Der Weg zur eigenen Buchhandlung

Selbst ist die Frau - Teil 1

3. März 2015
von Börsenblatt
Früher waren sie als Buchhändlerinnen angestellt, heute führen sie ihren eigenen Laden: Diese Frauen beweisen, dass sich der Mut zur Selbstständigkeit auszahlt.

Friederike Wagner und Katrin Rüger vom Buchpalast (München)

Wahre Größe liegt in der Fantasie« und »Lesen deluxe« steht auf den Lesezeichen, die auf den Buchpalast hinweisen: Ein selbstironischer Kommentar auf den nur knapp 50 Quadratmeter großen Laden, den Katrin Rüger und Friederike Wagner am 1. März in München-Haidhausen eröffnet haben. »Ein Königreich für ein Buch!« lautet das Motto der Sortimenterinnen, die bis zum Jahresende 2013 noch in einer Buchhandlung im selben Stadtteil angestellt waren. Als die Chefin den beiden Kolleginnen im Oktober kündigte, weil sie mit ihrer Buchhandlung aufhören wollte, atmeten die zwei kurz durch und entschieden: Wir machen uns selbstständig.

Im Rekordtempo von gut vier Monaten setzten die Powerfrauen ihre Idee in die Tat um. Noch auf der Frankfurter Buchmesse ließ sich Rüger in Halle 4.0 beraten, Gespräche mit Banken wurden geführt – und mit den Inhabern von »Literatour und Blütenlust«, die ihr Geschäft für Bücher, Blumen und erotische Literatur in der Kirchenstraße 5 just im Dezember schlossen. Wagner und Rüger bewarben sich um die Räume, sanierten sie grundlegend, planten nächtelang durch und ackerten ab dem 1. Januar im neuen Laden. »Bis zur Eröffnung waren nur wenige Stunden Schlaf drin«, merkt Wagner an. Jedes Detail im Laden ist durchdacht, von der platz­sparend eingesetzten Heizung im Kassentresen bis zum raumvergrößernden »Spiegelsaal«, und das meiste in Eigenarbeit. Man spürt: Das Tempo und die Begeisterung hat die beiden getragen.

Die Bewohner des Stadtteils gehören zu den einkommensstarken und buchaffinen Milieus. Rüger und Wagner sind hier bekannte Gesichter, viele Haidhausener stürmten schon lange vor der Eröffnung in den Laden und erkundigten sich nach ihren Plänen. Rüger witzelte: »Wir hängen am ­bes­ten ein Schild auf: ›Palastführungen von 16 bis 17 Uhr‹.« Die hervorragende Vernetzung der Sortimenterinnen ist ihr Kapital, auch zu Autoren und Illustratoren halten sie engen Kontakt. So wird Zapf seine Drachenfigur aus »Raubritter Rocko« in Lebensgröße als Minibuch-Schütte konstruieren – ein Blickfang. Von den Jugendlichen aus Rügers Leseclub »Die Bücherfresser«, der zur Jugendjury des Deutschen Jugend­literaturpreises gehört, kam die Idee, Novitäten in der Stadt zu fotografieren: Wer auf der Homepage erkennt, wo die Aufnahme gemacht wurde und als Erster in den Laden kommt, kriegt das Buch geschenkt.

Gabriele van Wahden von der Buchhandlung van Wahden (Wermelskirchen)

Manchmal habe ich Angst vor meiner eigenen Courage«, meint Gabriele van Wahden, wenn sie auf die vergangenen Monate zurückblickt. Die umtriebige Sortimenterin ist Quereinsteigerin und alter Hase zugleich: Die gelernte Zahnarzthelferin hatte vor 19 Jahren, als ihre beiden Kinder noch klein waren, in der Colibri Buchhandlung in Wipperfürth ausgeholfen. Als Mitinhaberin Maria Ippen 1997 in Wermelskirchen (NRW) ihren »Marabu« eröffnete, ging van Wahden als Angestellte mit, wuchs mehr und mehr ins Sortiment hinein, wurde Fachfrau im Kinderbuch.

Nach und nach kam bei van Wahden der Wunsch auf, mehr für Leseförderung zu tun. Seit fünf Jahren ist sie Mitglied in der AG Leseförderung des Sortimenter-Ausschusses, immer öfter dachte sie daran, Leseförderung zu ihrem Hauptberuf zu machen. Gleichzeitig wusste sie: »Ich brauche Menschen um mich herum.« Wer die 50-Jährige im Umgang mit Kunden erlebt, kann ihre kommunikativen Fähigkeiten nur bewundern: Sie findet für jeden die passende Ansprache. »Irgendwann haben mich die Leute gefragt: ›Warum machst du dich nicht selbstständig?‹«

Als sie im August 2012 am Marktplatz im Laden des Kaminbauers ein Schild »Zu vermieten« sah, kontaktierte sie Betriebsberater Joachim Merzbach, machte sich auf der Frankfurter Buchmesse schlau und kümmerte sich um eine Verkehrsnummer. Ein erfahrener Kundenbetreuer der Bank und ein versierter Steuerberater gaben Tipps: »Die waren eine echte Hilfe.« Mit viel Eigeninitiative und Familien-Unterstützung eröffnete sie im November 2012 mit einer Angestellten und zwei 400-Euro-Kräften ihre eigene Buchhandlung.

Ihr großer Vorteil: Van Wahden konnte auf ein dichtes Netzwerk zurückgreifen, hatte rasch viele Stammkunden. Zudem nutzt sie die Nachbarschaft zur Kirchen­gemeinde, zum Chor und zum Kunstverein. Mit dem Café gegenüber kooperiert sie ebenso wie mit Kindergärten und Schulen. Bevor der Laden öffnet, dürfen die Kinder zu ihr kommen: Dann erklärt sie ihnen das Sortimenter-Handwerk. Auch die Erwachsenen holt sie mit ins Boot. Sie lädt zu Elternabenden in die Buchhandlung ein und bietet von Zeit zu Zeit ein Frühstück für Erzieherinnen an. Dann hält sie Bücher bereit, die von der auf Pädagogik spezialisierten Verlagsvertretung Mayer & Heck verlagsübergreifend in Paketen zusammengestellt werden – beim letzten Mal kamen acht Erzieherinnen.
In dem 85 Quadratmeter großen Laden fällt das hochaktuelle Angebot auf: »Mit 36 000 Einwohnern ist die Stadt einfach zu klein, um lange dieselben Titel zu präsentieren, ich brauche viele Novitäten«, erklärt die Sortimenterin, die deshalb auch mit ihren Mitarbeiterinnen alle zwei Wochen die Schaufenster neu dekoriert.

Nachdem der Buchladen den Jahreszyklus einmal durchlaufen hat, will sie nun die gesammelten Erfahrungen stärker auswerten – »bislang war ich ziemlich beschäftigt damit, zu schauen, dass alles rundläuft«. Zu den Stellschrauben, die sie nachjustieren will, gehört die Zahl der Me-too-Bücher, die reduziert werden soll. Auch den Non-Book-Anteil von 20 Prozent will sie kritisch durchleuchten. Gern würde sie mehr Lesungen anbieten, muss aber mit dem Geld haushalten: »Wenn ich ab und an das Kino für eine Veranstaltung mieten kann, bin ich zufrieden.«