Branchenthemen auf der politischen Agenda

Was der Koalitionsvertrag bringen könnte

27. November 2013
von Börsenblatt
"Deutschlands Zukunft gestalten" ist der Koalitionsvertrag überschrieben, den Union und SPD vergangene Nacht besiegelt haben. Darin finden sich zahlreiche Willenserklärungen, über die sich die Buchbranche freuen wird: verminderter Mehrwertsteuersatz für Hörbücher, Absicherung der Buchpreisbindung auch für E-Books, Stärkung des unabhängigen lokalen Buchhandels. Allerdings droht auch ein Konflikt mit den Verlagen: Die Koalition will eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke im Urheberrecht einführen.

Die Buchbranche kann sich durch den Koalitionsvertrag aufgewertet fühlen: Auf Seite 19 wird "die Medien- und Kreativwirtschaft mit ihrem wichtigen Beitrag für die zukunftsweisende Gestaltung materieller und immaterieller Produkte und Dienstleistungen" als einer von sieben Leitmärkten hervorgehoben.

Nach französischem Vorbild will die Große Koalition den unabhängigen lokalen Buchhandel als Kulturfaktor stärken – auch, um ein Gegengewicht zum immer mächtiger werdenden Online-Buchhandel zu schaffen. Dazu heißt es auf Seite 136 des Vertrags:

"Die Koalition will unabhängige Buchhandlungen in ihrer Funktion als Ort der kulturellen Vermittlung und Begegnung und angesichts der stetigen Zunahme des durch große Marktakteure geprägten Versandbuchhandels stärken, z. B. durch die Einführung eines jährlichen Preises für besonders innovative und kulturell ausgerichtete Geschäftsmodelle."

Hier wird also neben dem Kultur- auch ein Innovationsakzent – gemäß dem Motto "Deutschlands Zukunft gestalten" – gesetzt.

Erfreulich ist, dass Union und SPD digitale Publikationen in steuerlicher Hinsicht gedruckten Büchern und Zeitschriften gleichstellen wollen: Auf Hörbücher soll der verminderte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent angewendet werden, und die Koalition will sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass der ermäßigte Mehrwertsteuersatz auch für E-Books, E-Paper und andere elektronische Informationsmedien Anwendung finden kann (S. 134 des Koalitionsvertrags).

Gleichzeitig bekennen sich die Koalitionspartner zur Buchpreisbindung, die auch für digitale Bücher abzusichern sei: "Essentiell für die Erhaltung der Vielfalt der Bücher und Buchhandlungen ist die Buchpreisbindung, die europarechtlich auch im Hinblick auf E-Books abzusichern ist." (S. 134)

Gehör bei Politikern aller Couleur haben sich offenbar die Wissenschaftsorganisationen und Bibliotheken verschafft: Die Koalition kündigt im Vertrag an, eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einzuführen und die Möglichkeit für öffentliche Bibliotheken zu prüfen, elektronische Bücher zu lizensieren. Gleichzeitig soll eine "umfassende Open Access Strategie" entwickelt werden, die einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Publikationen und offenen Datenbeständen gewährleisten soll. Im Wortlaut heißt es:

"Wir werden den wichtigen Belangen von Wissenschaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung zu tragen [sic!] und eine Bildungs- und Wissenschaftsschranke einführen. Wir werden prüfen, ob den öffentlichen Bibliotheken gesetzlich das Recht eingeräumt werden sollte, elektronische Bücher zu lizensieren.

Wir werden eine umfassende Open Access Strategie entwickeln, die die Rahmenbedingungen für einen effektiven und dauerhaften Zugang zu öffentlich finanzierten Publikationen und auch zu Daten (open data) verbessert."

Würde dieses Vorhaben umgesetzt, würden aller Voraussicht nach unter anderen die bisherigen Schrankenregelungen der Paragrafen 52a (Intranetparagraf) und 52b (Bereitstellung von Inhalten an Leseplätzen von Bibliotheken) des Urheberrechtsgesetzes abgeschafft und durch eine allgemeine Bildungs- und Wissenschaftsschranke ersetzt, die vor allem Bildungs- und Wissenschaftsverlage treffen würde. Der im Koalitionsvertrag dokumentierte politische Wille zu einem umfassenden Open Access kann von Verlagen als Kampfansage aufgefasst werden – vor allem, wenn es um das sogenannte Zweitveröffentlichungsrecht ("grüner" Open Access) geht, das in der Sache eine Zweitveröffentlichungspflicht darstellt. Er kann aber auch als Signal an Verlage interpretiert werden, selbst am Geschäft mit Open Access zu partizipieren (mit dem autor- und wissenschaftsfinanzierten "goldenen" Open Access).

Interessante Punkte, die auch Branchenteilnehmer interessieren dürften, enthält der Koalitionsvertrag zudem im Abschnitt "4.4 Digitale Agenda für Deutschland". Dort heißt es zur aktuellen Entwicklung von Internet und Informationstechnik:

"Maßgeblicher Faktor der Digitalisierung ist die Globalisierung der Netze und die internationale Arbeitsteilung im Bereich der Informationstechnik. Das weltweite Netz ist ein globales Freiheitsversprechen. Doch spätestens der NSA-Skandal hat die Verletzlichkeit der digitalen Gesellschaft aufgezeigt. IT-Sicherheit wird zu einer wesentlichen Voraussetzung zur Wahrung der Freiheitsrechte. Die gesellschaftlichen Chancen und ökonomischen Potenziale der Digitalisierung dürfen nicht gefährdet werden."