Kongress der Deutschen Fachpresse 2014

"Das Leben als offene Beta-Phase"

15. Mai 2014
von Börsenblatt
Unternehmer im Netz werden oder das eigene Unternehmen komplett neu aufstellen? Das geht nur, wenn die Einstellung stimmt. Wenn die Bereitschaft da ist, sich auf Neues einzulassen, und wenn man eine gewisse Fehlertoleranz mitbringt. Mutmachendes am zweiten Tag des Fachpressekongresses in Essen.
Motivieren ist mindestens ebenso wichtig wie informieren, und Visionen sind manchmal inspirierender als eine ausgefeilte Projektstudie. Das war sicher auch die Absicht hinter Andreas Winiarskis Key Note am zweiten Kongresstag“ Der Beginn ist die Hälfte vom Ganzen – Don’t Be Corporate“. Also mal den Corporate-Geist für eine halbe Stunde ablegen.

Andreas Winiarskis Botschaft an die Fachverleger war einfach und klar: „Werden Sie selbst ein Start-up! Fangen Sie einfach an!“ Der das sagt, ist nicht ein neuer Internet-Messias, sondern der PR-Chef des größten, weltweit operierenden Internet-Inkubators: Rocket Internet. Ein Unternehmen, das seit seiner Gründung 2007 mehr als 100 Online-Unternehmen gegründet hat – darunter auch so bekannte Versandhändler wie Zalando und Home24.

In über 50 Ländern ist Rocket Internet heute aktiv, und keinesfalls nur in den Wohlstandsoasen der westlichen Welt, sondern auch in so schwierigen Regionen wie Pakistan, Myanmar oder Afrika. Zwei Milliarden Euro Wagnis-Kapital hat Rocket Internet inzwischen weltweit aufgebracht – getreu dem Motto „How we Rock the Internet“.

Wer gründet, sollte ein Wort ganz groß schreiben – so groß wie Winiarski auf seiner vorletzten Folie: FREIHEIT – in Versalien über zwei Zeilen. Plakativer geht’s nicht. Was meint Winiarski? „Machen Sie sich frei von allen Anforderungskatalogen! Letztlich kommt alles ganz anders als geplant. Geben Sie den richtigen Köpfen die Freiheit.“ Und: „Lassen Sie die ‚Kinder an die Macht‘“ (wie Herbert Grönemeyer einst sang), womit er alle meint, die (im Kopf) jung geblieben sind.

Die Freiheit, etwas Neues zu wagen, auf die Gefahr hin, dass es scheitert; die Freiheit, Dinge auszuprobieren; der Mut, etwas zu beginnen, das morgen schon vorbei sein könnte – das ist die Mentalität des Gelingens, die Innovation auch im Verlag möglich macht. Innovation als Haltung, „das Leben als offene Beta-Phase“, nicht nur „operational“ verstanden – darum geht es Winiarski.

Wer sich als Unternehmen im Netz neu erfinden will, wer die epochale Herausforderung Internet meistern will, muss Eigenschaften mitbringen: Außer Unternehmergeist Flexibilität, ein Verständnis für Technologie, Geschwindigkeit, Fehlertoleranz, einen Schuss Pragmatismus und immer wieder Freiheit, Freiheit, Freiheit …

Was bedeutet dies für eine Branche, die mit spezifischen Inhalten handelt? Winiarski, der früher bei Axel Springer als Journalist gearbeitet hat (zuletzt bei „Bild“), denkt vom „Content“ her, nicht so sehr aus der Verlagsperspektive. Verlage würden ohnehin im Netz nicht mehr unbedingt gebraucht, um Autoren und Redakteure zu den Lesern zu bringen. „Glauben Sie an die Inhalte, nicht an Vermarktungsmodelle“, empfahl er dem Kongress-Auditorium. Wir seien Zeugen einer kompletten „Neugründung der Medien“. Mit Habermas könne man das Internet als „neue Form der Öffentlichkeit“ bezeichnen (in Fortführung von Habermas‘ „Strukturwandel der Öffentlichkeit“). Verlage sollten sich im Netz als „Enabler“ verstehen, unabhängig vom (traditionellen) Geschäftsmodell.

Wie neue Formen des Journalismus, der Content-Vermarktung oder der Projekt-Finanzierung in der Internet-Ökonomie aussehen können, war Thema zahlreicher paralleler Sessions: zu Crowdfunding (mit Jens Best von startnext), zu Wissensdatenbanken (mit Hermann Riedel zu Plastics Online), zu Trends im Content-Marketing (mit Steffen Meier von readbox) und zu vielen weiteren Themen.