Schulbuchgeschäft

"Der Aufklärungsbedarf ist immer noch groß"

30. Juli 2014
von Börsenblatt
Das Schulbuchgeschäft läuft im Sortiment auf Hochtouren – und beschäftigt gleichzeitig Richter und Staatsanwälte. Börsenvereins-Justiziar Christian Sprang über aktuelle Urteile, die allen Buchhandlungen klare Grenzen aufzeigen. Und Amazons Affiliate-Programm für Schulfördervereine als Preisbindungsverstoß einordnen.

Das Landgericht Berlin hat gleich zwei gute Gründe dafür gefunden, warum das Affiliate-Modell von Amazon bei Schulbuchbestellungen durch Fördervereine unzulässig ist – wettbewerbsrechtlich und preisbindungsrechtlich. War damit zu rechnen, dass die Entscheidung so eindeutig ausfällt?

Sprang: Wir haben bewusst beide Aspekte in unsere Klage aufgenommen – und sind natürlich sehr froh darüber, dass die Richter unsere Ansicht in der Urteilsbegründung teilen. Wettbewerbsrechtlich ist der Fall ganz eindeutig, die Begründung sehr schlüssig: Zahlungen aus dem Affiliate-Programm sind geeignet, unzulässigen sozialen Druck auf Schüler und Eltern auszuüben. Sie könnten das Gefühl haben, ihre Schulbücher über den Förderverein bei Amazon kaufen zu müssen – das ist ein klarer Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht. Beim Thema Preisbindung kommen die Berliner Richter zu dem Schluss, dass Systeme wie das Affiliate-Programm Absatzförderungsmaßnahmen sind, die sich auf den Wettbewerb auswirken und damit letztlich die Preisbindung unterlaufen.

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Amazon wird vermutlich in Berufung gehen. Das ist der Wermutstropfen, oder?

Sprang: Nur bedingt. Das Urteil reicht zumindest aus, um allen, die im Buchhandel ähnliche Systeme verwenden, klarzumachen, dass solche Lockmittel nicht zulässig sind  – weder zivilrechtlich noch strafrechtlich, wie die Ermittlungen der Erfurter Staatsanwaltschaft zum Schulbuchgeschäft in Thüringen nahelegen. Insofern würden wir, wenn wir von parallelen Fällen erfahren, auf jeden Fall eine Einstweilige Verfügung gegen den Systembetreiber erwirken. Und außerdem sind wir natürlich sehr zuversichtlich, dass die Entscheidung irgendwann rechtskräftig sein wird.

Wie kann es eigentlich sein, dass die Erfurter Staatsanwaltschaft Durchsuchungen gegen Unternehmen in Thüringen anordnet – und Amazon sein Affiliate-Programm unbehelligt durchziehen durfte?

Sprang: Der Sachverhalt ist sicher ähnlich – aber das System in Thüringen ist speziell dafür entwickelt worden, um Rückvergütungen im Schulbuchgeschäft durchzuführen. Das ist bei Amazon anders. Außerdem hat der Online-Händler jahrelang zu Recht keine Fördervereine zum Affiliate-Programm zugelassen. Insofern stellte sich das Problem erst, als Amazon plötzlich von diesem Kurs abgewichen ist. Deshalb sind wir vor Gericht gegangen.

In der vergangenen Woche gab es noch einen weiteren Gerichtsbeschluss zum Schulbuchgeschäft – diesmal aus München. Demnach ist das Einsortieren einer Schulbücherei eine unzulässige Nebenleistung. Wird der Service-Spielraum damit für den Buchhandel noch enger?

Sprang: Der Münchner Fall ist sehr spezifisch. In der Regel halten sich die Kommunen bei ihren Schulbuchausschreibungen an das, was wir in unseren Merkblättern als handelsübliche Nebenleistung aufführen. Der Fall, dass eine Bibliothek neu gegründet wird und von der betreffenden Buchhandlung sortiert werden soll, kam zum ersten Mal auf und ist in den Merkblättern deshalb noch nicht zu finden. Das wird nun nachgetragen. Sehr positiv an dem Urteil ist die klare Begründung, dass ein solch zeitaufwendiger Service, der qualifiziertes Personal erfordert, nicht im Preis des Buchs inbegriffen sein kann - und eben deshalb keine handelsübliche Nebenleistung darstellt.

Wächst die Verunsicherung im Sortiment, was erlaubt ist – und was nicht? Klingeln die Telefone in der Rechtsabteilung des Börsenvereins Sturm?

Sprang: Das Schulbuchgeschäft ist schon immer extrem beratungsintensiv gewesen. Ich glaube, dass kaum jemand ahnt, wie aufwändig jede Schulbuchsaison in der Betreuung durch die Rechtsabteilung des Börsenvereins ist. Eine Dreiviertelstelle, besetzt mit einem erfahrenen Rechtsanwalt, dürfte im Durchschnitt eines Jahres ausschließlich dafür reserviert sein. Bestürzend daran ist, dass offenbar trotzdem sehr viele grundsätzliche Dinge noch nicht bekannt sind – wie man an dem Fall in Thüringen sieht.

Woran liegt's?

Sprang: Für viele Buchhandlungen ist das Schulbuchgeschäft eine Art zweites Weihnachtsgeschäft – auch wenn die Rabatte der Verlage niedrig sind. Der Konkurrenzdruck ist hoch. Gleichzeitig müssen die Schulfördervereine finanzielle Lücken füllen, die der Staat durch seinen Sparkurs hinterlässt – beides zusammen sorgt für eine explosive Mischung. Nicht nur im Buchhandel, auch bei Schulen und Ministerien herrscht nach wie vor Aufklärungsbedarf.

Wie kann der Börsenverein dafür sorgen, dass der Tenor der aktuellen Urteile durchdringt?

Sprang: Für diese Saison ist die Sache natürlich gelaufen, die Aufträge sind erteilt, die Kugel rollt auf der abschüssigen Bahn. Aber wir sind gerade dabei, unsere Merkblätter um die aktuellen Urteile zu ergänzen. Außerdem werden wir gemeinsam mit den Landesverbänden des Börsenvereins die einzelnen Kultusministerien ansprechen, um bei allen Beteiligten das Problembewusstsein zu schärfen. Am Ende sollen Handreichungen stehen, die nicht nur auf dem aktuellen Stand sind – sondern auch entsprechende Akzeptanz auf allen Ebenen finden.

Amazon ist der große Wettbewerber, auf den alle blicken – aber müssen auch die kleinen und mittleren Buchhändler und die Schulen vor Ort vorsichtiger bei der Wahl ihrer Mittel sein?

Sprang: Unbedingt. Nehmen Sie die Schulbuchtische, die es landauf, landab gibt: Die Schulen wollen den Eltern den Schulbuchkauf heute so leicht wie möglich machen und sicherstellen, dass die Kinder ihre Bücher zum Schulanfang auch wirklich haben. Also holen sie eine Buchhandlung ihrer Wahl in die Schule, damit die Schüler bzw. deren Eltern den Einkauf über einen Schulbuchtisch schnell erledigen können. Doch dabei fehlt es häufig an Sensibilität für das rechtlich Zulässige. Denn unter mehreren interessierten Buchhandlungen am Ort eine einzelne herauszupicken, die über Jahre hinweg den Schulbuchtisch betreut – das ist Haus- und Hoflieferantentum. Die öffentliche Hand darf nicht derart in den Wettbewerb eingreifen.

Was für Amazons Affiliate-Programm gilt, gilt also genauso gut für den Schulbuchtisch am Ort…

Sprang: … und für die Schulfördervereine. Die Vereine haben ein gerüttelt Maß dazu beigetragen, dass sich rechtswidrige Systeme so ausbreiten konnten. Schulen, die keinen Büchertisch anbieten, wickeln die Elternbestellungen in der Regel über die Fördervereine ab – nur eben nicht als Service, sondern mit dem Hintergedanken, die Vereinskassen zu füllen. Das ist zwar verständlich, aber dennoch ein Gesetzesbruch, der sich, wie die Ermittlungen in Erfurt zeigen, sogar dem strafrechtlich relevanten Bereich der Bestechlichkeit nähern könnte. Allerdings sollten wir uns auch davor hüten, die Partner im Schulbuchgeschäft unter Generalverdacht zu stellen: Bundesweit verhalten sich viele Buchhandlungen, Schulträger und Fördervereine völlig korrekt. Was zeigt: Es geht auch anders.