Zielgruppenmarketing beim Ratgeber

"Das Verbraucherverhalten ändert sich rasend schnell"

8. Mai 2014
von Börsenblatt
Wenn sich die Ratgeberverlage ab heute in Berlin zu ihrer Jahrestagung treffen, wird ein Thema besonders weit oben auf der Tagesordnung stehen: wie man bei der Zielgruppe den richtigen Wind erzeugt – und was Verlage und Händler hier im Verbund erreichen könnten. Diesmal sind auch Gäste aus anderen Branchen dabei, etwa Peter Nowotny, der in Dormagen den Bastelladen Zauberkörbchen betreibt. boersenblatt.net sprach vorab mit ihm über die neue Bastelwut der Deutschen, die Folgen der Innenstadtverödung und verpasste Chancen.

Fällt es Spezialisten wie Ihnen leichter, die Zielgruppen zu definieren und anzusprechen?
Zu definieren auf jeden Fall. Anzusprechen – da muss ich etwas weiter ausholen. Aus der Vergangenheit kennen wir unsere Zielgruppen natürlich ziemlich gut. Wir haben eine überwiegend weibliche Kundschaft zwischen 18 und 55 Jahren hier im Laden, zusätzlich beliefern wir Schulen und Kindergärten. Bei letzteren ist es relativ einfach, sie anzusprechen – weil wir die Einrichtungen vor Ort ja alle kennen. Ansonsten ist das mit dem Ansprechen wesentlich schwieriger.
 
Warum?
Weil nur ungefähr vier Prozent der Deutschen Bastler sind – 96 Prozent interessieren unsere Themen gar nicht. Wenn ich also eine Anzeige schalte, entstehen große Streuverluste.
 
Versuchen Sie es auch auf anderen Wegen?
Natürlich – über die Homepage zum Beispiel, oder über soziale Netzwerke, auch wenn die klassischen Bastler mit den modernen Kommunikationswegen eher wenig vertraut sind. Aber wir wollen eben auch die jungen Leute ansprechen. Bisher haben wir ein extrem hohes Stammkundenpotenzial, das wir über Direktmailing oder vergleichbare Werbemaßnahmen immer wieder recht gut erreichen können.
 
Das ist heute anders?
Ja, in den letzten fünf Jahren stellen wir Hobby- und Bastelhändler in den Läden fest, dass die Uhren anders gehen. Das Verbraucherverhalten verändert sich rasend schnell, die Kundenfrequenz sinkt.
 
Spüren Sie nichts von dem vielzitierten Do-it-Yourself-Trend?
Ja und nein. Manche Themen beflügelt der Trend, andere nicht. Bei Do it Yourself geht es aus meiner Sicht in erster Linie darum, die eigene Wohnung aufzupeppen – bedeutet: Baumärkte haben davon sicher deutlich mehr als wir.
 
Wie steht es mit Handarbeiten?
Die Handarbeitsbranche ist im Moment sehr zufrieden, weil sie sehr nachhaltig seit vier bis fünf Jahren steigende Umsätze haben. In der Bastelbranche sieht es völlig anders aus, obwohl wir fast identische Kundenkreise bedienen.

Lässt sich dieses Gefälle ausgleichen?
Dazu müsste man die beiden Branchen aus Kundensicht enger verzahnen, was ich in meiner Funktion als Vorstand der Genossenschaft  Art Creativ auch versuche – ich bin überzeugt, dass wir nur so auf lange Sicht wirtschaftlich arbeiten und überleben können. Im Moment könnte man sagen: Die Handarbeitsbranche braucht uns weniger als wir sie. Aber ich erinnere da gern daran, dass die Handarbeitsbranche früher ebenfalls mal unter Druck war – die ganzen Wollscheunen und ähnliche Geschäfte, die es noch vor 20 Jahren gab, waren plötzlich komplett verschwunden. Hätten die Händler sich schon damals breiter aufgestellt und nicht nur Wolle im Sortiment gehabt, hätten sie die Marktbewegungen damals wahrscheinlich alle überstanden.

Stehen Bastelläden vor einem ähnlichen Umbruch?
Der große Umbruch liegt bereits hinter uns. Als ich 1999 mit meinem Buchverlag, den ich aber nicht mehr habe, anfing, gab es knapp 5.000 Fachhandelsgeschäfte im deutschsprachigen Raum. Jetzt existieren noch rund 1.100 in Deutschland – die meisten sind auf der Strecke geblieben.
 
Die Auslöser?
Da gibt es viele. Zum Beispiel fehlen die zwei bis drei Stunden Zeit, die jeder am Computer oder mit seinem Smartphone verbringt, für kreative Arbeiten – in bestimmten Bereichen machen wir deshalb weniger Umsatz. Unser Hauptproblem ist allerdings ein anderes: Das Internet zieht aus dem stationären Handel ganz allgemein immer mehr Umsatz ab. Wenn 20 Prozent Umsatz über das Internet laufen, hat man auch 20 Prozent weniger Kunden in der Innenstadt – weil unsere Zielgruppe ohnehin nur recht klein ist, spüren wir das besonders deutlich. Aber von uns einmal ganz abgesehen: Die Folgen dieser Entwicklung kann man mittlerweile in jeder kleineren Stadt sehen – an den Leerständen von Geschäftslokalen.
 
Gibt es Mittel gegen die Innenstadtverödung?

Ich betreue in Deutschland und im Ausland über die Genossenschaft Art Creativ 86 Fachhandelsgeschäfte. Dass die Innenstadt trostlos ist, und damit die Kundenfrequenz und der Umsatz zurückgehen, höre ich von ungefähr der Hälfte dieser Händler. Aber es gibt auch noch die andere Hälfte – die mir sagt: Bei uns geht es aufwärts, wir haben ein funktionierendes Stadtmarketing, lassen keine Ladenlokale leer stehen, reden mit den Vermietern, starten Projekte und Ausstellungen. Für die Attraktivität der Innenstädte bringt das enorm viel. Wichtig sind außerdem die Buy local-Initiativen. Ich habe wirklich nichts gegen Amazon, aber letztlich muss auch der Endkunde verstehen, dass die Gelder, die dort umgesetzt werden, Deutschland auf Nimmerwiedersehen verlassen.

Unter diesen Vorzeichen: Wohin steuert die Bastelbranche?  
Unsere Branche ist in den vergangenen fünf Jahren sehr unter Druck geraten. Es hört sich ein wenig nach Schwarzmalerei an, aber das ist der Zustand – auch wenn wir aus meiner Sicht im Frühjahr 2013 die Talsohle wohl durchschritten haben. Seit dieser Zeit geht es den meisten Kollegen wieder besser, vor allem jenen, die die Zeichen der Zeit verstanden und ihr Sortiment um zum Beispiel Handarbeiten ergänzt haben. Der Durchschnittsbon beim Thema Basteln beträgt etwa 11 Euro, bei Handarbeiten zirka 25 Euro. Das ist eine sehr angenehme Situation.

Sie verkaufen auch Bücher – mit welchen Erfahrungen?
Bücher im Programm zu haben, ist wichtig, weil viele Kunden auf eine Anleitung angewiesen sind. Andererseits: Bücher machen bei mir im Laden nur ungefähr drei Prozent des Umsatzes aus. Etwa 70 Prozent davon entfallen momentan auf Handarbeitsbücher, zehn bis 15 Prozent auf das Segment Künstlerbedarf – den Rest machen wir mit originären Bastel-Themen wie Fensterbildern, Seidenmalerei oder Schmuckbasteln.

Sehen Sie Chancen für neue Kooperationen zwischen Buch- und Hobbyhändlern?
Rayher arbeitet ja schon mit Thalia zusammen, ich weiß aber nicht, wie gut diese Kooperation wirklich läuft. Vielleicht muss man hier auch unterscheiden: Wenn ein traditioneller Buchhändler mit einem traditionellen Bastelhändler eine Veranstaltung machen würde – nach dem Motto: du bringst die Bücher, ich das Material –, müsste das gut funktionieren, und tut es hier und da bereits. Gemeinsame Zielgruppen auch gemeinsam anzusprechen halte ich immer für sinnvoll.
 
Wie steht es mit Verlagen?
Da sind die Kontakte mal mehr und mal weniger eng. Sobald sich Trends entwickeln, versuchen wir das weiterzugeben – leider reagieren Verlage aus meiner Sicht oft viel zu langsam. Da würde ich mir mehr Tempo wünschen. Kocht ein Thema bei uns hoch, kann es sein, dass es innerhalb von vier Wochen ganz aktuell ist. Monate später dann mit einem Buch zu kommen: Das ist nicht zeitgerecht.

Werden Sie Ihnen das morgen in Berlin sagen?   
Ich denke ja – und bin gespannt auf die Reaktionen.


Interview: Tamara Weise


Die Tagung der Ratgeberverlage findet wieder in den Räumen der Stiftung Warentest in Berlin statt (8./9.Mai). Mehr zur Tagung und zum Programm gibts auch hier