Eisbrecher-Tour

Love it, change it or leave it!

22. Oktober 2015
von Börsenblatt
Eisbrecher #6:  Die sechste Station der Eisbrecher-Tour steht  ganz im Zeichen des E-Learnings. Im pentahotel in Wiesbaden treten Gründer in einen regen Austausch mit Vertretern der sogenannten „Old Economy“. Ein Bericht über große und kleine Erkenntnisse.

Gastgeber bei diesem Eisbrecher sind die Springer Fachmedien Wiesbaden. Aufgrund des großen Interesses ist die Veranstaltung im Vorfeld von der Verlagszentrale ins pentahotel verlegt worden, das in unmittelbarer Nähe liegt. Mit rund vierzig Teilnehmern ist der Veranstaltungsraum gut gefüllt – darunter viele Mitarbeiter von Springer, die die Präsentationen der Start-ups gespannt verfolgen und viele Zwischenfragen stellen.

Wer knackt den Lern-Highscore?

Es geht um die ganz großen Fragen und Ambitionen. „Wie kriegt man es hin, mit E-Learning Geld zu verdienen?“ Diese Frage stellen sich zurzeit viele Verlagshäuser, meint Samuel Ju von Repetico. Er hat eine Lösung parat: Im „Social Learning“ liege die Zukunft. Repetico bietet nicht nur digitale Karteikartensysteme von renommierten Verlagen an, sondern ist auch ein „Facebook für Lernende“ – dort können Kontakte hinzugefügt werden und die Lernaktivitäten von Freunden verfolgt werden. Zugleich sind die Nutzer auch Empfehlungsgeber für die Verlagsprodukte. Wer eine gewisse Anzahl von digitalen Karteikarten am Tag gelernt  hat, sammelt Punkte und kann sich mittels zahlreicher Statistiken mit Lernpartnern vergleichen. Dieses Highscore-System orientiert sich an der Gaming-Industrie und wird bereits erfolgreich praktiziert: Ju berichtet, er sei von einem Nutzer kontaktiert worden, der in Portugal bis spät in die Nacht hinein gelernt habe – aufgrund der Zeitverschiebung von einer Stunde habe er aber nicht alle Lernpunkte für den gestrigen Tag erhalten. Die mussten natürlich nachträglich noch angerechnet werden. Wenn einen der Ehrgeiz packt…

Spaghetti-Code adé!

Patrick Schmidt von BrainYoo hatte wohl den kürzesten Anfahrtsweg: Sein Firmensitz liege lediglich 500 Meter vom pentahotel entfernt, erzählt er. Auch BrainYoo hat sich das E-Learning zur Aufgabe gemacht, setzt den Schwerpunkt aber mehr auf die technische Komponente. Die Synchronisierung aller Geräte ermöglicht ein standortunabhängiges Lernen, bei dem die Daten in einer Cloud gespeichert werden. So ist eine völlig neue Form des Lernens möglich: Das „Nebenbei-Lernen“. Ob im Wartezimmer beim Arzt oder in der U-Bahn – die Lerninhalte sind immer dabei, der Fortschritt wird abgespeichert. Das Start-up gibt es schon länger, 2012 erfolgte dann ein Neustart. Damals habe er eine entscheidende Lektion gelernt, erzählt Schmidt. Man dürfe sich nicht nur auf einen einzigen Entwickler verlassen. Das Ergebnis war in seinem Fall sogenannter „Spaghetti-Code“, unsauberer Code. Seit dem Neustart sind die Probleme behoben, nun ist das Produkt skalierbar und stabil. Das Start-up hat erst letzte Woche den Innovationspreis IT 2015 im Bereich E-Learning gewonnen, die Freude ist noch immer groß.

„Momo“ als Inspiration

Während es BrainYoo schon länger gibt, steckt StoryPlanet noch in den Anfängen. Die Idee dahinter ist ebenso simpel wie einleuchtend: Die App ermöglicht es, mittels eines beliebigen Texts eine Fremdsprache zu erlernen, indem sie beispielsweise anzeigt, wie groß der Wortschatz eines Texts ist und ihn anhand der Gebräuchlichkeit der Wörter klassifiziert. Initiator und Gründer David P. Steel, gebürtiger US-Amerikaner und Experte für Marketing und Storytelling, betreibt das Start-up mit großer Leidenschaft. Aus gutem Grund, denn wie er erzählt, hatte er selbst vor 20 Jahren ein Aha-Erlebnis, als er mithilfe von Michael Endes „Momo“ Deutsch lernte. Mit dieser Methode könne man, so der Gründer, „Interesse mit Funktion verbinden“. „Warum ist Amazon da noch nicht drauf gekommen?“, fragt jemand aus dem Publikum. Allgemeines Achselzucken. „Sollen sie doch!“, ruft Steel. Fest steht: Die Idee ist verdammt gut. Auf den offiziellen Start der App kann man gespannt sein.

Es gibt auch andere Themen: Von Beacons und Self-Publishern

Das Start-up mediaspot ist für die Veranstaltung extra aus Berlin angereist. Seine Spezialität sind sogenannte Beacons, die an ausgewählten Orten Zugriff auf kostenfreie digitale Medien bieten. Im Einsatz ist die Technologie bereits im berlinlinienbus, in einigen Cafés in Berlin sowie bald vermutlich auch in einer Fitnesscenter-Kette. In einem Radius von 30-50 Metern können an diesen Orten kostenfrei Inhalte vom Piper Verlag sowie Zeitschriften aus dem Haus Gruner + Jahr gelesen werden. Sobald dieser Radius verlassen wird, stehen die Inhalte nicht mehr zur Verfügung, können aber bei Bedarf über die App gekauft werden. Das Interesse an diesem Geschäftsmodell ist groß, hier bietet sich beispielsweise auch der Einsatz auf Messen an. Andreas Rusjnak, selbst Start-up-Experte und Autor aus dem Haus Springer, zeigt sich begeistert und attestiert den Gründern großes Potential.

StoryLorry ist eine Vermarktungsplattform für Self-Publisher, verknüpft die Autoren mit Lektoren, Layoutern etc. und bringt das fertige E-Book in alle Distributionskanäle ein. Das alles zu einem Festpreis. Gründer Mike Böll möchte das Layout und die Funktionsweise der Plattform mit dem fröhlichen Logo „gewollt einfach halten“. Alles soll für die Nutzer schnell zu finden und leicht zu bedienen sein. Es sind spannende Zeiten für ihn: Vor knapp zwei Wochen startete die Betaphase von StoryLorry und es wird noch fleißig an den Stellschrauben gedreht.

„Love it, change it or leave it!“

„Entrepreneurial Business Modelling“ – was ist das? Diesem Thema widmet sich Andreas Rusjnak in einem spannenden Impulsvortrag, der sich direkt an die Start-ups richtet und ihnen zahlreiche sinnvolle Tipps an die Hand gibt. Eines wird deutlich – ein Start-up zu gründen, kostet jede Menge Zeit, Nerven und Herzblut. Der charismatische Redner rät den Start-ups unter anderem: „Steuern Sie smart, spielen Sie tough“. Oder mit anderen Worten: Traut euch, auch mal Regeln zu brechen, Neues zu probieren – natürlich bei überschaubarem Risiko. Glaubt nicht, bereits zu wissen, was der Kunde will! Geht strategisch vor! Hört auf eure Mitarbeiter! Seid bereit, euch an Veränderungen anzupassen und beharrt nicht auf Konzepten, die nicht funktionieren: Love it, change it or leave it. Und, nun ja, vergesst bei alledem nicht, euer Produkt zu verkaufen. Nützliche Tipps eines erfahrenen Gründers, die gewiss auch den ein oder anderen Nicht-Gründer dazu ermutigen, neue Wege zu gehen.

Was ist überhaupt ein Buch?

Und wie das Programm begonnen hat, so geht es auch zu Ende: mit einer großen Frage. Das Impulsreferat von Dr. Niels Peter Thomas, Geschäftsführer der Springer Fachmedien Wiesbaden und Executive Vice President des Bereichs Springer German Language Science, ist der Versuch einer Antwort auf die großen Fragen: „Wird es in Zukunft noch Bücher geben?“ und „Was ist eigentlich ein Buch?“. Fest steht, dass E-Books das Geschäft der Springer Fachmedien nachhaltig verändert haben – und war nicht im technischen Sinne, sondern vielmehr deshalb, weil sie eine Neuausrichtung des Geschäftsmodells bewirkten. „Leser suchen nicht nach Büchern, sondern nach Lösungen“, ist Thomas überzeugt. Seine Schlussfolgerung: Die strukturelle Einheit von Büchern wird verschwinden, stattdessen werden neue Einheiten gefunden werden müssen, vom großen Buchpaket bis hin zum Verkauf einzelner Kapitel.

Fleißiges Netzwerken

Große plüschige Sessel, Spiegel mit barocken Goldrahmen, dicker Teppich und violettes Licht – in der Lounge des pentahotels geht der Eisbrecher-Abend beim lockeren Get-Together in die nächste Runde. Interessiert kommen die Teilnehmer mit den Start-up-Gründern ins Gespräch. Aber auch die Start-ups treten untereinander in einen regen Austausch und tauschen Kontaktdaten. „Immerhin tragen wir beiden das Wort ‚Story‘ im Namen“, meint David P. Steel, Gründer von StoryPlanet, schmunzelnd zu Mike Böll von StoryLorry. Gerade im Hinblick auf die unterschiedlichen Entwicklungsstadien der anwesenden Start-ups gibt es genügend Gesprächsbedarf.  Die Gelegenheit zum Netzwerken nutzen auch einige Gründer, die sich noch im Anfangsstadium befinden und von denen in Zukunft noch zu hören sein wird.