Reaktionen aus der Buchbranche zum Bonnier-Streit

"Amazon erpresst meinen Verlag"

16. Mai 2014
von Börsenblatt
Nicht lustig: Eigentlich ist Humor sein Fachgebiet. Carlsen-Autor Joscha Sauer ist die gute Laune aber vergangen: "Amazon erpresst grade mehrere Verlage. Dadurch haben meine Bücher dort extrem lange Lieferzeiten", twitterte der Cartoonist auf Twitter. Mit dem Protest gegen das Geschäftsgebahren des Onlinehändlers ist der Autor nicht alleine. Kritik gibt es auch von Seiten des Börsenvereins, Agenten und Vertriebsmitarbeitern.

Rund 100-Mal wurde der Tweet des nichtlustig.de-Cartoonisten binnen kürzester Zeit nach Erscheinen des "FAZ"-Artikels von Andreas Platthaus (Link zu einer nicht identischen Fassung auf faz.net) retweetet und kommentiert. "Fast wie Mafia-Methoden", ärgert sich ein Follower des Autors. "Ein Grund mehr beim Buchhändler um die Ecke zu bestellen. Geht genauso schnell und vermeidet derartige Probleme", stimmt ein weiterer Mitleser zu. Amazons Politik, Backlist-Titel der Bonnier-Verlagsgruppe nur mit Verzögerung auszuliefern, um in den Verhandlungen um E-Books deutlich höhere Rabatte (statt 30 Prozent bis zu 50 Prozent) herauszupressen, könnte zum Bumerang werden. Bereits 2010 hatte Amazon in den USA den "Kaufen"- Knopf entfernt, als der Händler mit Macmillan im Klinch um Konditionen lag.

Buchhändler René Kohl (Kohlibri) schreibt in seinem Blog: „Es ist frustrierend zu sehen, wie sich die Verlagskollegen sehenden Auges einen immer monopolistischer agierenden Buchhandels-Koloss heranzüchten – gefüttert mit besten Konditionen und Informationen. (…)Wenn die Verlage etwas an den misslichen Umständen ändern möchten, unter denen sie zur Zeit agieren, müssen sie offensiver (und zwar weniger mit blendender B2B-Werbung als mit handfesten Konditionen) auf das gute Sortiment zugehen. Und wenn die Buchkäufer nicht länger 5-9 Werktage auf ihr Buch warten möchten, können sie sich vertrauensvoll an den Buchhandel vor Ort wenden – wir besorgen Ihnen (fast) jedes Buch binnen 24 Stunden.“

 

KiWi-Vertriebschef Reinhold Joppich rät Verlagen, sich nicht auf die "üblen Methoden" des Onlineriesen beim Verhandlungspoker einzulassen. "Wenn sie uns boykottieren, dann stellt sich Amazon selbst an den Pranger", erklärt Joppich. So allmächtig wie Amazon gerne geschrieben wird, ist der Onlinehändler nicht. Branchenexperten sehen Amazon selbst unter Druck – die Investoren erwarten nach Medienberichten höhere Gewinne: Nach der Einschätzung des Literaturagenten Peter Fritz will Amazon statt der bisherigen Formel 70/30 künftig 50/50 mit Verlagen bei E-Book-Verkäufen teilen.

Die Auslieferung von Büchern aufgrund des Konditionenpokers willentlich zu verzögern, käme einer Geiselnahme gleich, kritisierte bereits der Präsident des Amerikanischen Agentenverbands Association of Authors Representatives (AAR), Gail Hochman, in einem Offenen Brief ein ähnliches Vorgehen Amazons in den USA, wo Hachette von den Strafmaßnahmen betroffen ist. "Das ist eine brutale und manipulative Taktik und wirklich ironisch von einem Unternehmen, das verkündet,  sein Ziel sei es, die Lesebedürfnisse und -gewohnheiten seiner Kunden vollständig erfüllen zu wollen und ein Champion der Autoren zu sein." Die AAR vertritt nach eigenen Angaben rund 400 Literaturagenten und mehr als zehntausend Autoren.

Die amerikanischen Buchhändler machen es sich jetzt zum Vorteil, dass Amazon in den USA den Kaufen-Knopf neben den E-Books der Hachette-Gruppe entfernt hat. "Wir verkaufen Hachette Bücher!", twitterten in den vergangenen Tagen zahlreiche Buchhandlungen. Der Versandhändler Books-A-Million, der mit über 200 Indie-Buchhändlern kooperiert, gab sogar eine eigene Pressemitteilung heraus und informierte darüber "sehr gerne" und ohne Zensur die Bücher Hachettes anzubieten. 

Andrew Rhomberg, Gründer der britischen E-Book-Themenseite Jellybooks, verglich das Verhalten Amazons sogar mit den Drohgebärden Wladimir Putins im Ukraine-Konflikt. Ernster sollte man die Beschwerden von Autoren nehmen, die bereits nach einem Einschreiten der Kartellbehörden gegen Amazon rufen.

Auch im Börsenverein zeigt man sich über das Gebahren des Onlinehändlers entsetzt. "Es bestätigt sich das, was der Börsenverein seit langem befürchtet und immer wieder thematisiert: Die wachsende Marktdominanz von Amazon stellt in wirtschaftlicher und kultureller Hinsicht eine Gefahr für den Buchmarkt dar", warnt der Branchenverband heute in einer Presseerklärung. "Obwohl die Buchpreisbindung (…) die zwingende Voraussetzung dafür ist, dass der E-Book-Markt nicht komplett zum Oligopol wird und auch der stationäre Buchhandel als Anbieter Chancen behält, ist politisch über weitere Maßnahmen nachzudenken, z.B. die Verpflichtung von Amazon zur Öffnung der bislang proprietären Kindle-Formate für andere Händler bzw. Verlage", gab Börsenvereins-Geschäftsführer Alexander Skipis auf Anfrage zahlreicher Tageszeitungen zu verstehen.

Währenddessen ist aus den Vertriebsabteilungen von Verlagen zu hören, dass im Gegensatz zu den E-Book-Verkäufen der Anteil der Verkäufe von physischen Titeln über Amazon stark rückläufig sein soll. "Amazon schwächelt", heißt es aus einem Verlag. Der Anteil des Onlinehändlers soll sich im Vergleich zum letzten Jahr bei diesem Publikumsverlag halbiert haben. Offen äußern möchten sich andere Verlage auf die Nachfrage von boersenblatt.net nicht. Es ist jedoch zu hören, dass die Verlage sich im Konditionenpoker in keiner schwachen Position sehen: Umsatzträger sollen stattdessen die Buchhändler und Filialisten sein, egal ob Weltbild, Hugendubel oder Thalia − die Umsätze bei den zuletzt mit Krisenberichten bedachten Filialisten sollen sich positiv entwickeln.

Auch unter E-Book-Dienstleistern ist der Konditionen-Streit ein Thema: Martin Fröhlich, Begründer von PaperC, äußerte gegenüber boersenblatt.net:

"Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn Sturm aufzieht, bauen die einen Windmühlen, die andern bauen Mauern. Bislang haben die Verlage es versäumt, ein Gegengewicht zu Amazon aufzubauen. Diese Abhängigkeit von den Umsätzen über Amazon bekommen nun vor allem die großen Verlage zu spüren, denn sie geraten unter Druck, da Amazon seine Goliath-Stellung ausspielen kann. Würden sie nicht am längeren Hebel sitzen, würde Amazon wohl sensibler bei den Verhandlungen umgehen. Es wird für die Verlage und Dienstleister Zeit, sich an einen Tisch zu setzen und ein adäquates Modell zu finden, anstatt weiter sein eigenes Süppchen zu kochen.  Eine langfristige Lösung muss bei der Vermittlung von Wissen her - und das geht über Bücher hinaus. Diese Lösung muss nachhaltig sein; nicht gegen Amazon, sondern um etwas aus Sicht der Nutzer besser zu machen. Wir müssen gemeinsam die Messlatte höher legen."

Barbara Thiele, Prokuristin (COO und CPO) bei epubli, sagte: "Der Konflikt verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig es für Verlage ist, sich auf neue Modelle und Kooperationen einzulassen, um Monopolen etwas entgegen zu setzen. Die Tolino Allianz zeigt, dass langsam ein Umdenken einsetzt. Aber da muss noch viel folgen. Wir bei epubli setzen seit jeher auf eine breite Distributionsstruktur über alle Vertriebskanäle hinweg, von Apple über Google bis Tolino. Wir sind überzeugt, dass die Autoren im Mittelpunkt stehen sollten, deshalb motivieren wir unsere Autoren, unternehmerischer zu denken und ihre Marketingkompetenzen ständig weiterzuentwickeln. Statt von einem einzigen Algorithmus abhängig zu sein, sorgen sie so selbst dafür, überall im Netz von ihren Lesern gefunden zu werden."

 

In die gleiche Kerbe schlägt Ulrich Coenen, Mitgründer von Flipintu: „Es war nur eine Frage der Zeit, bis der Würgegriff Amazons kommen würde, das war lange abzusehen. Ich dachte, es würde noch zwei oder drei Jahre dauern. Wir brauchen dringend mehr Autonomie in Branche.“