Leitfaden zur Archivierung von Verlagsunterlagen

Do it yourself!

3. März 2015
von Börsenblatt
Was sollten Verlage beachten, die ihre Geschichte bewahren und dokumentieren wollen? Ein kurzer Leitfaden für Verleger − von Thekla Kluttig, Referatsleiterin im Sächsischen Staatsarchiv / Staatsarchiv Leipzig und dort unter anderem zuständig für Verlagsarchive.

Sind Sie davon überzeugt, dass die Arbeit Ihres Verlags durch seine Publikationen ausreichend dokumentiert ist? Dann können Sie Zeit sparen und auf die weitere Lektüre verzichten. Oder sind Sie an der Geschichte Ihres Verlages auch in einem zeitlichen Abstand von fünf, zehn oder mehr Jahren für sich selbst, Ihre Nachfolger oder eine breitere Öffentlichkeit interessiert? Möchten Sie, dass die Entstehungs- und Wirkungsgeschichte Ihrer Publikationen untersucht werden kann? Dann sind die folgenden Anmerkungen vielleicht für Sie von Interesse.  

Worum geht es? Es geht um die Unterlagen Ihres Verlags, d. h. unabhängig von ihrer Speicherungsform alle Aufzeichnungen, seien es Akten, Verträge, Herstellungsunterlagen, Werbemittel, Rezensionen, Dokumentationen zu Veranstaltungen oder Belegexemplare ("Publikationsarchiv"). Diese können analog (auf Papier) oder elektronisch sein. Die Unterlagen entstehen im laufenden Geschäftsbetrieb (Registratur). Wenn sie nicht mehr aktuell gebraucht werden, aber eine Vernichtung noch verfrüht erscheint, werden sie üblicherweise − abhängig vom Platz in den Büros − gesondert gelagert (Altablage). Diese gesonderte Räumlichkeit ist mitsamt ihrem Inhalt KEIN Archiv, auch wenn sie oft so genannt wird. Erst wenn Sie nach Ablauf einer gewissen zeitlichen Frist bewusste Entscheidungen über die Vernichtung oder die dauerhafte Aufbewahrung von Unterlagengruppen treffen, entscheiden Sie sich für die Führung eines Archivs.

1. Es ist Ihre Entscheidung!
Sie können alle Unterlagen des Verlags ungeordnet herum liegen lassen, solange Sie sich an § 257 (Aufbewahrung von Unterlagen. Aufbewahrungsfristen) des Handelsgesetzbuches halten. Spätestens nach zehn Jahren können Sie alles vernichten. Niemand anders wird sich um eine Archivierung dauerhaft interessanter Unterlagen kümmern, wenn Sie es nicht tun. Archivierung ist Chefsache.

2. Records Management
Die Organisation der Aufzeichnungen im laufenden Geschäftsbetrieb entscheidet auch über die Qualität einer späteren Dokumentation. Je nach Größe Ihres Verlags kann diese sehr verschieden gestaltet sein, aber immer gilt: Ohne Schriftlichkeit (fast) kein Archiv. Wenn Sie einen Überblick über Ihre Unterlagen behalten und diese gezielt aussondern wollen, müssen Sie Entscheidungen über die Ordnung der Unterlagen treffen und auf die Einhaltung achten. Wie werden Titelakten angelegt? Wie wird die Korrespondenz mit Autoren abgelegt? In welchen Verzeichnissen werden die digitalen Fotos gespeichert? Records Management ist Wissensmanagement und damit ebenfalls Chefsache. Wenn die Unterlagen im laufenden Geschäftsbetrieb gut strukturiert sind, funktioniert auch deren Archivierung. Wenn nicht, dann nicht.

3. Alles hat seine Zeit: Aufbewahrungsfristen
Entscheiden Sie, welche Arten von Unterlagen direkt aus dem laufenden Geschäftsbetrieb heraus vernichtet werden können (Weglegesachen). Ein guter Zeitpunkt kann bereits der Abschluss der Produktion der i. d. R. halbjährlich strukturierten Verlagsprogramme sein. Alternativ können Sie für diejenigen Unterlagen, die noch in einer Altablage verwahrt werden sollen und nicht den sechs- oder zehnjährigen Fristen nach Handelsgesetzbuch unterliegen, selbst eine sinnvolle Aufbewahrungsfrist festlegen. Diese sollte einen gewissen zeitlichen Abstand herstellen, aber so kurz sein, dass die Sachverhalte noch im Gedächtnis sind.

4. Archivieren heißt auch: Vernichten
Sondern Sie regelmäßig (spätestens alle zwei Jahre) die Unterlagen aus der Altablage aus. Genauer: Entscheiden Sie, welche Unterlagen vernichtet werden und welche Unterlagen dauerhaft aufbewahrt werden sollen. Legen Sie diese anschließend gesondert ab und beschriften Sie sie eindeutig, wenn dies noch nicht geschehen ist.

5. Bleibende Werte: Was ist "archivwürdig"?
Es entstehen zu viele und zu belanglose Unterlagen im Geschäftsbetrieb, als das alle von bleibendem Wert wären. Überlegen Sie, was Sie mit Ihrem Archiv dokumentieren wollen und mit welchen Unterlagen Sie dies erreichen. Ein solches "Dokumentationsprofil" ist abhängig von verschiedenen Faktoren, u. a. Alter, Größe und Organisationsstruktur Ihres Verlags, dem Verlagsprogramm oder der Menge der jährlich publizierten Titel. Überlegen Sie, welche Unterlagen Sie gut brauchen könnten, wenn Sie in 15 Jahren einen Rückblick auf die Verlagsgeschichte werfen wollen − durch einen Aufsatz, eine Jubiläumsfestschrift oder eine Ausstellung. Bedenken Sie: Nur mittels Ihrer Unterlagen kann die Relevanz, die Wirkungsgeschichte Ihrer Publikationen später adäquat untersucht werden, z. B. im Rahmen von Forschungen zur Kultur- und Wissenschaftsgeschichte.

Archivwürdige Unterlagen könnten z. B. sein:

  • Leitungsunterlagen in Auswahl (z. B. zu grundsätzlichen Entscheidungen zum Verlagsprogramm, jährliche Geschäftsberichte o. ä.)
  • Verträge mit Autoren und Herausgebern
  • Autorenkorrespondenz, ggf. in Auswahl (z. B. von bekannten, erfolgreichen oder für den Verlag aus anderen Gründen wichtigen Autoren)
  • Idealerweise alle Titelakten,  ggf. in Auswahl (z. B. Konzentration auf ökonomisch erfolgreiche, literarisch oder wissenschaftlich bedeutende Titel, aber auch auf Ihnen wichtige Titel, die am Markt scheiterten)
  • Herstellungsunterlagen in Auswahl (in Ergänzung zu ausgewählten Titelakten, z. B. mit abweichenden Entwürfen von Schutzumschlägen)
  • Publikationen (vollständig, ein Exemplar der Erstausgabe von jeder Publikation, Nachauflagen nur bei wesentlichen Veränderungen)
  • Werbemittel, Rezensionen, ggf.  in Auswahl (in Ergänzung zu ausgewählten Titelakten)
  • Unterlagen zu Vertrieb, Absatz (z. B. Jahresübersichten, Dokumentation von Lesungen oder anderen Veranstaltungen)
  • Dokumentation zur Verlagsgeschichte (z. B. Presseberichte über den Verlag, Auszeichnungen, Fotos von Verlagsveranstaltungen)

6. Schöne neue Welt: Archivierung elektronischer Unterlagen inkl. Fotos
Elektronische Unterlagen brauchen weniger Platz als Unterlagen aus Papier, werfen hinsichtlich einer dauerhaften Archivierung aber erheblich mehr Probleme auf. Wenn Sie diesen Weg gehen wollen, können Sie sich auf der Website von "nestor", dem deutschen Kompetenznetzwerk zur digitalen Langzeitarchivierung unter folgender URL weiter informieren: www.langzeitarchivierung.de. Ins Auge fällt der Bedarf bei Fotos: Sie werden seit über einem Jahrzehnt digital erstellt und gespeichert. Obwohl schon 2007 verfasst, sind folgende Hinweise von "nestor" unter der Überschrift "Hilfe! Meine digitalen Urlaubsfotos sind weg!" immer noch nützlich.

7. Archiv − quo vadis?
Wenn Sie nicht gerade einen führenden belletristischen oder wissenschaftlichen Verlag des Landes leiten, der aufgrund seiner bemerkenswerten Autorenkorrespondenz in den Blick öffentlicher Archive oder Bibliotheken gerät, können Sie sicher sein, dass sich keine Institution um Ihr Archiv reißen wird. Die öffentlichen Archive und Bibliotheken in Deutschland leiden flächendeckend an einer strukturellen Unterfinanzierung, Personal wird in der Tendenz abgebaut. Wenn Sie einer solchen Einrichtung einen Altablage-Berg zur Archivierung anbieten, wird die Antwort "nein" sein. Wenn Sie ein Verlagsarchiv im hier skizzierten Sinne anbieten, haben Sie erheblich bessere Chancen, bei Bedarf auch einen Ort der dauerhaften Aufbewahrung und Nutzbarmachung zu finden. Als Ansprechpartner auf der Suche nach dem "passenden“ Archiv steht Ihnen Hermann Staub, Archiv und Bibliothek des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main, zur Verfügung (h.staub@dnb.de).

Mehr zum Thema Verlagsarchive finden Sie im Artikel "Im Sog der Geschichte", im Börsenblatt Heft 3 (S. 24−27), das heute erschienen ist.