Interview mit Johannes B. Berentzen, Wieselhuber & Partner

Onliner gegen Offliner: "Der Ausgang des Kampfes ist noch längst nicht entschieden"

4. April 2014
von Börsenblatt
Die Studie "Category Killer – Der stationäre Handel unter Zugzwang" hat für Wirbel gesorgt. Prominente Buchfilialisten tauchten auf einer Gefährdungsliste auf – als vermeintlich sichere Beute Amazons. Dass es in der Studie auch um die Leistungen und Stärken der Offliner geht, und welche strategischen Impulse den (Buch-)Einzelhandel voranbringen können, erläutert Johannes B. Berentzen, Senior Manager und Co-Autor der Studie, im Gespräch mit boersenblatt.net.
Die Pressearbeit zu Ihrer Studie "Category Killer" hat sich verselbständigt, wenn man sich die Artikel der letzten Tage anschaut. Dabei ging es Ihnen offenbar nicht darum, ein Bedrohungsszenario für den Einzelhandel – und speziell den Buchhandel – aufzubauen, sondern vielmehr konstruktive Impulse zu geben …
Ganz bestimmt. Der stationäre Einzelhandel hat viele Trümpfe in der Hand, die ihm der Online-Handel nicht entreißen kann. Und selbst wenn man Amazon als Benchmark für den Buchhandel wählt – es gibt zahlreiche Funktionen, die der stationäre Buchhändler besser beherrscht. Nur ein Beispiel: Wenn ein Buchhändler mit seinem Erfahrungshintergrund einem Kunden Bücher empfiehlt, dann ist dies den algorithmischen Empfehlungen eines Online-Händlers weit überlegen.

Im ersten Teil der Studie stellen Sie ein sogenanntes "Fit Score"-Ranking auf, in dem sie Kundenloyalität, Image und Performance eines Händlers messen. Dabei schneidet die Mayersche Buchhandlung als bestes Buchhandelsunternehmen ab und kommt auf Platz 6. Gleichzeitig steht die Mayersche auf der Bedrohungsskala, dem "Kill Thrill"-Index, ebenfalls auf Platz 6, also sehr weit oben. Wie kann es sein, dass ein Händler, der fast alles richtig macht, so von Online-Händlern bedroht wird?
Die Buchhandelsfilialisten, die im Ranking erscheinen, haben alle exzellente Werte – ob bei Loyalität, Image oder Performance. In der Branchenauswertung landet der Bucheinzelhandel sogar auf Platz 2. Dennoch müssen sie vor allem Amazon als Konkurrenten fürchten. Die ganze Art der Abwicklung – möglichst schnell, möglichst einfach – spielt dabei eine Rolle und natürlich der Versuch, immer den günstigsten Preis anzubieten. Beim kürzlich ausgestrahlten „Markencheck“ in der ARD zeigte sich aber, dass der Einkauf beim lokalen Buchhändler im Grunde nicht teurer ist als bei Amazon. Beim Buchhändler schlugen allenfalls Parkgebühren zusätzlich zu Buche. Und wir haben es hier wegen der Preisbindung mit einer besonderen Situation zu tun. Bei Baumärkten und Gartencentern sieht das ganz anders aus – da können die Onliner mit dem Preis ganz anders reagieren als im Buchhandel.

Welche Aussagekraft hat der "Kill Thrill"-Index, der jetzt die Wellen so hoch schlagen ließ?
Auf keinen Fall handelt es sich dabei um eine Abschussliste für den Einzelhandel. Der "Kill Thrill"-Index spiegelt drei Aspekte:
– Das Verhalten der Kunden: Haben Sie dort schon einmal offline geguckt, haben Sie online bestellt, offline eingekauft, waren Sie schon auf der Homepage?
– Punkt 2 beruht auf den Daten der Gesamtuntersuchung: Wie hoch ist der Online-Anteil der Kategorie? Wie hoch ist die Cross-Channel-Relevanz innerhalb der Kategorie?
– Drittens haben wir den gesamten Multichannel-Auftritt der Händler durch unseren Partner facit research überprüfen lassen: Dazu gehören Fakten wie die Zahl der Visits und Page Impressions sowie Experteneinschätzungen zu Menüführung, optischer Anmutung, Orientierung – und schließlich zum Weg, den der Kunde vom Produkt bis zum Kassenabschluss zurücklegt.

Und was folgt daraus?
Eine sehr erfolgreiche Position, wie sie beispielsweise die Mayersche hat, steht einer hohen Platzierung im Kill-Thrill-Index nicht entgegen. Der Bucheinzelhandel bewegt sich in einem sehr unruhigen Fahrwasser, dennoch gibt es Player, die sich ganz hervorragend darauf verstehen, in diesem Fahrwasser zu segeln. Dazu gehören auch die Mayersche und die anderen Buchhandelsketten, die in die Studie einbezogen wurden. Sie befinden sich in einem Wettbewerbsumfeld, in der der Krieg zwischen Onlinern und Offlinern tobt. Dabei ist der Ausgang des Kampfes längst noch nicht entschieden. Von den zahlreichen Online-Anbietern, die derzeit im Handel aktiv sind, werden viele in den nächsten Jahren wieder von der Bildfläche verschwinden – zum Beispiel, weil die Gewinne ausbleiben, und die Investoren kein Interesse mehr daran haben, Geld nachzuschießen. Auch die Erfolgreichen müssen erst einmal beweisen, dass sich das aggressive Vorgehen, das Aushebeln von Branchenspielregeln oder das augenscheinliche Infragestellen des ehrbaren Kaufmanns wirklich auszahlt.

Weshalb ist der Bucheinzelhandel stärker als andere Branchen bedroht?
Weil es für Onliner natürlich sehr einfach ist, die Inhalte digital zu verkaufen: als E-Book. Andere Waren lassen sich nicht online "kopieren". Es gibt aber zahlreiche Mittel, mit denen sich die Offliner auch online-fähig machen können.

Welche strategischen Impulse können Sie denn dem Buchhandel geben?
Über die Online-Aktivitäten sollte der Buchhändler nie sein ertragreiches stationäres Geschäft vergessen. Man muss die Online-Wettbewerber im Blick behalten, ansonsten aber auf die eigenen Stärken vertrauen. Das haben die Buchhändler auch hervorragend erkannt. Man muss auch nicht alles online anbieten, sondern kann sich beispielsweise auf Produktinformation für physische Bücher oder den Verkauf von E-Books beschränken. Ein zweiter Punkt ist Cross Channel. Das bedeutet, dass sämtliche Punkte, an denen der Kunde mit der Marke in Berührung kommt – von der Plastiktüte über das Verkaufspersonal, über das Schild über der Tür bis hin zum Online- und App-Auftritt – widerspruchsfrei miteinander verknüpft sein müssen. Das ist leider noch nicht die Realität. Ein Beispiel: Ich gehe bei meinem Buchhändler vorbei und bekomme über die Buchhändler-App auf dem Smartphone eine Nachricht: Wir laden Sie zu einem Kaffee bei uns ein und zeigen Ihnen drei Neuerscheinungen, die sie interessieren könnten. Im Ergebnis kaufe ich vielleicht ein Buch, das ich sonst bei Amazon bestellt hätte. Dritter Punkt: Die Marke und das Markenversprechen. Wenn der Kunde den Laden betritt, dann mit einer bestimmten Erwartung. Gerade im Buchhandel mit seiner kulturell aufgeschlossenen Kundschaft spielt das Image eine große Rolle. Ich kenne Leute, die nach dem Leiharbeiterskandal bei Amazon nur noch beim örtlichen Buchhändler einkaufen.

Der vierte Punkt – eine intelligente Pricing-Strategie – kommt für den Buchhandel wegen der Preisbindung wohl kaum in Betracht …
Nur für die preisungebundenen Artikel. Dieser Punkt ist für den Buchhandel sicher von geringerer Bedeutung. Aber wenn man dem Kunden beispielsweise ein Hörbuch zum Amazon-Preis verkauft, dann stellt man sicher, dass er wiederkommt und nicht für immer abwandert. Der nächste Faktor, das Einkaufserlebnis, steht aus meiner Sicht beim Buchhandel ganz oben. Ich kann online nichts anfassen, riechen oder mich gemütlich in eine Leseecke setzen und bei einer Tasse Kaffee in einem Buch stöbern. Ich kann auch keinen netten Plausch mit der Verkäuferin oder dem Verkäufer halten. Dafür kann ich in die Buchhandlung gehen, ohne zu wissen, was ich will, und kann mich auf Leseempfehlungen der Buchhändler verlassen. Ich kann die Atmosphäre genießen, die verschiedenen Themenwelten erleben. Wenn der Buchhandel das gut macht, ist er in einer hervorragenden Position gegenüber den Category-Killern.

Was der Online-Handel auch nicht so ohne weiteres kann, ist das "Solution Selling", also Dienstleistungen, die über das Produkt hinausgehen …
Als Buchhändler muss man natürlich kreativ werden und überlegen, welche Dienstleistungen das sein könnten. Es gibt aber eine Menge Beispiele. Und einiges kann man sich auch von Amazon abschauen, etwa das Vorzugsprogramm Amazon Prime …

Beim Verkauf von E-Readern wollen viele Kunden aber Beratung und Hilfestellung beim Einrichten des Geräts …
Da könnte man den Kunden beispielsweise einen zweistündigen Einführungskurs anbieten und noch ein E-Book schenken. Überhaupt liegt in der Präsentation des Themas digitales Lesen eine Chance, die ein Online-Händler so gar nicht hat.

Interview: Michael Roesler-Graichen

 

Zur Studie:
Die Münchner Unternehmensberatung Wieselhuber & Partner hat in Zusammenarbeit mit facit research im Rahmen eines Online-Panels mehr als 8.000 Verbraucher über ihre Einstellung zu und ihren Umgang mit Einzelhandelsunternehmen im Offline- sowie im Online-Segment befragt. Dabei wurde ein Ranking der leistungsstärksten Unternehmen aufgestellt (Fit Score-Ranking), in dem die Buchhandelsunternehmen buch.de, Hugendubel, Mayersche, Thalia und Weltbild unter den TOP 25 platziert sind (Mayersche: Platz 6). Die Bedrohungen durch den stärker werdenden Online-Handel wurden in einem Kill-Thrill-Index erfasst (unter den zehn meistbedrohten: die Mayersche und Thalia). Den Abschluss der Studie bilden sechs strategische Impulse, die eine stationäre Offensive auslösen sollen.

Die Studie können Sie hier lesen.