Arbeitsgemeinschaft Publikumsverlage

"Wir müssen uns jetzt stärker zu Wort melden"

3. März 2015
von Torsten Casimir
Die Mitgliederversammlung der Arbeitsgemeinschaft Publikumsverlage begann aus gegebenem traurigen Anlass mit viel Nachdenklichkeit. Mit einer Resolution erklärten sich die in der AG vertretenen Publikumsverlage "solidarisch mit den Opfern des feigen Anschlags auf das Satireblatt Charlie Hebdo und deren Angehörigen" - und verabschiedeten eine Resolution.

Zu Beginn der Tagung dankte René Strien vom Vorstand der AG dem Hauptamt des Börsenvereins für die schnelle, richtige Reaktion auf das Pariser Attentat. Die Frage liege nun unabweislich vor: "Was ist das eigentlich, was wir da tun als Büchermacher? Worin unterscheiden wir uns von anderen Herstellern von Gütern?" Zu besprechen sei, wie unsere Branche konkret reagieren könne auf die dramatischen Vorfälle von Paris. Strien berichtete von "sehr vielen einzelnen Aktionen und Engagements der Verlage in den vergangenen Tagen". Aus seiner Sicht steht für die nächsten Monate aber auch eine kollektive Sebstvergewisserung der Verlagsbranche an.

Vorsteher Heinrich Riethmüller erinnerte in seinem Grußwort an die Situation der Branche bei der Vorjahrestagung der AG Pub im Januar 2014. Damals sei die Tagung von der Krise der Weltbild-Gruppe sowie der Sorge überschattet gewesen, dass Hugendubel in den Strudel womöglich hineingezogen werden könnte. "Der Leser, der Kunde", so Riethmüller weiter, "hat heute eine ganz andere Macht als noch vor zehn Jahren". Darauf müsse die Branche sich einstellen.

Die Gesellschhaft sei "granularer" verfasst: Der Einzelne in seiner Einzigartigkeit werde immer besser sichtbar. Das Singuläre zähle, nicht mehr der Durchschnitt. Deshalb funktionierten auch generalisierende Aussagen immer schlechter. "Wir müssen aufhören, vom Durchschnitt her zu denken und alle gleich zu behandeln." Unsere Branche müsse "die Vorteile der individuellen Ansprache" ausspielen, die eben immer noch besser sei als alle Algorithmen des Internets.

"Es nützt nichts, auf Amazon zu schimpfen, solange wir nicht ein gleichwertiges oder besseres Angebot zu bieten haben." Riethmüller bat die versammelten Publikumsverleger um noch mehr Unterstützung bei dem Verkauf digitaler Bücher. "Bitte verkomplizieren Sie den Verkaufsprozess nicht unnötig." Und: "Der stationäre Handel darf nicht schlechter gestellt werden als der Versandhandel. Das ist ein Anachronismus." Er, Riethmüller, habe beispielsweise Respekt vor der Entscheidung des Zwischenbuchhändlers Umbreit, der sich aus Kostengründen schlicht weigere, die Amazon-Zentren in Polen anzufahren. Womöglich könnten die Verlage zu diesem Thema ihre Haltung einmal überprüfen. Die ganze Rede des Vorstehers hier zum Nachlesen.

Das Resümee zum vergangenen Jahr fällt für Alexander Skipis positiv aus. Im Besonderen nannte der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins: das erwachte öffentliche Bewusstsein für die problematischen Folgen des Amazon-Geschäftsmodells; und eine wachsende Wertschätzung und mediale Aufmerksamkeit für die Leistungen des stationären Sortiments. Skipis stellte fest, das stationäre Sortiment habe "seine Hausaufgaben gemacht", und das werden von den Kunden und der Öffentlichkeit auch zunehmend anerkannt.

Erfolge habe es ebenso in der politische Arbeit gegeben. Die reduzierte Mehrwertsteuer für Hörbücher sei erreicht. Auch auf europäischer Ebene sei "eine enorme Dynamik" in der Frage der reduzierten Mehrwertsteuer auf E-Books zu beobachten. Immer weniger Länder leisteten hier noch Widerstand. Beim Thema Preisbindung für E-Books sei man ebenfalls "einen großen Schritt weitergekommen". Achillesferse sei derzeit noch der grenzüberschreitende Verkehr. Im Entwurf eines neuen Preisbindungsgesetzes seien diese Unklarheiten jedoch beseitigt worden.

Bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen mit den USA sieht Skipis nach wie vor große Gefahren für die Buchbranche. "Aber die EU-Kommission merkt derzeit, in welche Sackgasse sie mit ihrer Art der Verhandlungsführung geraten ist." Ein enormer Widerstand habe sich aufgebaut, sowohl in der Gesellschaft als auch unter den Vertretern der gesellschaftlichen Institutionen. "Die Wahrscheinlichkeit, dass ein solches Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa kommt, liegt für mich bei allenfalls noch 60 Prozent." Die Buchbranche wird auch in den weiteren Verhandlungen "ausschließlich die kulturellen Aspekte vertreten". Und das bedeute: "Nichts soll angetastet werden, was die Preisbindung betrifft."

Zu den Folgen von Paris stellt Skipis sich und der Verlegerrunde selbstkritische Fragen: "Sind wir in den vergangenen Jahren nicht zu still gewesen in Bezug auf das, wofür wir stehen? Haben wir unser inneres Wertegerüst nicht ein wenig vernachlässigt? Haben wir nicht das Kaufmännische unserer Branche zu sehr in den Vordergrund gerückt?" Nun plötzlich sei unsere Branche ein Kristallisationspunkt für die anstehenden Fragen um Toleranz und Meinungsfreiheit. "Wir müssen uns wieder stärker zu Wort melden." Der Friedenspreis sei in diesem Sinne weiterzuentwickeln. Auch die Frankfurter Buchmesse müsse wieder stärker zu einer weltweiten Plattform für die kulturelle und politische Auseinandersetzung werden.

 

Update:  Die rund 150 Verlegerinnen und Verleger der AG Publikumsverlage haben den Angehörigen der Opfer ihr Beileid ausgesprochen und verabschiedeten eine gemeinsame Resolution - hier im Wortlaut:

Solidarität mit Opfern des Anschlags auf „Charlie Hebdo“

„Die Arbeitsgemeinschaft der Publikumsverlage erklärt sich solidarisch mit den Opfern der Anschläge von Paris und deren Angehörigen, denen sie ihr tief empfundenes Beileid ausspricht. Wie alle, die für ein pluralistisches, freiheitliches und aufgeklärtes Verständnis von Kultur und Gesellschaft stehen, müssen wir uns mit angegriffen fühlen. Uns wurde auf schreckliche Weise vor Augen geführt, dass Errungenschaften wie die bunte Vielfalt und der offene, stets gewaltfreie Diskurs, die uns selbstverständlich erscheinen, immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden müssen.

Wir wollen zeigen, dass eine tolerante, weltoffene Demokratie nicht wehrlos ist, indem wir unsere ureigenen Waffen noch bewusster und konsequenter einsetzen: Gedanken und Worte in all ihren demokratischen Erscheinungsformen – kämpferisch und künstlerisch, analytisch und aufklärerisch, wenn nötig dissident oder dissonant. Als Publikumsverlage sehen wir uns dabei in vorderster Reihe und werden alles in unseren Kräften Stehende tun, um die Attraktivität der von uns vertretenen Werte immer aufs Neue zu belegen. Nous sommes Charlie!"