Übersetzerverband VdÜ

Das kreative Potenzial der Brückenbauer

30. Juni 2014
von Börsenblatt
Rund 200 Gäste feierten im Wolfenbütteler Lessingtheater den Geburtstag des Übersetzerverbands VdÜ. Zu feiern gab es nicht nur das fortgeschrittene Alter des Verbands, sondern auch das von ihm Erreichte.

„Rift“, das schöne englische Wort, wollte Elisabeth Ruge nicht übersetzen. Dabei bezeichnet es die Ausgangssituation einer jeden Übertragung von einer Sprache in die andere. Den „Rift“, also den Riss, Spalt oder Graben zwischen zwei Sprachen, den muss der Übersetzer kitten, schließen, überwinden. In ihrer Festrede zum 60-jährigen Bestehen des Übersetzerverbands VdÜ sprach Ruge über die „schöpferische Verzweiflung an der Lücke“. Die Verlegerin, Autorin und Literturagentin fasste ihre eigenen Erfahrungen als Übersetzerin zusammen: Der „Rift“ könne nie ganz verschwinden. Die Verzweiflung darüber sei womöglich der Grund, weshalb Menschen den Maschinen im Übersetzen überlegen bleiben werden: „Wir schöpfen aus dem Scheitern kreatives Potenzial.“

Rund 200 Gäste feierten im Wolfenbütteler Lessingtheater den Geburtstag des Übersetzerverbands. Der Festakt war eingebettet in das Wolfenbütteler Gespräch. So heißt der jährliche Erfahrungsaustausch der Übersetzer, der am Wochenende zum elften Mal in der Lessing-Stadt ausgerichtet und wegen des Jubiläums sogar um einen Tag verlängert worden war. Da passte es gut, dass das in diesem Rahmen übliche Lesefest am Donnerstag unter dem Motto „Feiern“ stand.

Zu feiern gab es nicht nur das fortgeschrittene Alter des Verbands, sondern auch das von ihm Erreichte. Dazu gehören in den ersten Jahren die Ausarbeitung von Musterverträgen und zuletzt die im April in Kraft getretenen Vergütungsregeln. Hinrich Schmidt-Henkel, der Vorsitzende des Verbands, stellte in seiner Rede allerdings weniger die rechtlich-politischen Erfolge heraus, sondern vielmehr den Solidaritätsgedanken, der solche Erfolge erst möglich mache. Maßgeblich für die Verbandsarbeit sei „die Bereitschaft der bei uns Vereinigten, ihr Wissen und Können miteinander zu teilen und für die gemeinsame Sache zu wirken.“ Dies geschieht nach wie vor ehrenamtlich – aber das sei, so gab Schmidt-Henkel zu bedenken, bei wachsenden Aufgaben und wachsender Mitgliederzahl ein Problem. Fast 1300 Mitglieder zählt der Verband inzwischen. Mehr als 30 Leute engagieren sich derzeit kontinuierlich in der ehrenamtlichen Arbeit. Und so mahnte der Vorsitzende Strukturveränderungen an: Professionelle Arbeit sei langfristig nur gewährleistet, wenn das Ehrenamt entlastet werde.

Dies ist sicher keine leichte Aufgabe bei anhaltend schrumpfenden Kapazitäten. Der VdÜ ist als Bundessparte des Schriftstellerverbandes VS Mitglied der Gewerkschaft ver.di. Und dort, so berichtete Schmidt-Henkel, müssten die zuständigen Hauptamtlichen „mit immer weniger Leuten immer mehr Aufgaben stemmen.“ Er gab sich aber zuversichtlich, dass sich zum 70. Jahrestag des VdÜ neue Grundlagen für eine solide Weiterarbeit durchgesetzt haben werden.

Das Selbstverständnis der Übersetzer als „souveräne Brückenbauer“ fasst ein Jubiläumsband mit gleichnamigen Titel zusammen. Mehr als 40 Autoren haben dafür an Beiträgen zur Selbstdarstellung, aber auch zu Geschichte des Verbands mitgewirkt. Herausgeberin Helga Pfetsch stellte die Publikation während des Festakts vor.

Die lyrische Untermalung der Feierstunde übernahm Slampoet Frank Klötgen. Seine artistischen Sprachkompositionen gaben eindrucksvoll Einblicke davon, welche Herausforderungen, ja auch Abgründe die „Rifts“ darstellen können. Manch ein Übersetzer im Publikum dürfte sich im Geiste gefragt haben, wie er wohl diese oder jene Wortakrobatik aus dem Vortrag übersetzen würde. Zum Beispiel die Adjektivballung, mit der Klötgen einen kostbaren Stoff zu fassen versuchte: „Das ist von Tastsynapsen hergebebter, feindurchwebter, nie erlebter, fingerspitzfühligster Anfasskomfort.“ Aber man war ja zum Feiern da, nicht zum Arbeiten.