Matthes & Seitz-Verleger Andreas Rötzer im Gespräch

"Du machst zu viele Bücher"

26. Juni 2014
von Börsenblatt
Trotz allem: Matthes & Seitz Berlin macht lieber mehr als weniger, und muss dafür Kritik einstecken. Im Herbst schickt der kleine Berliner Verlag 30 Bücher ins Rennen. Ein Gespräch mit Verleger Andreas Rötzer übers Büchermachen in ungewissen Zeiten, die Härten der Programmarbeit und die schönen Seiten der Buchhaltung.

Matthes & Seitz Berlin ist ein kleiner Verlag, wenn man auf die Zahl der Mitarbeiter schaut, aber ein großer – betrachtet man das Programm. Allein jetzt im Herbst erscheinen über 30 Bücher. Wie ist das zu schaffen?
Es ist energieverschwendend, aber es ist gleichzeitig unglaublich energieproduzierend, weil jedes Buch, das man macht, Kraft kostet, aber auch Kraft gibt. Das ist wie ein Kreislauf. Ich kriege immer den Vorwurf zu hören, du machst zu viele Bücher. Das mag ja stimmen unter bestimmten Gesichtspunkten. Aber es ist ein gewachsenes Programm, das ich vor zehn Jahren übernommen habe. Es geht zunächst einmal darum, dieses Programm zu arrondieren, zu ergänzen, Zusammenhänge zu schaffen. Man kann sich nicht beschränken, wenn man einen inhaltlichen Fokus hat. Dennoch bin ich eigentlich eher die ganze Zeit damit beschäftigt, das Programm einzuhegen, wie ein guter Gärtner, da mal abzuschneiden und da. Das ist das, was die meiste Kraft kostet. Als Verleger sagt man immer lieber ja als nein.

Die Lust am Büchermachen teilen Sie mit vielen Verlegern. Trotzdem reduzieren andere Verlage ihr Programm, um sich besser auf einzelne Titel konzentrieren zu können.

Es gibt manche Bücher, die haben schlicht nicht das Potenzial, über einen bestimmten Punkt zu kommen. Es geht nicht um den Input, den Marketing- oder Presse-Input. Diese Bücher haben einfach eine Limitation in ihrem Verkauf. Und diese Limitation muss man kennen. Wenn ich aber zehn Bücher machen will, die sich nicht tragen, muss ich zehn machen, die sich tragen beziehungsweise mehr als das: darüber hinaus tragen. Dadurch wird das Programm natürlich größer.

Sie haben als Buchhalter bei Matthes & Seitz  gearbeitet, bevor Sie den Verlag vor zehn Jahren von Axel Matthes übernommen und nach Berlin transferiert haben. Fühlten Sie sich seinerzeit kompetent als Verleger?
Ich habe vier Jahre bei Axel Matthes gearbeitet, das heißt, ich wusste ungefähr, wie das geht: Verlegen. Es war allerdings bei ihm noch ein anderer Beruf. Matthes gehörte zu einer ganz anderen Generation, die viel charismatischer an alles herangegangen ist. Doch die Arbeit als Buchhalter, die ich zunächst selbst gar nicht beherrscht habe, war eine gute Schule. Dieser permanente Umgang mit einer krisenhaften Betriebswirtschaft war prägend oder auch enthemmend.

Von Axel Matthes stammt der bemerkenswerte Satz: „Wenn wir einen Bestseller haben, wissen wir, dass wir etwas falsch gemacht haben.“ Ist solch ein Rigorismus nicht selbstschädigend?
Naja, er hätte sich über einen Bestseller durchaus auch gefreut. Aber im Kern ist es wahr. Wenn ein Verlag bestsellerverwöhnt ist, generiert er automatisch andere Strukturen, die das Programm verändern.

Der Verlag pflegt ein enorm anspruchsvolles Programm: politische Philosophie, Natur, Essays, Wissenschaft und Literatur. Unterhaltungstitel findet man nicht. Gibt es ein ausreichend großes Interesse für solche Bücher?
Dass man mit dem Verlegen nicht reich wird, muss man vorher wissen. Aber ich denke nicht, dass es schwieriger geworden ist, im Gegenteil.  Diese Hochzeit der Lesekultur der 60er, 70er, 80er Jahre ist zwar vorbei, aber es entwickelt sich etwas anderes. Dieses andere mitzugestalten, ist großartig. Wir leben in einer unglaublich aufregenden Zeit. Wir haben das E-Book als neues Medium, das wir bespielen können und gleichzeitig das klassische Buch, das wir neu entdecken über die Konkurrenz des Digitalen.

Seit dem Vorjahr gibt es die von Judith Schalansky herausgegebene Reihe „Naturkunden“ bei Matthes & Seitz. In der Reihe erscheinen aufwändige, exquisit gestaltete Bücher, die überdies auch noch erfolgreich sind. Erleben wir eine Wiedergeburt des schönen Buchs?
Was wir machen, sind nicht primär schöne Bücher, sondern es sind ehrliche Bücher, die in sich stimmen. Das wird als schön empfunden, zu Recht. Aber unser Ziel ist es nicht, das schöne Buch zu machen. Als Konsument wird man ja permanent getäuscht und hintergangen. Die Begeisterung für die Naturkunden-Reihe entspringt einer Gegenbewegung, also inmitten dieser ganzen Wegwerfgesellschaft etwas Echtes in der Hand zu haben. Wenn solche Bücher Erfolg haben, ist das für das Programmmachen schön, weil das Richtige belohnt wird.