TTIP-Debatte auf der Leipziger Buchmesse 2015

Kulturkiller oder PS-Schub für die Wirtschaft?

6. Juli 2015
von Börsenblatt
Was im kulturellen Bereich auf dem Spiel steht, wenn es zum Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA kommen sollte, dieser Frage ging am Messesamstag ein fachkundig besetztes Podium nach. 

Es war, wie Börsenblatt-Chefredakteur Torsten Casimir zur Einführung bemerkte, bereits seit Jahren andauernden öffentlichen Streit um ein mögliches transatlantisches Freihandelsabkommen, "die gefühlt die 1087. Veranstaltung" zum Thema und sicher nicht die letzte. Dass TTIP in einer scheinbar entpolitisierten Zeit so viel Sprengkraft besitzt, dass allein aus Deutschland 1,5 Millionen Unterschriften gegen TTIP und vor allem die Art und Weise der Verhandlungsführung bisher eingesammelt worden sind, überraschte auch TTIP-Befürworterin Dorothea Siems nicht. Seit Jahren beschäftigt sich die Chefkorrespondentin der Tageszeitung  "Die Welt" mit wirtschaftlichen Fragen zum Abkommen. "Das Thema Wirtschaft ist heute mit viel mehr Angst besetzt als vor zehn Jahren", hat Siems beobachtet. Auch die Idee einer "Wirtschafts-Nato" sorge auf beiden Seiten des Atlantiks für Skepsis. Mit Blick nach Europa fasste Siems zusammen: "Die Länder, denen es wirtschaftlich gut geht, sind skeptisch." Wer sich von mehr Handel auch einen dringend benötigten Aufschwung erhofft (Italien, Polen und auch Frankreich) ist weniger skeptisch - in diesen europäischen Ländern ist der Widerstand viel kleiner als im wirtschaftlich robusten Deutschland.

Warum weite Teile der deutschen Kulturindustrie bei TTIP noch immer auf die Barrikaden gehen, machte Wunderhorn-Verleger Manfred Metzner deutlich. Bereits im Januar vergangenen Jahres hatte die Kurt-Wolff-Stiftung, deren Vorsitzender Metzner lange Zeit war, einen Offenen Brief gegen das Freihandelsabkommen verfasst. Kernpunkte waren die geforderte Ausnahme des Kulturbereiches aus TTIP und mehr Transparenz über die Verhandlungen. Die besonderen Schutzmaßnahmen für die Buchbranche, etwa in Feldern des Urheberrechts, der Buchpreisbindung und der verminderte Mehrwertsteuersatz ständen auf der Kippe. Die Bundesregierung hatte sich damals nicht dazu geäußert. Dies ist in den vergangenen 15 Monaten zwar geschehen, wie Siems referierte. Das Versprechen, die Buchpreisbindung nicht anzurühren, gebe es von Seiten der EU-Kommission sowie der Bundesregierung heute "Schwarz auf Weiß". Undenkbar für Siems, ein so wichtiges von der Industrie geforderten Abkommens zur Konjunkturbelebung aus Misstrauen gegenüber der eigenen politischen Führung zu boykottieren. Ihr Vorwurf, die deutschen Verlage seien "ängstlich", wurde erwartungsgemäß (wie sollte es auch im Forum der Unabhängigen Verlage anders sein?) zurückgewiesen.

Für Alexander Skipis, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, der über Verhandlungen mit Vizekanzler Sigmar Gabriel berichten konnte, sind die Versprechen zum Erhalt der Buchpreisbindung Worthülsen: "Die EU-Kommission wirft Nebelbomben, die Gefahr ist nicht ausgeräumt. So sicher wie das Amen in der Kirche werden Google, Apple und Amazon am Ende der Verhandlungen versuchen, die Preisbindung zu Fall zu bringen." Skipis befürchtet, eben weil für Deutschland der Kulturbereich nicht wie in Frankreich als nicht verhandelbare Ausnahme erklärt wurde, dass in den Endverhandlungen die Großkonzerne die Preisbindung als "Manövriermasse" einsetzen könnten. EU-Politiker könnten als Eingeständnis für ein Entgegenkommen - etwa in der Frage, wie Autoblinker auszusehen haben - die Preisbindung schließlich opfern. "Ich verbitte mir von Herrn Gabriel, diese Argumente als Anti-Amerikanismus oder Hysterie abzutun", so Skipis. Dass Vorsicht durchaus angebracht sei, dazu brachte er die Obama-Aussagen im "Handelsblatt" als Argumentationsverstärker. "Das Internet gehört uns", hatte der US-Präsident dort sinngemäß formuliert.

"Die Angst vor Dominanz der Großkonzerne ist wohl berechtigt, aber Google geht es mehr um das Autobauen oder Automaten", konterte Siems den Börsenvereins-Geschäftsführer. Sie sieht ohnehin kein Problem für Sonderregelungen im Kulturbereich: "Handelshemnisse müssen für alle gleich gelten, dann sind auch Sonderregelungen kein Problem", so die Wirtschaftsjournalistin. Die EU-Kommission habe bereits in der Vergangenheit unterschiedliche Regelungen in EU-Ländern vereinheitlichen wollen, habe aber wegen der Rechtskonformität stets die Finger davonlassen. Voraussetzung: Für alle Länder gelten die gleichen Spielregeln. Skipis widersprach mit Verve: "Amazon würde lieber heute als morgen die Preisbindung killen - und den deutschen Buchmarkt aufrollen. Das würde vor allem kleine und mittlere Verlage treffen."

Für hochemotionale Grabenkämpfe im Lager der TTIP-Gegner sorgten zugespitzte Beiträge Manfred Metzners, der als langjähriger Kommunalpolitiker und ausgebildeter Jurist bereits viele ernüchternde Erfahrungen gesammelt hat. Dabei griff er auf Verallgemeinerungen zurück, die wohl der Leidenschaft des Streitgesprächs geschuldet waren. "Es wird immer nur über wirtschaftliche Themen gesprochen, weil unsere Politiker wie Gabriel mit unseren kulturellen Werten gar nichts anfangen können", beklagte er - und sprach im nächsten Atemzug den USA sein Misstrauen aus: NSA, verschlossene Türen bei den Verhandlungen, die afrikanischen Länder als vermutlich große Verlierer der beförderten transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen. Metzners kritische Äußerungen fanden mehrfach Beifall im Publikum, das, bis in die Gänge dichtgedrängt stehend, der Diskussionsrunde gespannt folgte.

Dass die Kulturbranche für ihre Besonderheiten kämpfen sollte, darin waren sich alle Referenten am Ende einig. Dass der Teufel, wie bei den Verhandlungen um TTIP, dabei oft im Detail steckt, wurde immer wieder an Nebenkriegsschauplätzen wie der Buchpreisbindung und nicht zuletzt der künftigen Bedeutung von Schiedsgerichten deutlich. Diese würden nach derzeitigem Verhandlungsstand nationale Gerichte ersetzen, um im Streit zwischen Staaten sowie Unternehmen und Staaten schneller vermitteln zu können. Nicht nur kulturell, auch rechtlich prallen bei TTIP eben die Welten mitunter aufeinander - und dies war in der sicherlich nicht letzten Diskussion zum Freihandelsabkommen nicht anders.