Buchpreisbindung

Im Konditionen-Clinch

3. März 2015
von Börsenblatt
Die Buchpreisbindung erfüllt - auch und gerade in Zeiten von Amazon & Co - ihren Zweck. Darüber sind sich Börsenverein und Bundeswirtschaftsministerium einig. Die Branche allerdings liegt immer wieder im Clinch, wenn es um die Frage der zulässigen Handelsspannen geht. Birgit Menche, Rechtsanwältin und Preisbindungsbevollmächtigte des Sortiments, erklärt die Gesetzeslage.

Gibt es auch in der Buchbranche kaum jemand, der ernsthaft am System gebundener Endverkaufspreise rüttelt, entzündet sich Streit nicht selten an einer anderen, besonders sensiblen Frage, der Frage der zulässigen Handelsspannen. Dass Verlage, und nicht nur diese, bei der Gestaltung ihrer Konditionen weitgehend frei sein wollen, ist verständlich und legitim. Auch schreibt das Gesetz in §§ 3,5 BuchPrG nur eine Bindung der Endverkaufs-, nicht aber der Verlagsabgabepreise vor. So gesehen verwundert es nicht, dass eine weitere zentrale Vorschrift des Gesetzes, § 6 BuchPrG, nicht nur auf ungeteilte Gegenliebe stößt. Schon als das Gesetz im Jahr 2002 in Kraft trat, vertraten einige Verlage die Auffassung, § 6 Abs. 1 BuchPrG begründe keine echten Ansprüche, sondern habe eher programmatischen Charakter.


Anspruch auf angemessene Konditionen

Tatsächlich ist der in § 6 Abs. 1 BuchPrG normierte Anspruch des Buchhändlers auf angemessene Konditionen aber genauso einklagbar wie jeder andere gesetzliche Anspruch (so LG Köln, Beschluss vom 08.10.2009, 31 O 247/09). Genau so verhält es sich mit § 6 Abs. 3 BuchPrG. Danach ist es einem Verlag untersagt, einem Zwischenbuchhändler schlechtere Konditionen einzuräumen als einem Bucheinzelhändler. Erhält etwa ein Barsortiment 48 % Rabatt, ist dies die Höchstgrenze auch für den Rabatt des Einzelhändlers. Dabei sind Sonderleistungen wie Boni, Partieexemplare ebenso in den Rabatt einzurechnen wie sog. Werbekostenzuschüsse, unabhängig davon ob diese vorab oder nachträglich gewährt werden. Beide Vorschriften folgen unmittelbar aus dem Zweck des Buchpreisbindungsgesetzes, eine breite Titelvielfalt und einen breitgestreuten, unabhängigen Buchhändlerstand zu sichern (§ 1 BuchPrG). Den Barsortimenten fällt dabei die wichtige Funktion zu, (Sortiments)Buchhandlungen innerhalb kürzester Zeit mit Büchern zu beliefern, die diese nicht selbst vorrätig haben. 

Ohne solche Regelungen zur „inneren“ Preisbindung, macht eine „äußere“ keinen Sinn bzw. verliert die „äußere“ Preisbindung einen wesentlichen Teil ihrer Legitimation. Ein Preisbindungsgesetz, das keine Vorgaben zu „inneren“ Konditionen enthält, würde der vom Buchpreisbindungsgesetz gerade nicht gewollten Marktkonzentration sogar noch Vorschub leisten. Dann dürften marktstarke Einzelhändler mit Verlagen Konditionen aushandeln, die weit oberhalb derjenigen Bedingungen liegen, die kleine und mittlere Buchhandlungen erhalten. Da es die Preisbindung verbietet, günstige Einkaufspreise in Form günstiger Verkaufspreise an Verbraucher weiterzugeben, könnten marktstarke Händler ihre Gewinne anderweitig investieren, z.B. durch weitere Zukäufe, in eine Suchmaschinenoptimierung u.s.w., mindestens könnten sie die in einem eher stagnierenden Markt  steigenden Kosten mit den ihnen gewährten hohen Margen besser auffangen. Oder sie würden, wie dies z.T. schon heute geschieht, einen Preiswettbewerb bei Nonbooks lostreten. So oder so könnten Unternehmen mit großer Nachfragemacht ihre ohnehin starke Position zu Lasten kleinerer oder unabhängiger Marktteilnehmer sowie zu Lasten der Verbraucher ausbauen. Aus gutem Grund hat das Bundeskartellamt in seiner früheren Eigenschaft als Wächter der Preisbindung daher auch Handelsspannen über 50 % als Missbrauch der Preisbindung bewertet.

Preisbindung nach innen

Ohne „innere Preisbindung“ könnte auch der Zwischenbuchhandel seiner klassischen Aufgabe nicht gerecht werden, kleinere und unabhängige Buchhandlungen innerhalb kürzester Zeit mit einer breiten Titelvielfalt zu beliefern. Schon früher entsprach es gefestigter Spruchpraxis des Kartellamts, dass ein Produzent Zwischenhändler nicht dadurch diskriminieren darf, dass er Einzelhändlern bessere  Konditionen einräumt als dem Zwischenhändler, der auf angemessene Spannen - früher sprach man von Grund-, und Funktionsrabatt -  angewiesen ist. Das Bundeskartellamt hat diesem Grundsatz im Buchhandel besondere Bedeutung beigemessen. Denn gerade der Großhandel leistet, indem er das Hintergrundlager für den (Sortiments)Buchhandel bildet, einen unverzichtbaren Beitrag zur „flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit dem Kulturgut Buch“.

Weitere Stellungnahmen des Bundeskartellamts haben mittelbar Eingang in die Gesetzesmaterialen gefunden. So hatte sich das Kartellamt seinerzeit u.a. zu der Frage geäußert, ob zeitlich befristete Sonderaktionen des Einzelhandels sowie hohe bzw. höhere Abnahmemengen einen sachlich gerechtfertigten Grund für eine Überschreitung des Barsortimentsrabatts darstellen können. Beide Fragen hat das Bundeskartellamt verneint. Weder eine hohe Abnahmemenge noch das Novitätengeschäft könnten als besondere Vertriebsleistungen angesehen werden, die ein Überschreiten des Barsortimentsrabatts rechtfertigen. In den Gesetzesmaterialien zum BuchPrG heißt es, dass ein Bucheinzelhändler in Sonderfällen als Ausgleich für „zusätzliche, sortimentsuntypische und besonders kostenintensive Leistungen“ einen den Barsortimentsrabatt übersteigenden Händlerrabatt erhalten dürfte (BT Drucksache 14/9422, Seite 11). Damit wird gleichzeitig festgestellt, dass „sortimentstypische“ Marketing- und Vertriebsleistungen, zu denen insbesondere hohe Abnahmemengen zählen, kein Grund für eine Überschreitung des Barsortimentsrabattes darstellen. Der Umstand, dass ein Unternehmen des verbreitenden Buchhandels für einen Verlag einen wichtigen Handelspartner darstellt, weil er Bücher in hoher Stückzahl abnimmt und/oder mit Filialbetrieben in vielen Städten präsent ist, rechtfertigt keine Durchbrechung der „Schallgrenze“. Geschieht dies doch, verletzen Verlage nicht nur § 6 Abs. 3 BuchPrG. Mit einer solchen Konditionengestaltung wird gleichzeitig der  (Sortiments)Buchhandel in unzulässiger Weise benachteiligt.

Mitunter wird § 6 BuchPrG als Vorschrift begriffen, die den Verlagen einseitig Pflichten auferlegt. Das ist so nicht richtig. Denn mit § 6 BuchPrG erhalten Verlage ein Instrument an die Hand, mit dem sie sich gegen überhöhte Rabattforderungen großer Filialisten oder Internet- Buchhandlungen zur Wehr setzen können.

Und die Funktionsverschiebung?

Ungeachtet dessen sind in der letzten Zeit Stimmen laut geworden, die § 6 Abs. 3 BuchPrG in seiner Auslegung einer Neubewertung zuführen wollen, so insbesondere der Preisbindungstreuhänder der Verlage in seinem Arbeitsbericht 2014 . Begründet wird dies u.a. mit einer verschärften Wettbewerbssituation zwischen Verlag und Zwischenbuchhandel, der Übernahme zusätzlicher Funktionen durch die Barsortimente sowie deren angeblichem Einstieg ins Endkundengeschäft. Ohne Zweifel  ist es richtig und wichtig, Gesetze von Zeit zu Zeit einer kritischen Prüfung zu unterziehen; ebenso sinnvoll ist es, auf neue Entwicklungen und mögliche Missstände hinzuweisen und entsprechende Konsequenzen zu fordern. Dies darf aber nicht dazu führen, grundlegende Vorschriften des Gesetzes vorschnell in Frage zu stellen oder gar über Bord zu werfen.§ 6 Abs. 3 BuchPrG gehört zu den elementaren Vorschrift des Gesetzes. Der klare Wortlaut der Regelung gibt keinen Anlass und keinen Raum zu einer Auslegung, die darauf hinausläuft, dass Verlage bestimmten Einzelhändlern „eigentlich doch“ bessere Konditionen gewähren dürfen.

Auch allgemeine Hinweise auf eine sog. Funktionsverschiebung und eine damit verbundene Wettbewerbssituation führen zu keiner anderen Bewertung.  Zum einen waren Zwischenbuchhändler für Verlage nie nur reine Absatzmittler, sondern in Hinblick auf den Einzelhandel stets  auch Wettbewerber. Dementsprechend ist § 6 Abs. 3 BuchPrG eine Ausprägung des wettbewerbsrechtlichen Diskriminierungsverbots.

Im Übrigen war, als der Gesetzgeber das BuchPrG im Jahre 2002 verabschiedete, das Schlagwort Funktionsverschiebung alles andere als ein Fremdwort. Man erinnere sich an die lebhafte Debatte, die die Buchhandelskette Hugendubel im Jahre 1995 mit ihrer Ankündigung auslöste, den Direkteinkauf bei den Verlagen/Auslieferungen zugunsten eines höheren Bezuges bei den Barsortimenten einzuschränken. Die Barsortimente hatten zum damaligen Zeitpunkt längst Dienst- und Vertriebsleistungen übernommen, die über ihre anfänglichen Leistungen hinausgingen. Dies kann man dem Zwischenbuchhandel weder verwehren, noch gerät dadurch sogleich das Preisbindungssystem ins Wanken.

Ob Marktentwicklungen eine grundsätzliche Neubewertung preisbindungsrechtlicher Vorschriften erfordern, bestimmt sich weder aus dem Blickwinkel einer bestimmten Sparte noch nach den ökonomischen Interessen einzelner Marktteilnehmer. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtbetrachtung unter besonderer Berücksichtigung des mit der Preisbindung verfolgten Zwecks, einen breitgestreuten unabhängigen Buchhandel zu bewahren. Dies hat auch das Bundeskartellamt in der Vergangenheit stets so gesehen. Solange ein erweiterter Service der Barsortimente dem (Sortiments)Buchhandel zugutekommt, und solange der  Zwischen- und Einzelbuchhandel seiner Obliegenheit nachkommt, eine möglichst große Titelvielfalt, und nicht nur „Mainstream“ im Programm führen, besteht kein Anlass für ein Abweichen von bisherigen Grundsätzen. Dies hat offensichtlich auch der Gesetzgeber verstanden, als er das Diskriminierungsverbot im Jahre 2002 im BuchPrG  verankerte.

Ausnahmen von der Regel

Gibt § 6 Abs. 3 BuchPrG also ausnahmslos? Im Prinzip hat der Gesetzgeber diese Vorschrift als eine Norm ausgestaltet, die ohne Ausnahme gilt. Allerdings geht aus den  Gesetzesmaterialien hervor, dass der Barsortimentsrabatt im Einzelfall möglicherweise dann überschritten werden darf, wenn ein Buchhändler „zusätzliche, sortimentsuntypische und besonders kostenträchtige Leistungen erbringt“ (s.o.). Die Materialien nennen beispielhaft die Erschließung von Absätzen durch kostenintensive Akquisitions- bzw. Vertriebsmethoden wie die Beschäftigung eigener Reisender oder Reisedienstvertreter sowie die Durchführung eigener Kochkurse in einer Versuchsküche zum Verkauf eines bestimmten Verlagsprogramms im Bereich Essen & Trinken. Damit hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Verlage  besondere, gewissermaßen aus dem Rahmen fallende Vertriebs-, und Marketingleistungen einzelner Händler gesondert honorieren dürfen, was unter bestimmten Voraussetzungen, in keinem Fall automatisch, zu einer Überschreitung des Barsortimentsrabatts führen darf.

Mit seinem Abstellen auf das Atypische der Leistung bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck: Alles, was im Rahmen üblicher Vertriebs- und Werbemaßnahmen bleibt, rechtfertigt keine Ausnahme von der Regel, unabhängig davon, ob sich um übliche Beilagen-, und Anzeigenwerbung im stationären Handel, um Zielgruppenmailings im Internethandel oder um sonstige übliche Absatzförderungsmaßnahmen handelt.  Bei der Frage, ob eine Leistung in diesem Sinne üblich ist oder nicht, wird man im Zweifel auf das typische Leistungsspektrum des jeweiligen Buchhandelstypus abzustellen haben: Eine kleineres Unternehmen erbringt in der Regel andere Leistungen als eine Buchhandelskette, eine stationäre Buchhandlung andere als ein Versand-, oder Internethändler.

Außerdem, so wird aus den Gesetzmaterialien deutlich, soll und muss die zu gewährende bzw. separat zu betrachtende Vergütung dem Ausgleich tatsächlich anfallender Kosten auf Buchhandelsseite dienen, d.h. die Vergütung muss leistungsbezogen und angemessen sein. Der Umstand allein, dass sich eine Buchhandlung in besonderer Weise  für einzelne Titel oder Teile des Verlagsprogramms  einsetzt, rechtfertigt weder die Gewährung eines Pauschalrabatts auf das gesamte Verlagssortiment noch eine automatische Überschreitung der Barsortimentskonditionen.   

Knackpunkt Barsortimente

Weitere Probleme, die im Zusammenhang mit § 6 Abs. 3 BuchPrG vorgetragen wurden, sollten sich schon durch konsequente Anwendung des Gesetzes lösen lassen. Dies gilt insbesondere für den Einwand, der Zwischenbuchhandel steige mehr und mehr ins Endabnehmergeschäft ein. Soweit diese Behauptung tatsächlich zutrifft, sofern also Barsortimente unter Ausklammerung und ohne Beteiligung des Einzelbuchhandels Verträge mit Endabnehmern schließen, so könnten sie sich insoweit nicht auf § 6 Abs. 3 BuchPrG berufen.

Schließlich kann es Fälle geben, in denen eine Berufung auf § 6 Abs. 3 BuchPrG rechtsmissbräuchlich erscheint, weil es das Barsortiment seinerseits versäumt, die ihm vom Gesetzgeber „auferlegte“ und mit § 6 Abs. 3 BuchPrG honorierte Vertriebsfunktion wahrzunehmen. Eine solche Situation kann insbesondere dann entstehen, wenn ein Barsortiment über den § 6 Abs. 3 BuchPrG hinausgehende Konditionenforderungen gegenüber Verlagen mit der Ankündigung verbindet, die Titel des Verlages andernfalls aus dem Programm zu streichen oder gar nicht erst aufzunehmen.

Selbst wenn es in der Vergangenheit Fälle gegeben haben sollte, in denen ein Marktverhalten der Zwischenbuchhändler kritisch zu hinterfragen ist, so wäre und ist auch dies kein Grund, § 6 Abs. 3 BuchPrG zur Disposition zu stellen.

Nichts ist für die Ewigkeit

Richtig ist, dass die Gleichbehandlungspflicht der Verlage keinen unumstößlichen Rechtsgrundsatz mit „Ewigkeitsgarantie“ darstellt. Dies gilt aber für das System fester Ladenpreise im Ganzen. Beide können ihre Berechtigung verlieren, wenn sich das Verhältnis zwischen den Sparten untereinander nachhaltig verändert oder wenn sich Verlage und (Zwischen)buchhändler überwiegend oder ausschließlich von ökomischen Überlegungen leiten lassen. Das ist bisher glücklicherweise nicht der Fall.

Paradiesische Zustände herrschen aber auch in der Buchbranche nicht. So berichten Markteilnehmer mehr oder weniger offen, dass große (Internet)Buchhandlungen von Verlagen Rabatte auf das gesamte Verlagssortiment fordern,  die weit über 50 % bzw. über den Konditionen der Barsortimente liegen – und diese Rabatte teilweise offenbar auch gewährt bekommen.

Eine solche Praxis verstößt gegen  § 6 Abs. 3 BuchPrG.  Bei § 6 Abs. 3 BuchPrG handelt es sich - wie bei den anderen Vorschriften des Buchpreisbindungsgesetzes - um geltendes Recht, das alle Marktteilnehmer, unabhängig von ihrer Einstellung zu einzelnen Regelungen, zu beachten haben. Verlage, die sich darüber hinwegsetzen, riskieren auf Unterlassung, Auskunft und Schadensersatz in Anspruch genommen zu werden.

Anspruchsberechtigt sind nicht nur die Barsortimente, sondern prinzipiell jeder Gewerbetreibende, der Bücher verkauft. Auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann aber auch der Einzelhändler, der Verlagen in Kenntnis der Marktgegebenheiten Konditionen von über 50 % abtrotzt, nämlich unter dem Gesichtspunkt einer Haftung als Täter oder Teilnehmer (§ 830 BGB). 

Alle Sparten, also Verlage und (Zwischen)Buchhändler tun daher gut daran, sich an die preisbindungsrechtlichen „Spielregeln“ zu halten und bewährte Vorschriften nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen. Dies gilt auch und gerade unter Berücksichtigung der Veränderungen im Buchmarkt. (Fast) niemand kann ein Interesse daran haben, dass die Konditionen zugunsten marktstarker Filial- und Internethändler erodieren und damit Zustände eintreten, die  das Buchpreisbindungsgesetz verhindert will.  Haben sich Missstände erst einmal verfestigt, ist es bekanntlich schwer, die Situation wieder rückgängig zu machen.