EuGH-Urteil zur Mehrwertsteuerfrage

Einheitlicher Steuersatz für Bücher und E-Books ist keine Verpflichtung

22. September 2014
von Börsenblatt
Wenn EU-Länder gedruckte und digitale Bücher bei der Umsatzsteuer unterschiedlich behandeln, dann verstoßen sie mit dieser Regelung nicht gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität. Zu diesem Ergebnis kommt der Europäische Gerichtshof in einem lange erwarteten Urteil − das aus Sicht des Börsenvereins allerdings wenig überraschend ausfällt.

Der Tenor des Urteils, das am 11. September veröffentlicht wurde und einen Rechtsstreit des Verlags K’Oy in Finnland betrifft: Europäisches Recht steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, bei der für gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuer-Satz gilt, während Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD, CD-ROM oder einem USB-Stick gespeichert sind, dem normalen Mehrwertsteuersatz unterliegen.

Das ist derzeit auch in Deutschland der Fall: Für gedruckte Bücher gilt der reduzierte Satz von sieben Prozent, für digitale Produkte der reguläre Steuersatz von 19 Prozent. Allerdings setzt sich der Börsenverein seit Jahren dafür ein, dass auch E-Books unter den ermäßigten Satz fallen – für Hörbücher hat die Bundesregierung den Steuersatz bereits gesenkt (ab 1. Januar 2015), beim E-Book soll zunächst eine Änderung des europäischen Steuerrechts abgewartet werden.

Die Einschätzung des Börsenvereins

Nach Angaben von Börsenvereinsjustiziar Christian Sprang ist das aktuelle Urteil aus Luxemburg im Ergebnis nicht überraschend. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe damit seine Linie fortgeführt, bei der Frage der Gleichartigkeit von Gegenständen (Büchern) und Dienstleistungen (E-Books) in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen: "Eine Verpflichtung zur gleichartigen Besteuerung hat der EuGH mit der vorliegenden Entscheidung jedenfalls abgelehnt". Nicht uninteressant ist für Sprang die im Urteil unter der Sachverhaltsschilderung aufgeführte Definition eines E-Books. Dort heißt es:

"Ein E-Buch gibt im Wesentlichen den Inhalt eines ursprünglich in gedruckter Form vorliegenden Buchs, dem es in der äußeren Gestaltung und Struktur überwiegend gleicht, auf einem physischen Träger wie einer CD oder einem USB-Stick wieder und kann auf einen Computer oder ein geeignetes Lesegerät geladen werden. Die elektronischen Versionen können jedoch in ihrem Inhalt und ihrer Struktur von gedruckten Büchern abweichen."

Abzuwarten bleibt aus Sicht des Börsenvereinsjustiziars, ob die Entscheidung des EuGH negative Auswirkungen auf die Bemühungen des Börsenvereins hat, das Mehrwertsteuerprivileg gedruckter Bücher auf E-Books auszuweiten. Das Urteil erkenne zwar an, dass gedruckte Bücher und E-Books denselben Bedürfnissen der Verbraucher dienen, verneine gleichwohl aber die Gleichartigkeit der Angebote und damit einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot. "Diese Argumentation wurde in der Vergangenheit häufiger ins Feld geführt, wenn Gründe für die Ablehnung der Umsatzsteuerreduzierung für E-Books gesucht wurden", so Sprang. "Aus Sicht des Börsenvereins ist eine solche Schlussfolgerung jedoch nicht zwingend, zumal es hierzulande den erklärten politischen Willen gibt, den hohen Stellenwert von Büchern für Kultur und Bildung auch bei digitalen Werken anzuerkennen."

Die endgültige Prüfung und Beantwortung der aufgeworfenen Fragen hat nun vom Obersten Verwaltungsgericht in Finnland zu erfolgen, das den Fall zunächst an den EuGH verwiesen hatte. Das Urteil aus Luxemburg zur Mehrwertsteuerfrage war mit Spannung erwartet worden - nicht zuletzt aufgrund der Vertragsverletzungsverfahren, die derzeit gegen Frankreich und Luxemburg laufen.

In beiden Ländern gelten seit 2012 für E-Books wie für gedruckte Bücher Mehrsteuersätze von sieben beziehungsweise drei Prozent – die EU-Kommission befürchtete daraufhin "massive Wettbewerbsverzerrungen", weil die großen Konzerne Apple und Amazon ihr E-Book-Geschäft von Luxemburg aus betreiben und derzeit vom Mehrwertsteuergefälle innerhalb der EU profitieren. Das ändert sich allerdings ab 1. Januar 2015 ohnehin, weil dann in der Steuerfrage das "Bestimmungslandprinzip" greift – dann wird derjenige Steuersatz fällig, der im Heimatland des Kunden gilt.

Der EuGH-Fall im Detail

Den Hintergrund des Rechtsstreits vor dem EuGH hat Kyra Dreher, Geschäftsführerin des Sortimenter-Ausschusses, für den Börsenverein genauer ausgeleuchtet:

Der finnische Verlag K'Oy hatte beim Zentralen Steuerausschuss Finnlands einen Vorbescheid beantragt, um zu klären, ob auf anderen physischen Trägern als Papier gespeicherte Bücher, die den geschriebenen Text eines gedruckten Buches wiedergeben, als „Bücher“ im Sinne des finnischen Mehrwertsteuergesetzes angesehen werden können, deren Verkauf einem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen.

Der Zentrale Steuerausschuss hatte die Frage abschlägig entschieden. K'Oy legte daraufhin Berufung beim Obersten Verwaltungsgericht ein mit der Begründung, es verstoße gegen den Grundsatz der steuerlichen Neutralität, dass ein Mitgliedstaat einen ermäßigten MwSt.-Satz nur auf gedruckte Bücher anwende, nicht aber auf Bücher, die auf anderen physischen Trägern gespeichert seien. Das Oberste Verwaltungsgericht legte daraufhin dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor:

  • Stehen die europäischen Regelungen der Mehrwertsteuer-Richtlinie unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Neutralität einer nationalen Regelung entgegen, nach der auf gedruckte Bücher ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz angewandt wird, auf Bücher, die auf anderen physischen Trägern wie einer CD oder CD-ROM oder USB-Sticks gespeichert sind, jedoch der normale Steuersatz?
  • Spielt es für die Beantwortung der obigen Frage eine Rolle, ob ein Buch zum Lesen oder zum Anhören bestimmt ist, ob es von dem auf physischen Trägermedien gespeicherten Buch ein gedrucktes Buch gleichen Inhalts gibt und ob bei einem auf einem anderen physischen Träger als Papier gespeicherten Buch technische Eigenschaften dieses Trägers, wie Suchfunktionen benutzt werden können?

Der EuGH führt in seinem Urteil aus, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität nicht zulässt, gleichartige Gegenstände oder Dienstleistungen, die miteinander im Wettbewerb stehen, hinsichtlich der Mehrwertsteuer unterschiedlich zu behandeln.

Bei der Beantwortung der Frage, ob Gegenstände oder Dienstleistungen gleichartig sind, sei in erster Linie auf die Sicht des Durchschnittsverbrauchers abzustellen. So sind Gegenstände oder Dienstleistungen dann gleichartig, wenn sie

  • ähnliche Eigenschaften haben und
  • dem Verbraucher bei der vergleichbaren Verwendung denselben Bedürfnissen dienen und
  • wenn die Unterschiede die Entscheidung des Verbrauchers zwischen diesen Gegenständen und Dienstleistungen nicht erheblich beeinflussen.

Der EuGH stellt ferner fest, dass das Europäische Recht die Mitgliedstaaten keineswegs dazu verpflichte, auf alle Bücher, unabhängig davon, auf welchem physischen Träger sie gespeichert sind, einen identischen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden. Vielmehr sei es Sache der Mitgliedstaaten (unter Beachtung des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität) die physischen Träger zu bestimmen, auf die der ermäßigte Mehrwertsteuersatz angewandt wird.

Jedenfalls sei es gerechtfertigt, dass die nationale Regelung für die Lieferung von Büchern auf anderen Trägern als Papier nicht den für die Lieferung gedruckter Bücher geltenden Mehrwertsteuersatz gewähre.

Nun hat das vorlegende Oberste Verwaltungsgericht in Finnland zu prüfen, ob gedruckte Bücher und auf anderen physischen Trägern gespeicherte Bücher Erzeugnisse sind, die vom Durchschnittsverbraucher als gleichartig angesehen werden können. Zu diesem Zweck wird es zu bewerten haben, ob diese Bücher ähnliche Eigenschaften haben und nach dem Kriterium der Vergleichbarkeit in der Verwendung denselben Bedürfnissen dienen, um zu ermitteln, ob die bestehenden Unterschiede die Entscheidung des Durchschnittsverbrauchers, das eine oder das andere Buch zu wählen, erheblich oder spürbar beeinflussen.