, eine für die Verlage vertraglich verpflichtende Lösung im oben genannten Sinne in Kürze zu erarbeiten.

Die Verlage werden einmal mehr dazu aufgefordert, die Daten ihrer Titel laufend aktuell zu halten."

Aufnahmegebühr für den Börsenverein

Zwischenbuchhändler Thomas Bez wandte sich unter dem Punkt "Verschiedenes" noch mit einem Antrag ans Branchenparlament. Er plädierte dafür, die Aufnahmegebühr für den Börsenverein (derzeit 500 Euro) ganz abzuschaffen und bat das Branchenparlament, dem zuständigen Länderrat diesen Vorschlag zu unterbreiten. Neue Mitglieder dürften durch eine solche Gebühr, die "prohibitiv" wirke, nicht abgeschreckt werden, so Bez.

In der Vergangenheit hatte der Börsenverein die Aufnahmegebühr bei besonderen Aktionen (etwa zum Jubiläum) immer mal wieder ausgesetzt. Das Branchenparlament folgte dem Antrag mit breiter Mehrheit - im Frühjahr ist dann der Länderrat gefragt, der die Abschaffung beschließen muss.

Außerdem hat sich das Branchenparlament mit den Preisaktionen bei E-Books beschäftigt und bei den Warenbezugskosten eine Änderung der Verkehrsordnung beschlossen

In einem Video-Interview fasst Thomas Wrensch, Vorsitzender des diesjährigen Branchenparlaments, die Diskussionen Transportkosten und Porto fürs Sortiment, Metadatenbank und Datenqualität sowie Preisbindung und Preismarketing bei E-Books zusammen.