Der Streit zwischen Amazon und Verlagen eskaliert

Hart am Limit

3. Juli 2014
von Börsenblatt
Der Streit um E-Book-Konditionen zeigt, wie sehr Amazon unter Rendite- und Kostendruck steht. Gleichzeitig will Jeff Bezos bei Bonnier einen Präzedenzfall schaffen, der die ganze Branche auf seinen Kurs zwingt. Doch am Ende könnte der Jäger Amazon selbst als Gejagter dastehen – der Widerstand wächst. Eine Analyse der Börsenblatt-Redakteure Michael Roesler-Graichen und Tamara Weise.
Jeff Bezos will es wissen. Was er und Amazon gerade in den USA, in Deutschland und Großbritannien anzetteln, ist der Kampf um die Marktmacht im Buchhandel – und damit um die Zukunft des Buchmarkts schlechthin.

Vordergründig geht es bei der Forderung nach höheren E-Book-Rabatten um die Gewinnmarge,  hintergründig darum, die Anleger mit Renditen zu belohnen, die weitere Investments als sinnvoll erscheinen lassen. Denn bisher bringen die gigantischen Umsätze lediglich gnomenhafte Gewinne hervor (2012 / 2013: 74,5 Milliarden US-Dollar Umsatz, 274 Millionen Dollar Gewinn). Schon die Entwicklung des Börsenkurses zeigt: Die Anleger sind launisch – für die Amazon-Aktie ging es in den vergangenen zwölf Monaten unterm Strich um knapp 18 Prozent nach unten.

Jenseits der Börsen muss Amazon deshalb klar Schiff machen, und testet Grenzen aus: In den USA genauso wie im zweitwichtigsten Markt Deutschland. Hier befindet sich, wie berichtet, die Bonnier-Gruppe (Carlsen, Piper, Ullstein u. a.) seit rund vier Wochen im Schwitzkasten des Onlinehändlers, weil sie sich weigert, den üblichen E-Book-Rabatt von 30 Prozent auf Printniveau anzuheben – auf 40 bis 50 Prozent.

Zwar hat sich bislang weder die eine noch die andere Seite zum Streit im Klartext geäußert – dass das Tauziehen um Konditionen für Verlage schweißtreibender denn je ist, gilt jedoch als offenes Geheimnis. Nach Börsenblatt-Informa­tionen sieht die Lage weiterhin so aus: Amazon praktiziert einen Teilboykott von Titeln der Bonnier-Verlage, indem Bücher aus der Backlist nur mit Lieferverzögerung angeboten werden. Statt innerhalb von ein bis zwei Tagen werden viele Titel – darunter auch so bekannte wie diejenigen der »Harry-Potter«-Saga – erst ein bis zwei Wochen nach der Bestellung ausgeliefert.

Dass Amazon sich damit ins eigene Fleisch schneidet, scheint den Onlinehändler selbst nicht sonderlich zu beunruhigen. Wichtiger ist es offenbar, Verlage dauerhaft auf die Plätze zu verweisen. »Was den Verlagen gerade begegnet, ist die Zukunft«, bekannte Amazons Deutschland-Chef Ralf Kleber diese Woche gegenüber dem »Spiegel« – der Satz spricht Bände.

Amazon schafft Präzedenzfälle

Aktuell scheint Amazon mit seinen Machtproben jedoch selektiv zu verfahren. Jan Kolbaum, Sprecher der Ganske-Gruppe (Gräfe und Unzer, Hoffmann und Campe u. a.), meint, es gehe hier weniger um einen »Rundumschlag« als um einen »Präzedenzfall«. Sollte Bonnier umfallen, könnte unter Umständen ein flächendeckendes Konditionendiktat die Folge sein. Inzwischen ist bekannt, wenn auch nicht immer bestätigt, dass Amazon weitere Verlage mit höheren E-Book-Rabattforderungen konfrontiert.

Seit Dezember liegt der Forderungskatalog bei der Ganske-Gruppe, bei dtv, bei Bastei Lübbe und anderen auf dem Tisch. Rudolf Frankl, Marketing- und Vertriebsleiter bei dtv, bestätigt die Gespräche, spricht aber gleichzeitig von Waffenstillstand: »Es gibt derzeit keine Fortschritte bei den Verhandlungen, aber auch keine Repres­sionen«. Nichtsdestotrotz rechnet er schon jetzt mit »neuem Ärger«, irgendwann. Ähnlich liegt der Fall bei Bastei Lübbe: Vorstandschef Thomas Schierack sieht seinen Verlag derzeit zwar noch durch die Laufzeit der bisherigen Verträge geschützt. Er geht aber davon aus, dass »das, was sich gerade zwischen Amazon und Bonnier abspielt, auf sämtliche Verlage überschwappen« wird (siehe Interview auf boersenblatt.net/804937).

Bemühte Rechtfertigungen

Nachdem der Börsenverein beim Bundeskartellamt seine Beschwerde gegen Amazon wegen »erpresserischen Vorgehens gegenüber Verlagen« eingereicht hatte, sah sich Amazon erstmals dazu veranlasst, zu den Vorgängen Stellung zu beziehen – und gab den Schwarzen Peter gleich an die Verlage zurück.

Die Stellungnahme dient, wie die Wortwahl vermuten lässt, vor allem der Beruhigung der Kunden – nicht der Klärung des Sachverhalts. Amazon versucht sich zu rechtfertigen, argumentiert so, als sei man selbst von Bonnier unfair behandelt worden und könne nun gar nicht anders, als vorsichtiger zu disponieren. Der Vorwurf: Bonnier Deutschland verkaufe dem Online­händler E-Books zu »wesentlich höheren Preisen« als die entsprechenden Printausgaben. Prüft man diese These, bleibt davon nur wenig übrig: Wenn überhaupt, so zeigt das Rechenbeispiel, kann der E-Book-Einkaufspreis für Amazon nur geringfügig über dem des gedruckten Buchs liegen.

E-Book-Preise: Wie Verlage kalkulieren 

Amazon behauptet, Bonnier verlange »wesentlich mehr für die digitale Version eines Titels als für die gedruckte Version des gleichen Titels«. Kann das sein?

 Beispiel:
19,99 Euro
kostet das Hardcover
15,99 Euro das E-Book (20 Prozent unter Preis des Hardcovers)

 Print: Der Nettoeinkaufspreis für den Händler liegt bei rund 9,30 Euro – nach Abzug der ermäßigten Mehrwertsteuer von sieben Prozent und nach Gewährung eines Rabatts von 50 Prozent.

E-Book: Nach Abzug des regulären Umsatzsteuersatzes von 19 Prozent bleibt ein Nettoendpreis von 13,50 Euro – bei einem Rabatt von 30 Prozent ergibt sich ein Nettoeinkaufspreis für den Händler in Höhe von 9,45 Euro.

 Differenz: 0,15 Euro

Warum E-Books niedriger als Printbücher rabattiert werden müssen und der Kalkulationsspielraum für die Verlage begrenzt ist, liegt auf der Hand. Für E-Books gelten andere Kalkulationsregeln als für gedruckte Bücher – die Kosten für Technik und Produktentwicklung sind hoch, überzeugende Erlös­modelle noch nicht gefunden.

Amazon-Chef Jeff Bezos brüs­tet sich gern damit, Verleger »wie Gazellen zu jagen«. Doch die gejagten Verlage wollen sich weder in den USA noch in Deutschland dem Beuteschema des Onlinehändlers fügen. Es formiert sich Widerstand unter den Verlegern, der Börsenverein interveniert, und der Gesetzgeber schreitet auf nationaler Ebene (wie in Frankreich, siehe unten) oder im europäischen Rahmen ein und verschärft die Steuerregeln, deren Schlupflöcher Internetkonzerne wie Amazon, Apple und Google ausgiebig nutzen.

Zum 1. Januar 2015 wird sich eines dieser Schlupflöcher schließen: Dann stellt die EU bei der Mehrwertsteuer auf das sogenannte Bestimmungslandprinzip um und nimmt Amazon genauso wie allen anderen, die deutsche Kunden mit E-Books von Luxemburg aus beliefern, die Gelegenheit, ihre Margen mit Steuergeschenken künstlich hochzutreiben. Derzeit liegt der Vorteil noch bei 16 Prozentpunkten (Umsatzsteuer für E-Books in Luxemburg: drei Prozent; Deutschland: 19 Prozent).

Britischen Verlagen blüht »Enteignung«

Dass Amazon derzeit in einigen Märkten die Konditionenschraube anzieht, hat viele Gründe. ­Neben dem Renditedruck der Anleger spielt in Europa vor allem die Anfang 2015 in Kraft tretende Umstellung der Umsatzbesteuerung eine Rolle. Künftig gilt der Steuersatz des Bestelllandes und nicht derjenige des Unternehmenssitzes – dann werden für E-Books in Großbritannien die dort geltenden 20 Prozent Umsatzsteuer fällig. Derzeit sind es drei Prozent am Firmensitz Luxemburg. Kein Wunder, dass Amazon in seinen Konditionenverhandlungen mit britischen Verlagen nun Forderungen erhebt, die an die Substanz gehen:

So enthalten neue Verträge eine Klausel, die Amazon das Recht auf Nachdruck für Printtitel einräumt, die der Verlag nicht rechtzeitig nachliefert. Würde ein Kunde also einen nicht auf Lager liegenden Titel bestellen, dürfte Amazon seine Print-on-Demand-Kapazitäten einsetzen, um das Buch nachzudrucken. Eine Forderung, die Züge einer Enteignung trägt.

Ein weiterer Punkt: E-Book-­Rabatte. Auch hier will Amazon wie in Deutschland die Rabatte für gedruckte und elektronische ­Bücher harmonisieren – auf einheitlich ca. 50 Prozent.

Eine dritte Forderung betrifft die sogenannte Meistbegünstigungsklausel. Amazon verpflichtet damit die Händler, Bücher auf anderen Plattformen nicht güns­tiger anzubieten als im Onlineshop von Amazon. Im nicht-preisgebundenen britischen Buchmarkt würde das Amazon einen zusätzlichen Wettbewerbsvorteil einräumen. In Deutschland hatte Amazon seit 2013 darauf verzichtet, diese Klauseln in Verträge einzusetzen, nachdem das Bundeskartellamt Ermittlungen aufgenommen hatte.

Gegenwind bläst Amazon derzeit in Frankreich ins Gesicht: Dort hat das Parlament beschlossen, die Kumulation von Nachlässen und kostenlosem Versand bei Buchlieferungen im Onlinehandel zu verbieten (»Lex Amazon«).

Michael Roesler-Graichen, Tamara Weise

Dieser Artikel ist zuerst im Börsenblatt 27/2014 erschienen. Mehr zum Thema lesen Sie im aktuellen Heft.