Kommentar: Gründe, die zu Sven Funds Ablösung geführt haben könnten

Mutmaßungen über einen Modernisierer

24. Oktober 2014
von Börsenblatt
Die Meldung vom 23. Oktober, dass Sven Fund, seit 2008 Geschäftsführer von De Gruyter, den Berliner Wissenschaftsverlag mit sofortiger Wirkung verlässt, hat viele sprachlos gemacht. Mit dieser Knall-auf-Fall-Entscheidung hatte wohl kaum jemand, vor allem Fund selbst nicht, gerechnet. Was ist geschehen? Was wirft man Fund vor? Sah der fünfköpfige Beirat, der bei De Gruyter die Personalhoheit hat, den Verlagszug in die falsche Richtung fahren – und zog er deshalb die Notbremse?
Der Verlag selbst schweigt beharrlich zu der Entscheidung. Auch Rüdiger Gebauer, der dem Beirat vorsitzt und wie Sven Fund vom wissenschaftlichen Springer-Verlag zu De Gruyter kam, war bisher nicht für eine Stellungnahme zu bekommen. Fund selbst ist im Verlag nicht mehr zu erreichen (seine E-Mail-Adresse ist bereits deaktiviert) und will sich zu seiner Ablösung auch nicht äußern. Was genau der Auslöser für die Personalentscheidung war, bleibt also zunächst unbekannt. Es gibt aber Hinweise darauf, dass der Modernisierungskurs, den der 41 Jahre alte studierte Politikwissenschaftler und Historiker in den vergangenen Jahren eingeschlagen hat, die Gesellschafter, die durch Martin-Georg Cram auch im Beirat vertreten sind, zunehmend irritiert hat. 

Fund hat seit Mai 2008, als er die Verlagsführung von Klaus G. Saur übernommen hat, die Internationalisierung und Digitalisierung von De Gruyter mit großem Tempo und bisweilen ohne Rücksicht auf eingeübte Verhaltensweisen der Mitarbeiter vorangetrieben. Er hat das Unternehmen den Anforderungen der digitalen Buch- und Bibliothekswelt angepasst und, wo es sinnvoll erschien, Schnittstellen zu Wissens- und Rechercheplattformen geschaffen, die die Wissenschafts-Community im Internet nutzt. Und er hat für Wachstum gesorgt: Der Verlagsumsatz stieg unter Fund von ca. 35 Millionen Euro (2008) auf ca. 53 Millionen Euro (2013).

Während seiner Zeit wurden die Strukturen im Verlag umgekrempelt, verließen nach Angaben von Beobachtern bis zu 40 Mitarbeiter mehr oder weniger freiwillig das Haus, und wurden neue Positionen geschaffen. Die Fluktuation war groß, und unter den Abgängern waren auch einige, die Funds Modernisierungskurs zuvor nach Kräften unterstützt hatten – so vor allem Alexander Grossmann (Vice President Publishing), der seit Juli 2013 Professor an der HTWK in Leipzig ist, und Katrin Siems (Vice President Marketing & Sales), die vor einem Jahr zum Beuth Verlag wechselte.

Möglich, dass die von Fund entfesselte Dynamik nicht nur die Belegschaft, sondern auch die Gesellschafter schwindeln machte. Der Ankauf zahlreicher Plattformen und die große Zahl an Vertriebskooperationen, der Ausbau des Wissenschaftsverlags zu einer Content-Vertriebsplattform für andere Verlage (Harvard University Press, Princeton University Press und acht weitere Unternehmen), die Open-Source-Policy, die elektronische Inhalte für Wikipedia zur Verfügung stellte, und jüngst die Zusammenarbeit mit dem Selfpublishing-Dienstleister Publoris – all dies hat offenbar im Beirat und in Teilen des Managements den Eindruck verstärkt, dass das Zentrum der verlegerischen Arbeit dabei aus dem Blick zu geraten drohte. Zudem schien auch nicht jeder Verlagszukauf in die vorhandenen Strukturen zu passen – so etwa der Kauf des Architekturverlags Birkhäuser, der herstellerisch vollkommen andere Prozesse erfordert als eine die wissenschaftlichen Publikationen der anderen Verlagsimprints.

Die Personalentscheidung kann deshalb auch implizit als Botschaft aufgefasst werden, dass ungeachtet der dramatischen Veränderungen in der Buchbranche die Autoren und deren wertvolle Inhalte im Mittelpunkt der verlegerischen Aktivitäten stehen müssen. De Gruyter ist aber in den vergangenen Jahren nicht sosehr durch programmatische oder editorische Großtaten aufgefallen, sondern vor allem durch Strukturveränderungen, die im Blick auf die 265-jährige Verlagsgeschichte als mehr als „disruptiv“ erscheinen müssen.

Es ist nicht das erste Mal, dass ein Modernisierer im Medienbereich plötzlich aus dem Rennen genommen wird – wenn auch aus im Einzelfall sehr unterschiedlichen Gründen. Im Zeitungsgewerbe ist das an der Tagesordnung, in traditionsreichen Buchverlagen eher die Ausnahme. Bei Klett sah sich die Eigentümerfamilie im September 2007 zur Trennung vom angestellten Geschäftsführer Uwe Brinkmann genötigt, als dieser sich zu weit vom Kerngeschäft des Verlags entfernte. Nun trifft es Sven Fund, den „Shooting Star“ der Wissenschaftsverlags-Szene, der seine Karriere einst bei Bertelsmann begann, und dem viele in der Branche gute Arbeit bescheinigen. Er ist vielleicht das vorerst letzte Opfer eines „clashs of mentalities“, dem zuvor zahlreiche Mitarbeiter selbst zum Opfer fielen.