Interview mit Nina und Maximilian Hugendubel

"Perspektivisch bemühen wir uns wieder um neue Standorte"

12. Mai 2014
von Börsenblatt
Hinter Hugendubel liegen turbulente Monate: die Verwicklung in die Weltbild-Insolvenz verbunden mit wirtschaftlichen Schäden, die Entflechtung der DBH, die Zurückführung in ein hundertprozentiges Familienunternehmen. Im ersten Börsenblatt-Interview seit langer Zeit sprechen die Geschwister Nina und Maximilian Hugendubel über ihre Zukunftspläne, über die Entwicklung des Buchhandels in den kommenden Jahren und das Unternehmersein in einem Markt, der starken Verwerfungen unterliegt.

Seit knapp drei Monaten ist Hugendubel wieder ganz in Familienhand. Wie geht es Ihnen dabei?

Nina Hugendubel: Das ist ein schönes Gefühl. Es ist interessant, wie viel Zuspruch wir bekommen haben, von unseren Mitarbeitern, im Freundes- und Bekanntenkreis. Offenbar haben wir das Thema Familienunternehmen unterschätzt. Es macht doch einen Unterschied, in welcher Konstellation man unterwegs ist. Die schnelleren Entscheidungswege sind ein Riesenvorteil. 

Maximilian Hugendubel: Man kann mit den Leuten direkt sprechen, hat nicht die Abstimmung mit Augsburg. An manchen Stellen hatten wir latente Konflikte, die jetzt wegfallen. 

Die Verlage waren zu Jahresbeginn sehr verunsichert, weil nicht abzusehen war, inwieweit Hugendubel in den Weltbild-Insolvenzstrudel hineingezogen werden würde. Konnten Sie die Sorgen ausräumen?

Maximilian Hugendubel: Die Unsicherheit war groß, denn es stand die Frage im Raum, wie es ab März mit Hugendubel weitergeht. Das konnten wir klären. Aber es gibt noch einen gewissen Gesprächsbedarf für die Zukunft. Denn es treibt uns nicht nur das Schicksal von Hugendubel um, sondern auch das Schicksal der Branche. Die Weltbild-Insolvenz ist schon ein Ausrufezeichen. 

Weltbild geht als Ganzes in die Hand von Finanzinvestoren über. Eine gute Lösung?

Maximilian Hugendubel: Es ist für uns und die gesamte Branche gut, wenn das Unternehmen nicht zerschlagen wird. Denn der Umsatz wird sich nicht auf andere verteilen. Insbesondere nicht bei Weltbild, weil der Konzern schon einzigartig war. Insofern hoffen wir, dass es gut weitergeht für Weltbild. 

Sie waren eng verwoben mit Weltbild. Welche Schäden haben Sie im Zuge der Insolvenz erlitten?

Maximilian Hugendubel: Wir haben erhebliche Schäden davongetragen. Diese hat die Kirche, das Bistum München-Freising, zu einem großen Teil ausgeglichen, ohne dass wir darauf einen Anspruch gehabt hätten. Das Geld in Form von Krediten dient allerdings nicht dazu, das Hugendubel-Geschäft weiterzuentwickeln, sondern es ist ein Schadensausgleich. 

Von welchen Schäden sprechen Sie genau?

Maximilian Hugendubel: Das große Problem für Hugendubel war und ist, dass wir in der DBH die Mietsicherheiten für die Weltbild-Plus-Filialen gebündelt haben. Für die 53 Läden, die jetzt schließen, werden die Mietsicherheiten fällig. Und die holen sich die Banken von der DBH.

Wie muss man sich den Vorgang der Entflechtung vorstellen?

Maximilian Hugendubel: Die Verhandlungen waren sehr kompliziert. Wir haben versucht, ein Paket zu schnüren, das für beide Seiten tragbar ist. Die Anwälte und Banker, alles erfahrene Leute, haben gesagt: So etwas Schwieriges hätten sie noch nie erlebt. Für alle Beteiligten wäre es das Beste gewesen, wir hätten uns ohne Insolvenz getrennt. So wie wir es ursprünglich seit Januar 2013 vorhatten. 

Was wäre Ihr Wunschpaket gewesen?

Maximilian Hugendubel: So wie es jetzt ist, jedoch ohne die Insolvenzschäden. Die Idee zur Trennung von Weltbild fußte auf einer strategischen Überlegung zum Geschäftsmodell. Wir hatten früher in der DBH das stationäre Geschäft gebündelt, das Versandgeschäft war bei der Verlagsgruppe Weltbild angesiedelt. Das ist im Multichannel-Zeitalter eine schlechte Aufstellung, denn man hat einen großen Umbau im Filialgeschäft auf der einen Seite und das wachsende Online-Geschäft auf der anderen Seite. Und beides findet sich in verschiedenen rechtlichen Einheiten. Zwischen den Einheiten gibt es einen großen Austausch, das führt zu einer riesigen Verrechnungsarie. Wer zahlt was und warum? 

Wie sieht Ihre Finanzstruktur jetzt aus?

Nina Hugendubel: Für ein Handelsunternehmen verfügen wir über eine gute Eigenkapitalquote, die Warenfinanzierung wurde neu gestaltet und wir haben den Weg geebnet für Investitionen. Diese Rücklagen haben wir aber noch nicht in Anspruch genommen. Wenn wir in die Läden investieren möchten, sind wir dafür gut ausgestattet. Zudem haben wir die Eigenkapitalquote dadurch gestärkt, dass wir unsere Orell-Füssli-Beteiligung in das Unternehmen eingebracht haben. Sie war vorher in unserem Privatbesitz. 

Die Hugendubel-Finanzierung läuft über ein Bankenkonsortium. Was hat die Banken an Ihrem Geschäftsmodell am Ende überzeugt?

Maximilian Hugendubel: Unser Modell beruht auf vier Säulen: Filialen, Online-Shop, digitale Aktivitäten mit dem Tolino und Großkundengeschäft. Wir haben in den Läden sehr früh mit der Restrukturierung angefangen. Dafür gab es öffentlich viel Kritik. Aber es war die richtige Entscheidung, denn heute sind wir bereits entsprechend weit. Und wir konnten in puncto Digitalisierung sagen: Wir haben hier mit dem Tolino ein Gerät, das bereits seit neun Monaten sehr erfolgreich läuft. 

Das Großkundengeschäft gehörte bisher nicht zur Ihren Hauptaktivitäten. Woher der Sinneswandel?

Nina Hugendubel: Durch die Übernahme von Habel und Weiland haben wir auf diesem Gebiet sehr viel dazugelernt. Das zeigt sich in der neuen Einheit Hugendubel Fachinformationen HFI. Wir sehen im Großkundengeschäft großes Potenzial, in München beispielsweise waren wir hier bislang noch gar nicht aktiv. 

Es wird immer wieder über die ideale Größe von Buchhandlungen diskutiert. Wie definieren Sie sie?

Nina Hugendubel: Die ideale Größe hängt vom Standort ab. Unsere kleinste Filiale in Neukölln ist knapp 300 Quadratmeter groß und läuft gut. An manchen Standorten gibt es hingegen eine Berechtigung für einen Leuchtturm der Marke Hugendubel. Wenn wir jetzt neu anmieten, sind 300 bis 500 Quadratmeter beliebt. In Einkaufszentren oder kleineren Orten reicht das. Unser Ziel und unsere Aufgabe ist es, Bücher in den Städten sichtbar zu machen. Und wir merken jetzt an den Reaktionen auf die Schließung am Marienplatz, dass die Kunden nach einer Buchhandlung in der Innenstadt verlangen, auch wenn das nicht ständig artikuliert wird.

Maximilian Hugendubel: Uns geht es darum, auf deutlich kleinerer Fläche über das Jahr die gleiche Anzahl an Büchern zu zeigen. In Bad Homburg etwa schaffen wir das auf einem Viertel der bisherigen Fläche. 

Wenn es darum geht, Bücher sichtbar zu machen, stoßen Sie bei den Verlagen bestimmt auf offene Ohren.

Nina Hugendubel: Die Verlage haben im Zuge der Digitalisierung einiges dazugelernt. Sie haben immer mal wieder versucht, ohne Buchhandel auszukommen, jetzt aber erkannt, dass der Händler als Marke wichtig ist und die Kunden den Händler ihres Vertrauens schätzen. Ich hoffe, dass wir gemeinsam mit den Verlagen weitere Ideen entwickeln können, wie wir das Buch in den Innenstädten lebendig halten.

Sie betreiben derzeit rund 80 Hugendubel-Filialen. Wo soll die Reise in den nächsten Jahren hingehen?

Maximilian Hugendubel: Ich kann mir schon vorstellen, dass wir uns perspektivisch wieder um neue Standorte bemühen. Da bin ich sehr optimistisch. 

Nina Hugendubel: Immerhin haben wir gerade 18 Karstadt-Filialen dazubekommen. Die integrieren wir jetzt in unser Unternehmen; sie werden, sofern Karstadt zustimmt, umbenannt in Hugendubel. Das ist doch schon eine stolze Expansion in diesen Zeiten.

Macht Buchhandeln im Kaufhaus heutzutage überhaupt noch Spaß?

Maximilian Hugendubel: Wir wollten die Karstadt-Filialen immer haben. Jetzt sind wir froh, dass wir sie bekommen haben. Das Geschäft dort funktioniert anders, aber es funktioniert gut. Und bedenken Sie: Es ist nicht allzu lange her, da gehörte Karstadt zu den größten Buchhändlern. 

Für welchen Sortimentsmix stehen Sie?

Nina Hugendubel: Der digitale Anteil in unserem Geschäft wächst, freilich wird man das nicht proportional im Laden abbilden und ein ganzes Stockwerk mit dem Tolino füllen. Gleichwohl werden die Flächen für das Digitale größer, um den Kunden die Geräte zu zeigen. Ansonsten haben wir seit Jahren einen Non-Book-Anteil um die 20 Prozent. Klassische Themen wie Kalender, Hörbücher, DVDs stehen dabei im Vordergrund. Momentan nutzen wir auch die zu großen Flächen, um dort Spiele oder ähnliches zu präsentieren.

Maximilian Hugendubel: Was uns umtreibt, ist das Taschenbuch, unsere wichtigste Warengruppe. Hier haben Verlage und Buchhandlungen unterschiedliche Sichtweisen. Die Verlage beliefern vermehrt die Nebenmärkte - aus Verlagssicht ein guter Weg, aus Sortimentssicht eine Entscheidung, die uns sehr zu schaffen macht. Leider können wir wenig gegensteuern, weil der Kunde sich verhält, wie es für ihn am bequemsten ist und etwa an Tankstellen, an Bahnhöfen oder Flughäfen kauft. 

Sie haben bereits mehrfach angesprochen, dass sich das digitale Geschäft sehr dynamisch entwickelt. Bleibt unter dem Strich auch etwas hängen?

Maximilian Hugendubel: Auf jeden Fall. Ich glaube nicht, dass wir ohne den Tolino durch die letzten drei Monate gekommen wären. Das Geld verdienen wir nicht mit dem Geräteverkauf. Aber wenn die Kunden erst einmal ein Gerät haben, dann kaufen sie wieder und wieder Bücher – ohne Schwund, ohne Geschenkverpackung, ohne Umtausch. Was das Digitale allerdings nicht schafft: Verluste aus dem Filialgeschäft komplett aufzufangen. 

In welchen Größenordnungen bewegen sich Ihre Einnahmen mit dem Tolino und den E-Books?

Nina Hugendubel: Das E-Book-Geschäft läuft über den Online-Shop. Dieser ist zur Zeit vergleichbar mit einer unserer größten Filialen – mit einem rasanten Wachstum. Innerhalb des Shops machen die E-Books bereits 30 Prozent der Buch-Einnahmen aus. Und sie wachsen überproportional. Insgesamt hat unser Internetgeschäft einen deutlich zweistelligen Anteil am Gesamtumsatz. Weil unser System jetzt fertig ist, können wir die Kunden über alle Kanäle bedienen und erreichen sie mit Cross-Channeling auf allen Wegen.

Das Jahr hat für Hugendubel turbulent begonnen: Sind Sie zufrieden mit Ihrer wirtschaftlichen Entwicklung?

Maximilian Hugendubel: Ja und nein. Wir schauen uns immer an, wie wir im Vergleich zum Markt abschneiden. Derzeit sind wir besser als der Markt, der rückläufig ist. Das macht uns nicht glücklich, denn die rückläufige Entwicklung ist ein strukturelles Problem. 

Als Unternehmer in einem stagnierenden oder rückläufigen Markt tätig zu sein. Gibt es nicht Dinge, die mehr Freude machen?

Maximilian Hugendubel: Das ist eine gute Frage. Natürlich denken Sie sich abends beim Ins-Bett-Gehen: Könnte ich nicht einfach in einem Geschäftsfeld tätig sein, das nur wächst und könnte ich nicht einfach mitwachsen? Früh heimgehen und einfach mitwachsen. Aber die Zeiten sind vorbei. Auf der anderen Seite bieten sich jetzt enorme Chancen. Wir haben eine gute Ausgangslage, denn alle Menschen mögen Bücher und Buchhandel, sie haben eine sympathische Einstellung der Branche und den Produkten gegenüber.

Nina Hugendubel: Gerade in Krisenzeiten ergeben sich die größten Möglichkeiten für Veränderungen. Diese Veränderungsbereitschaft auszunützen, darauf kommt es jetzt an. Klar wünscht man sich einen größeren wirtschaftlichen Erfolg und dass unter dem Strich mehr übrig bleibt, weil das ja auch eine Bestätigung ist. Aber das Gestalten und Mitentwickeln der Branche macht auch Spaß. Getragen ist man von der Hoffnung, dass es auch wieder bessere Zeiten für die gesamte Branche geben wird. 

Maximilian Hugendubel: Dabei sind wir schon sehr weit, das vergisst man immer, weil die Zeit so schnell vergeht. Vor zwei Jahren wussten wir noch nicht, wie man E-Book schreibt. Jetzt haben wir den Tolino, wir haben Pubbles aufgebaut. Wir sind echt gut aufgestellt, aber jetzt muss es sich auch wirtschaftlich auszahlen. 

Wo sehen Sie den Buchhandel in fünf Jahren?

Nina Hugendubel: Ich rechne mit etwas weniger Buchhandelsfläche, aber auch mit neuen kleineren, individuellen Konzepten. Das Online- und das Digitalgeschäft werden überproportional wachsen. 

Maximilian Hugendubel: Es werden die Unternehmen erfolgreich sein, die eine Antwort auf die Veränderungen haben. Ich hoffe, dass wir dazu gehören. Wenn wir nicht selbst daran glauben würden, wäre im Januar oder Februar der richtige Zeitpunkt zum Aussteigen gewesen.