Festivals, Regionalmessen, Märkte

Schaufenster der Independents

18. Juli 2014
von Nils Kahlefendt

On the Road mit Bücherkisten, Tapeziertisch und Wechselgeldkasse: Mini-Messen und Märkte wie das Stelldichein der kleinen Feinverlage am LCB an diesem Wochenende sind in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen. boersenblatt.net hat eine Auswahl von Klassikern und Newcomern zusammengestellt. 

Klar doch: Auch Indie-Verlage würden ihre Programme gern stapelweise in der Kassenzone jeder deutschen Buchhandlung verkaufen. Dass sie es im Sortiment nicht leicht haben, ist kein Geheimnis. Festivals, Regionalmessen und Märkte können die Präsenz im Handel nicht ersetzen – bieten sich aber als Schaufenster an. Ganze Programme, nicht nur die jeweiligen Spitzentitel, werden in voller Breite sichtbar, hinzu kommt die Chance, direkt auf Tuchfühlung mit den Lesern (und potentiellen Käufern!) zu gehen. Empirische Forschung mit der Wechselgeldkasse. Manchmal bleibt dann sogar noch Zeit, mit netten Kollegen zu fachsimpeln – oder einmal in Ruhe in deren Büchern zu blättern.

Besäßen sie die Gabe der Multilokalität, würden sie wohl noch ausdauernder tingeln. Ein Zweitwohnsitz in der Toscana lässt sich so allerdings nicht finanzieren. Manch einer ist schon froh übers Gästebett bei Freunden in der fremden Stadt. Und einen dreistelligen Reingewinn. Während die beiden deutschen Buchmessen in Frankfurt und Leipzig dem Direktverkauf am Stand enge Grenzen gesetzt haben, gibt es inzwischen eine wachsende Zahl von Märkten, Buch-Basaren und Mini-Messen, die Literatur direkt vom Erzeuger bieten. Selbst auf Weihnachtsmärkten schieben Verleger schon mal vier Wochen Doppelschichten. Neben ‚Klassikern’ wie der Mainzer Minipressen-Messe, den „Linken Buchtagen“ im Kreuzberger Mehringhof und ungezählten lokalen Initiativen haben sich in den letzten Jahren auch Literaturhäuser als Marktplätze für kleinere Verlage profiliert, dazu bieten Kunst- und Designmärkte gerade in der Vorweihnachtszeit ein interessantes Umfeld für junge Indies. 

 

Kleine Verlage am Großen Wannsee (Berlin)

Seit 2006 lädt das Literarische Colloquium Berlin (LCB) handverlesene Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein, ihre Bücher und Autoren vorzustellen. Parallel zur „Gartenmesse“ finden im Haus, auf der Terrasse und in der Rotunde am See Präsentationen, Lesungen und Diskussionen im Viertelstundentakt statt. Bei der neunten Auflage am Wochenende sind 22 Verlage dabei – von A 1 (München) bis Voland & Quist (Dresden). Die Mischung aus perfekt organisiertem Publikums-Event und sommerlich-lockeren Branchentreff hat die Veranstaltung in knapp zehn Jahren zum „Klassiker“ gemacht – und natürlich ist der Postkarten-Blick von der Villa zum See einfach unschlagbar.

LCB, 19. Juli, ab 14 Uhr

http://www.lcb.de

 

text & talk – Buchmesse für unabhängige Verlage in NRW (Düsseldorf)

2013 fand auf dem westfälischen Kulturgut Haus Nottbeck (Oelde) die erste Regional-Messe für unabhängige Verlage aus NRW statt. Neben Messeständen gab es auch Bühnen, die den Verlagen die Möglichkeit boten, ihre Programme einem interessierten Publikum vorzustellen. In diesem Jahr wird  „text & talk“ Anfang September im Düsseldorfer Goethe-Museum ausgerichtet, organisiert wiederum vom Literaturbüro NRW. Mit 40 Verlagen aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland – darunter bekannte Namen wie Lilienfeld, Weidle oder Pendragon – ist die Messe bereits ausgebucht; für die Zukunft denken die Organisatoren auch an Gastverlage aus anderen Bundesländern. Gefördert wird „text & talk“ durch die Kulturstiftung NRW und das Kultusministerium. Für Besucher ist der Eintritt frei, Verlage zahlen eine Teilnahmegebühr von 75 Euro. Wird die Düsseldorfer Premiere ein Erfolg, wollen die Veranstalter die Messe künftig alternierend in Oelde und Düsseldorf über die Bühne gehen lassen.

Goethe-Museum Düsseldorf, 6./7. September, jeweils 11-18 Uhr

Projektleitung: Michael Serrer, Literaturbüro NRW

http://literaturbuero-nrw.de

 

Buchlust (Hannover)

Seit 2000 präsentiert die „Buchlust“, eingeladen von einer Fachjury, rund 20 Independent-Verlage in der Literaturetage des Künstlerhauses Hannover. Auch hier gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm mit Lesungen und Ausstellungen; zu jeder „Buchlust“ erscheint ein Katalog. Mit der 1994 aus der Taufe gehobenen Veranstaltung sollte ursprünglich der Kleinverlags-Szene Niedersachsens ein Forum gegeben werden, daneben wurden jeweils Verlage aus einem „Gastbundesland“ eingeladen, 2008/9 Verlage der Kurt-Wolff-Stiftung. Im Jubiläumsjahr 2013 reisten 33 beste unabhängige Verlage aus Deutschland, Österreich und der Schweiz nach Hannover. Zum Ende der Veranstaltung wird der (2013 mit 1000 Euro) dotierte Buchlust-Publikumspreis vergeben.

Literaturhaus Hannover, 8./9. November

Projektleitungt: Kathrin Dittmer

www.literaturhaus-hannover.de

Andere Bücher braucht das Land (München)

2007 lud das Literaturhaus München erstmals rund 30 Independents aus dem deutschsprachigen Raum zu diesem Markt der unabhängigen Verlage und besonderen Bücher ein – er bildet inzwischen den traditionellen Abschluss des Literaturfests München. Das Rahmenprogramm bietet zahlreichen Lesungen und Veranstaltungen auf; vor allem die Diskussionsrunden zum literarischen Markt und zur Verlagsbranche sind sehr gut besucht. Seit 2009 wird zum Markt-Auftakt am Freitag der mit 5000 Euro dotierte Preis des Kultusministeriums für einen bayerischen Kleinverlag vergeben; erster Preisträger war der Mixtvision Verlag (München). Seit 2009 wird, je nach Standgröße, ein Werbezuschuss von 100/50 Euro erhoben, die Veranstaltungen der Verlage werden jedoch vom Haus bzw. aus Mitteln der Stadt bezuschusst.

Literaturhaus München, 5./7. Dezember

Koordination: Alke Müller-Wendlandt

www.literaturhaus-muenchen.de

 


Holy.Shit.Shopping. (Berlin/Köln/Hamburg/Stuttgart)

Der alternative Weihnachtsmarkt startete 2004 im Berliner Café Moskau und ist dann sukzessive gewachsen. An vier Advents-Wochenenden verwandeln sich alte Industriehallen in gigantische Pop-up-Stores. Heute ist HSS ein Kunst- und Designmarkt, der jeweils rund 150 handverlesene junge Produktgestalter und Künstler präsentiert – und zaghaft auch von Indie-Verlagen gebucht wird, die in dieses Umfeld passen. Regelmäßig dabei sind unter anderem Kookbooks, Reprodukt, Binooki, Voland & Quist oder der Verbrecher Verlag. Die Standmieten, gestaffelt nach Fläche, betragen zwischen 120 bis 200 Euro, das Publikum zahlt 4 Euro Eintritt. Im Schnitt werden an einem Wochenende zwischen 6000 – 12000 Besucher erreicht, nicht zuletzt dank kräftig gerührter Werbetrommeln (flächendeckende Plakatierung in einschlägigen Szenevierteln, bundesweit bis zu 60.000 verteilte Werbepostkarten, Social Media Marketing). Das Konzept, Kunst und Design, Musik und Party in hippen Locations zu vereinen, erwies sich als so erfolgreich, dass es aus Berlin auch nach Hamburg, Stuttgart und Köln exportiert wurde. Im Jubiläumsjahr 2014 (Anmeldestart: 15. September!) wollen die Organisatoren ein besonders großes Rad drehen.

Köln: Sartory-Säle, 29./30. November

Berlin: Kraftwerk, 6./7. Dezember

Hamburg: Messe, 13./14. Dezember

Stuttgart: Phönixhalle im Römerkastell, 20./21. Dezember

Organisation: Team Deluxe, Berlin

Booking: Harriet Udroiu / harriet@team-de-luxe.de 

www.holyshitshopping.de

 


The Millionaires Club (Leipzig)

Der Name mag täuschen: Der „Millionaires Club“ ist ein von Absolventen aus dem Umfeld der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) begründetes Low-Budget-Festival für Comics, Plakate und Grafik, das über drei Tage parallel zur Leipziger Buchmesse in der Galerie KUB über die Bühne geht und inzwischen Künstler aus ganz Europa anzieht. Selbst Comic-Gott Chris Ware aus den USA war schon in diesem illustren Club zu Gast, der neben Ausstellungen auch mit Workshops und – natürlich – einer tollen Party punktet. Reichtum meint im „Millionaires Club“ eher Vielfalt als dicke Kohle.

The Millionaires Club 

Leipzig, 12./14. März 2015

Galerie KUB, Kantstraße 18

http://themillionairesclub.tumblr.com

 

Linke Buchtage (Berlin)

„Manche meinen lechts und rinks kann man nicht velwechsern“, diesen Irrtum klärte schon Ernst Jandl auf. Fakt ist: Einmal im Jahr, zumeist Ende Mai/Anfang Juni, organisiert ein wechselndes Team von Engagierten gemeinsam mit Autoren und Verlagen im Kreuzberger Mehringhof die „Linken Buchtage“. Die Organisatoren suchen den Kontakt zum politisch interessierten Publikum und gestalten drei Tage mit einem abwechslungsreichen Angebot an Lesungen, Filmen und Diskussionen. Beteiligt sind mehr als 30 linke und unabhängige Verlage.

Linke Buchtage 2015, Mehringhof, Termin noch offen

Organisation: Netzwerk e.V., Mehringhof e.V.

http://www.mehringhof.de


Mainzer Minipressen-Messe (Mainz)

Der Klassiker. „Für die durch Internet und Medien geschundenen Buchmenschen“, meinte der Antiquar und Verleger Riewert Quedens Tode, sei die Mainzer Minipressen-Messe „auch so etwas wie eine Heil- und Pflegeanstalt: Sie heilt das pessimistische Denken vom Untergang der Buchkultur und pflegt... die Liebe zu den besonders schönen Büchern.“ Vor fast 40 Jahren gegründet und aus bescheidenen Anfängen zur internationalen Buchmesse für Kleinverlage und künstlerische Handpressen gewachsen, gilt die MMPM heute als die älteste Veranstaltung ihrer Art in Europa. Sie findet aller zwei Jahre statt und wurde bis 2011 jeweils an Himmelfahrt in den Großzelten am Mainzer Rheinufer eröffnet. Rund 350 Aussteller aus mehr als 15 Ländern locken im Schnitt 10.000 Besucher an. Das üppige Rahmenprogramm versammelt Dutzende Kultur- und Fachveranstaltungen; ein Höhepunkt ist die Verleihung des seit 1979 vergebenen, nach dem Verleger, Autor und Literaturförderer V. O. Stomps benannten Preises. Er honoriert Qualität und persönliches Engagement im Bereich der Kleinverlagsszene. 2013 wechselte die MMPM in die Rheingoldhalle, aus organisatorischen Gründen musste man sich vom Himmelfahrts-Termin verabschieden.

23. Mainzer Minipressen-Messe 2015, Rheingoldhalle, Termin noch offen

Organisation/Kontakt: Jürgen Kipp / juergen.kipp@stadt.mainz.de

http://www.minipresse.de

 

Lyrikmarkt (Berlin)

Der erstmals zum zehnjährigen Jubiläum der Plattform lyrikline.org eröffnete, seitdem im Rahmen des Poesiefestivals Berlin stattfindende Lyrikmarkt ist ein Eldorado für Liebhaber des Gedichts. Unter freiem Himmel, auf dem Vorplatz der Akademie der Künste am Hanseatenweg, bieten ausgewählte Verlage und Antiquariate von Suhrkamp bis Peter Engstler poetische Neuerscheinungen, Fundstücke und Raritäten an. Auch Lyrik-Buchhandlungen sind dabei – so etwa der auf dem englischen Sprachraum spezialisierte Saint George’s Bookshop (Berlin). Auf zwei Bühnen gibt es dazu Lesungen und Konzerte. Ein wunderbares Projekt, das beweist: Auch Poesie ist marktfähig!

Lyrikmarkt im Rahmen des 16. Poesiefestivals Berlin, Juni 2015

Organisation: Literaturwerkstatt Berlin

http://www.literaturwerkstatt.org/de/poesiefestival-berlin