Osiander eröffnet 30. Buchhandlung

Streit zur Eröffnung in Balingen

2. Dezember 2013
von Börsenblatt
Osiander hat am Samstag seine 30. Buchhandlung im Modehaus Ruof, in Balingens bester Einkaufslage eröffnet. Die Buchhandlung (550 Quadratmeter) präsentiert sich auf zwei Verkaufsebenen und verfügt auch über ein kleines Café für die Kunden. Zur Eröffnung gab es einen Besucheransturm - aber auch Unmutsbekundungen eines Balinger Buchhändlers. Osiander wehrt sich.

Der Eröffnungstag am 30. November übertraf alle Erwartungen des Osiander-Teams: Offiziell sollte die Buchhandlung um 18 Uhr schließen, „doch daran war bei dem Besucheransturm nicht zu denken. Erst um 21.30 Uhr schlossen dann zwar müde, aber doch sehr glückliche Mitarbeiter die Tür“ teilt eine Unternehmenssprecherin mit.

Acht Mitarbeiter sind auf knapp 550 Verkaufsfläche beschäftigt. Im 1. Obergeschoss lädt ein Café zum Ausruhen und Genießen ein. An den Wänden der jüngsten Buchhandlung hängen großformatige Autorenporträts. Plakate mit Porträts der Mitarbeiter sowie der Geschäftsleitung mit persönlichem Lieblingsbuch-Tipp sollen der Buchhandlung ebenfalls „eine klare literarische Linie geben.“

Osiander könnte sich freuen – doch wenige Tage vor der Eröffnung machte Jürgen Rieger, Inhaber der Balinger Buchhandlung Rieger, im „Zollern-Alb-Kurier“ seinem Ärger mächtig Luft – er kritisiert das Familienunternehmen des neuen Börsenverein-Vorstehers für „seinen reinen Verdrängungswettbewerb“ – das Unternehmen „vernichte reihenweise Existenzen“. Die Familie Riethmüller wehrt sich.

Hier der Leserbrief in voller Länge:

"Demnächst wird der Tübinger Filialist Osiander seine 30. Buchhandlung in Balingen eröffnen und viele meiner Kunden fragen sich, wie er auf die Idee kam, dass in Balingen noch ein weiterer Buchhändler gebraucht wird.

Bisher gibt es hier drei inhabergeführte unabhängige Buchhandlungen und dazu noch eine große Weltbild-Filiale in 1a-Lage. Wie schafft es die Tübinger Inhaber-Familie Riethmüller es zu verkraften, reihenweise Buchhändler-Existenzen zu vernichten?

Auch in Balingen wird dieser Zuzug seine Konsequenzen haben. Leider fährt die Familie Osiander seit einigen Jahren einen reinen Verdrängungskurs. Dies mag damit zu tun haben, dass der dritte Geschäftsführer Christian Rietmüller vor seinem Einstieg in die väterliche Firma bei Aldi gearbeitet und gelernt hat.

Vor einigen Monaten wurde eine Osiander-Filiale in Überlingen eröffnet, danach haben zwei Sortimente aufgegeben. Aus Albstadt, Bietigheim und anderen Städten kommen ähnliche Meldungen. Niemand wundert sich mehr. Die großen Filialisten im Buchhandel haben längst den Rückbau ihrer vielen Filialen begonnen, hier im Süden sieht die Situation aber völlig anders aus. Osiander eröffnet wo er kann in Baden-Württemberg und darüber hinaus, ohne Rücksicht auf gewachsene Strukturen.

Aber die Erklärung konnte man ja in der Presse lesen: Osiander geht nur in Städte, in denen es noch keinen richtigen Sortimentsbuchhandel gibt. Aha! Danke! Wir freuen uns auf die kollegiale Zusammenarbeit! Außerdem war zu erfahren, dass Herr Hermann-Arnth Riethmüller der Meinung ist, dass viele angestammte kleine Buchläden sowieso keine Gewerbesteuer bezahlen, weil sie keinen Gewinn machen würden.

Zum Glück machen wir in Balingen Gewinn und bezahlen daher auch Gewerbesteuer. Osiander wird dies möglicherweise ändern.

Aber vielleicht fällt Osiander ja in Balingen auch einmal auf die Nase. Die Kunden allein entscheiden mit ihrer Kaufkraft, welche Geschäfte bestehen und welche verschwinden. In den USA ist bereits heute eine große Bewegung hin zu den kleineren eingesessenen Geschäften zu erleben, weg von großen immer gleichen Filialen und Internet-Bestellungen. Die BUY LOCAL –Bewegung kommt auch in Deutschland langsam in die Gänge, weil den Kunden immer mehr bewusst wird, welche Werte gerade verloren gehen."

Jürgen Rieger

Buchhandlung Rieger, Balingen

 

Die Familie Riethmüller wehrt sich gegen die Vorwürfe - und erwidert ihrerseits in einem offenen Brief:

"So sehr dem Publikum seit alters her der Kampf von David gegen Goliath gefällt, so wenig taugt die neue Buchhandlung von Osiander in Balingen dazu, das älteste und größte Buchhandelsunternehmen in Baden-Württemberg als Zerstörer gewachsener Strukturen zu verteufeln. Nicht immer ist die schönste Geschichte die wahre Geschichte.

Der Buchmarkt befindet sich im größten Umbruch seit Gutenbergs Erfindung der beweglichen Lettern. Der Grund: Durch das Internet ist der Buchkunde souverän geworden. Vor 20 Jahren noch musste er eine Buchhandlung besuchen, wollte er Auskunft über ein Buch - heute ist er mit wenigen Klicks besser informiert als die Experten in der Buchhandlung. Und heute kann ein Kunde von zu Hause aus 24 Stunden täglich jedes lieferbare Buch per Mausklick erwerben und bekommt es portofrei zugestellt. Dazu kommt die Medienrevolution, die vom Mobiltelefon zum E-Reader, vom gedruckten Buch zur digitalen Form von Informationen und Literatur führt. Fazit: Der selbstbewusste Kunde von heute ist nicht mehr auf die traditionelle Buchhandlung, die Vermittlung von Literatur nicht mehr auf das traditionelle Buch angewiesen.

Deshalb geht der Anteil des stationären Sortiments am Buchmarkt kontinuierlich, mit zunehmender Dynamik, zurück (1993: 60,8%, 2002: 57,0%, 2012: 48,8%), deshalb schließen immer mehr Buchhandlungen. Und deshalb ist die Geschichte von David und Goliath in Balingen nicht nur falsch, sondern führt auf Abwege, weil sie die Schuld beim bösen Wettbewerber sucht. Zahlreiche Beispiele von großen und kleinen Buchhandlungen, aus kleinen und großen Städten zeigen, dass der Erfolg oder Misserfolg einer Buchhandlung nicht vom Auftreten der Mitbewerber abhängt, sondern davon, wie eine Buchhandlung auf den Strukturwandel reagiert. Buchhandlungen müssen sich heute ständig neu definieren, wenn sie überleben wollen.

Beispiel Balingen: Am 20.11.2013 prognostizierte die GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) für das Jahr 2013 eine pro-Kopf-Einzelhandelskaufkraft der Deutschen in Höhe von 5.500 Euro und eine „Sortimentskaufkraft“ pro Einwohner für Bücher in Höhe von 116 Euro pro Jahr. Wendet man diese Werte auf Balingen an (33.900 Einwohner, Einzelhandelskaufkraft pro Kopf von 5.893 Euro, Zentralitätskennziffer von 156,4), ergibt sich für Balingen ein Umsatzpotential im Bereich Bücher von 4,5 bis 6,5 Millionen Euro. Davon schöpfen die Balinger Buchhandlungen höchstens 1,5 Millionen Euro ab. Dem Einzelhandel von Balingen gehen also zur Zeit zwischen drei und fünf Millionen Euro Umsatz verloren, weil die Balinger Einwohner und Kunden ihre Bücher zum größeren Teil außerhalb von Balingen kaufen.

Eine Osiander-Buchhandlung, das zeigen gerade die von Jürgen Rieger genannten Beispiele aus Osiander-Städten, gewinnt Kunden für die Innenstädte zurück. Auch Osiander in Balingen wird Umsätze zurück holen und durch den hervorragenden Standort an exponierter Stelle in der Friedrichstraße, durch die hohe Qualität von Mitarbeitern, Ladeneinrichtung und Café und durch die vielen Aktionen rund ums Buch neue Kunden gewinnen. Wir stimmen mit unserem Kollegen Rieger völlig darin überein, dass allein die Kunden entscheiden, welche Geschäfte bestehen und welche verschwinden.

Im Buchhandel besteht nach wie vor die Preisbindung, so dass ein Verdrängungswettbewerb gar nicht möglich ist. Allein der vom Kunden als besser bewertete Service entscheidet. Im Übrigen macht der Hinweis von Jürgen Rieger auf die Buy-Local-Bewegung die unterschiedlichen Handlungskonzepte besonders deutlich: Buy local versucht eine Profilierung vor allem durch Abgrenzung – gegen die Onlinehändler, gegen die Filialisten, zum Teil mit falschen oder verzerrten Argumenten wie dem, Filialbetriebe würden weniger örtliche Steuern zahlen. Die Strategie von Osiander dagegen richtet sich nicht gegen andere Vertriebsformen oder Unternehmen, sondern versucht, ständig von allen zu lernen und daraus immer neue Konzepte abzuleiten, die den Buchhandlungen von Osiander in den Augen der Kunden ein Alleinstellungsmerkmal verleihen: Verbindung von Atmosphäre, Beratung, schönen Buchhandlungen, Veranstaltungen einerseits, Medienkompetenz, Online-Präsenz, Service und persönliche Ansprache auch im Internet andererseits.

Deshalb ist Osiander erfolgreich und wurde soeben von den Kunden in der Sparte „Buchhandel“ und in der Sparte „Service“ zum „Händler des Jahres 2013“ gekürt. Deshalb erhält Osiander ständig Anfragen von Vermietern und auch von Stadtverwaltungen und kann sich hervorragende Standorte aussuchen. Und deshalb wird Osiander auch weiterhin wachsen, durch Neueröffnungen und Übernahmen.

In den vergangenen drei Jahren hat Osiander achtzig neue Arbeitsplätze geschaffen und bietet heute sechzig jungen Menschen attraktive Ausbildungsplätze. In Aalen und Stuttgart hat Osiander zwei Buchhandlungen übernommen, die geschlossen werden sollten, und dadurch zehn älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern den Arbeitsplatz erhalten."

Tübingen, im November 2013

Osiandersche Buchhandlung

Familie Riethmüller