Eisbrecher-Tour

Eisbrecher #3: Leipzig

22. Oktober 2015
von Nils Kahlefendt
Eisbrecher, die Dritte: Das bunte „OPEN“-Schild funkt Signale in die Nacht und im Octagon, dem kleinen Architekten-Work-Space an der Merseburger Straße, herrscht drangvolle Enge. „In Hamburg war’s gemütlich, in Berlin retro, aber hier ist es cool“, findet Dorothee Werner. Und überhaupt: Passieren nicht die spannendsten Dinge, wenn sich Leute begegnen, die sich vorher nicht kannten?

In Leipzig ist man branchenübergreifend neugierig, und so freuen sich die lokalen Organisatoren Jakob Jochmann und Michael John an diesem Abend neben vielen neuen Gesichtern auch über Michael Körner und Christiane Born vom Amt für Wirtschaftsförderung, Christian Rost vom Verein Kreatives Leipzig, Ernst-Peter Biesalski, Professor an der Fakultät Medien der HTWK oder Gritt Philipp von der Buchmesse. Rasch ist man im Gespräch – und leiht sich für die Präsentation auch schnell mal den USB-Stick vom Kollegen.

Die eierlegende Wollmilchsau

Bei der 20th Century Fox oder Walt Disney, wo Robert Merkel mehr als zehn Jahre arbeitete, hatte man als Director Anspruch auf zwei Yucca-Palmen im Büro – für niedere Chargen gab’s, wenn überhaupt, nur eine. „Auf solche Spielchen“, sagt Robert, „hatte ich keinen Bock mehr“. Nun hat er mit einem alten Kindergartenfreund die eigene Firma gegründet. Mit dem Digitalverlag frankly will die Life Media AG zwar nicht das Rad neu erfinden, aber immerhin einen Gegenentwurf zur amerikanischen Internet-Unternehmenskultur etablieren. Eine Art „Youtube für Publishing mit angeschlossenem iTunes-Store“, eine „eierlegende Wollmilchsau“ also: Wenn das Sascha Lobo wüsste.

frankly will Nachwuchsautoren, aber auch prominenten Namen, die man gerade akquiriert, Herstellung und Distribution bieten, unterlegt von einer eigens entwickelten Software. Ein ausgeklügeltes Marketing-Konzept soll Sichtbarkeit schaffen. Der Startschuss für frankly fällt zur Leipziger Buchmesse. „Wir waren zu jung, als Napster die Musikindustrie revolutionierte“, meint Robert selbstbewusst – für das eigene Start-up sei die alte Buchstadt genau der richtige Ort. „Das Neue wird hier entstehen“, ist er überzeugt, „nicht in einer gesetzten Stadt wie Berlin“. Die größte Hürde bisher? Bürokratie: „In Deutschland dauert eine Gründung Wochen, in Irrland wäre man in 45 Minuten durch.“

Mucke machen

„Heute Abend ist unser erster Pitch“, sagt Robert Junge, aber als solventer Venture-Kapitalist würde man dem sympathischen Bartträger sofort ein paar Euro durchreichen. Zusammen mit seinem Partner Fabian Sachsenröder hat Robert vor wenigen Monaten das Portal takadimi angeschoben, das Musikschüler und professionelle Lehrer zusammenbringen will. Die Idee ist sinnvoll: Geschätzt eine Million Schüler aller Altersgruppen stehen rund 25.000 freie Lehrer gegenüber; von den rund 428 Millionen Euro, die eine schrumpfende Zahl von Musikschulen erwirtschaftet, fließt mehr als ein Drittel in die Verwaltung. Takadimi, das freie Musiklehrer fairer bezahlen will als bisher, soll mehr als eine Vermittlungs-Plattform, ein „Schwarzes Brett“ sein: Innerhalb der Community könnten Ensembles zusammengestellt oder Konzerte organisiert werden – gemeinsam und mit Freude musizieren heißt letztlich: besser lernen. Hier sehen die beiden Gründer auch einen Link zur Branche: Interessierte Musikverlage könnten als Kooperationspartner oder Investoren mit ins Boot geholt werden; der Vertrieb von Noten oder Lehrbüchern über das Portal wäre denkbar. Mit endlosen Planspielen, deutscher Gründlichkeit, halten sich Robert und Fabian nicht auf. „Wir machen und testen.“ Innerhalb kürzester Zeit haben sich allein in Leipzig 60 freie Musiklehrer auf takadimi registriert.

Banken lieben Technik

Als Start-up im eigentlichen Sinn mag man detektor.fm gar nicht mehr beeichnen – mit einem Deutschen Radiopreis und zwei Nominierungen für den Grimme Online Award gehört das vor fünf Jahren gegründete Leipziger Internetradio schon zu den Etablierten. Während alle Welt vom Medienwandel spricht, redet kaum einer vom Radio, das heute, wie Mitgründer Christian Bollert zurecht bemerkt, „im klassischen Markt nahezu totformatiert“ ist. Die Folgen sind bekannt: Während die Hörer von Deutschlandradio im Schnitt aufs Rentenalter zugehen, lebt detektor.fm von sozialen Netzwerken und lockt junge Leute von 20 bis 40 an. Bollert wird nicht müde, den pfiffigen Sparkassen-Mann zu preisen, der es den Gründern vor fünf Jahren ermöglichte, ihre Studiotechnik zu leasen. „Banken lieben Technik – Software finden die blöd.“ Heute gehören die Mikrofone den Machern. Die Finanzierung von detektor.fm ruht auf drei Säulen: Neben – intelligent verpackter – Werbung, Wissensvermittlung und Seminaren für Landesmedienanstalten oder Journalistenschulen arbeitet das Studio als Dienstleister – hier wird u. a. eine Audio-Version des SZ-„Streiflichts“ erstellt. Auf dem Weg zum Vollprogramm würde detektor.fm gern auch auf die Buchbranche zugehen – mit „Hardcover“ hat man immerhin schon ein eigenes Literaturformat am Start. Eines wollen Bollert und seine Mannschaft indes nicht: verkaufen und sich die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. „Wir wollen jeden Tag hochwertiges, anspruchsvolles Internet-Radio für Deutschland machen.“

Gedruckte Elektronik & Big Data

Mit Steve Paschky (Saralon) und Andreas Küstner (Datameer) lief der Eisbrecher zwei Themen an, die getrost Stoff für weitere Stunden geboten hätten: gedruckte Elektronik und Big Data. Saralon, erst im April gestartet, ist ein Spin-off des Instituts für Print- und Medientechnik der TU Chemnitz (pmTUC). In den letzten 15 Jahren hat sich das ‚sächsische Manchester’ zur deutschen Speerspitze in Sachen printed electronics entwickelt. Das Prinzip: Spezielle Polymer- und Nanomaterialien werden als Drucktinten so auf Papier oder Folie strukturiert, dass elektronische Bauteile entstehen. Ein Markt mit Potenzial, bedenkt man die Riesensummen, die weltweit in Produkt-Branding investiert werden - oder durch gefälschte Markenartikel verschütt gehen. Im eigenen Land scheint der Prophet (noch) nichts zu gelten: Seit Projektstart sind die Chemnitzer Tüftler und ihre indischen Kollegen mit Verpackungsherstellern und Markenartiklern in Westeuropa und den USA im Gespräch. Deutschland blieb bislang außen vor. Datameer, vor rund sieben Jahren von einer Handvoll Software-Entwickler gestartet, hatte seine Ursprünge im Consulting. Mit US-amerikanischem Venture Capital versorgt, implementiert die rasch gewachsene Firma mit Büros in New York und San Francisco heute Software für die Analyse großer Datenmengen. Die Kunden kommen aus der Finanzindustrie, dem Handel, aber die Werkzeuge sind erweiterbar. Auch mancher Verleger wüsste sicher gern, in welchen sozialen Netzen sich seine Kunden tummeln und wo sie online shoppen. Gut möglich, dass er es in der Großen Ullrichstraße zu Halle erfährt.

Rent an instrument

Ausklang mit Chilli con Carne, Schnittchen, Sternburg-Bier und Bionade. Schön zu sehen, wie wenig Berührungsängste es zwischen Digitalverlegern, Architekten, IT-Cracks, Radiomachern oder Piano spielenden Firmengründern gibt. Am Ende bekommt der Blog-Reporter sogar noch einen heißen Konzert-Tip: Mulatu Astatke, dessen Musik durch Jim Jarmuschs Film „Broken Flowers“ späte Berühmtheit erlangte, gastiert am Montag im Leipziger Schauspielhaus. Spielen wird der 71jährige Äthiopier auf dem Wurlitzer E-Piano von Robert Junge. Instrumente von Freunden: Könnte glatt eine neue Startup-Idee sein.

Fotos (c) Gaby Waldek