Landesverband Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen

Appell aus Erfurt: "Tun Sie Ihre Meinung kund!"

6. Juli 2015
von Nils Kahlefendt
Bruder Martin: Über die anstehende Strukturreform des Börsenvereins diskutierte die Hauptversammlung des Landesverbands SaSaThü im Erfurter Augustinerkloster, Wirkungsstätte des späteren Reformators Luther. Reichlich Kultur gab es auch. Und die Erkenntnis, dass sich Willensbildung nicht immer delegieren lässt.

Alle fünf Jahre, so will es die Tradition, findet die Hauptversammlung des Landesverbands Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen (SaSaThü) außerhalb von Leipzig statt. Nach Dessau (1995), Weimar (2000), Görlitz (2005) und Quedlinburg (2010) trafen sich die mitteldeutschen Buchhändler und  Verleger nebst zahlreichen Gästen am Wochenende an einem geschichtsträchtigen Platz – im Evangelischen Augustinerkloster zu Erfurt. Das Kloster, eines der raren und überwältigend schönen Beispiele mittelalterlicher Ordensbaukunst, dient heute auch als Tagungs- und Begegnungsstätte. Berühmt wurde es durch Martin Luther, der hier von 1505 bis 15011 als Mönch lebte.

Diskussion über die Verbandsreform

Während der spätere Reformator in Erfurt um die Erkenntnis des gnädigen Gottes rang, beschäftigte sich die gemeinsame Fachgruppenversammlung mit dem aktuellen Stand der Strukturreform des Börsenvereins (http://www.boersenverein.de/mi/strukturreform).

Um die Pläne des Bundesverbands zu erläutern und zu beleuchten, welche neuen Möglichkeiten sich damit für die Mitglieder auftun, waren die Geschäftsführer von Sortimenter- und Verleger-Ausschuss, Kyra Dreher und Rolf Nüthen, nach Erfurt gereist. Im Fokus der Diskussion stand die angestrebte Bildung von Interessengruppen und Taskforces – angesichts der virulenten Problemlagen der Branche war der Landesverbandsvorsitzende Helmut Stadeler in ganz persönlicher Hochrechnung auf nicht weniger als 65 mögliche Gruppen gekommen; am Ende des Tages waren es wohl 66. Und bitte: Keine reinen Debattierclubs, erreicht werden sollen konkrete Ergebnisse: Dass "mit vielen Worten nichts reden" schlicht "Torheit" wäre, wusste ja schon Luther.

Doch: Könnte sich der Verband solchen Luxus überhaupt leisten? Gespart werden muss immer, so Kyra Dreher. Doch das sei nicht Hauptzweck der auf gelebte Verbandsdemokratie und bessere Identifikationsmöglichkeiten der Mitglieder mit ihrem Verband angelegten Reform gewesen. "Wir können allerdings nicht Rundum-Partizipation schaffen und die Kosten völlig aus dem Auge verlieren", dämpfte Dreher allzu hochfliegende Hoffnungen, etwa die nach einer Sitzungspauschale für Sortimenter. Noch längst nicht alles ist niet- und nagelfest bei der angestrebten Reform, man ist auf gutem "Willensbildungsweg".

Fast beschwörend Stadelers Worte ins Plenum mit Blick auf die anstehende Hauptversammlung des Verbands am 19. Juni: "Nehmen Sie teil! Tun Sie Ihre Meinung kund! Fahren Sie nach Berlin!" Bleibt die Hoffnung, dass seine Worte auch von den Abwesenden gehört werden: Im Luthersaal, dem größten des Erfurter Klosters, blieb mancher Stuhl unbesetzt; von aktuell 477 SaSaThü-Mitgliedsfirmen waren ganze 21 vor Ort.

Budgetplanung mit einer "schwarzen Null"

Keine Frage: Noch immer trägt man zwischen Erfurt, Dresden und Magdeburg am Rucksack des Nachwende-Neustart; mehr als 50 Prozent der Mitgliedsfirmen rangieren in der untersten Beitragsstufe. Viele ehemalige Volksbuchhändler, die 1990, in der Mitte ihres Berufslebens, den Sprung in die Selbstständigkeit wagten, stehen zudem im oder an der Schwelle zum Rentenalter. 18 Mitgliedsfirmen, in der Mehrzahl Buchhandlungen, verlor der Verband 2014 – aufgegeben wurden die Geschäfte, wenn nicht in der Folge wirtschaftlicher Probleme, zumeist aus Altersgründen oder wegen nicht zustande gekommener Nachfolge.

Ein Schwund, der sich auch im Beitragssäckel bemerkbar macht. Für 2015 plant man gleichwohl mit einer "schwarzen Null". Der im Mai 2014 von Geschäftsführerin Nora Milenkovic übernommene Dreiländerverband ist eben auch ein gutes Beispiel, wie mit überschaubaren Mitteln und schlankem Apparat effektiv gearbeitet werden kann.

Doch gilt auch hier: Über den Erfolg der Arbeit entscheidet letztlich der Input der Mitglieder: Die Teilnahme an den Fortbildungsangeboten – Seminare oder das gemeinsame Buchhändler- und Verlegerwochende – war 2014 leicht rückläufig; mit den erzielten Einnahmen konnten die Ausgaben nicht gedeckt werden. "Sagen Sie uns, welche Angebote Sie sich künftig wünschen", so Stadelers Appell. Ebenfalls dringend benötigt: Mehr erfahrende Ausbilder, Sortimenter mit Herz für den Nachwuchs. 

Projekte und Begegnungen

Und auch die SaSaThü-Lobbyarbeit trägt Früchte: Am 11./12. September werden im Volksbad Jena die fünften Thüringer Buchtage über die Bühne gehen; ebenfalls zum fünften Mal können sich Thüringer Verlage im Rahmen der Thüringen-Lounge auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren. Zwei Aktivitäten, zwei Erfolgsmodelle – umgesetzt in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium des Freistaats.

Nach einem Arbeitstreffen im Sächsischen Wirtschaftsministerium Ende April prüft dieses einen sächsischen Messeauftritt in Frankfurt 2016 wie auch eine Bücherschau sächsischer Verlage in Dresden, möglicher Weise bereits noch im laufenden Jahr. Katharina Salomo (Dresdner Buchverlag), die für die Messe Dresden GmbH seit mehreren Jahren die Lesemesse schriftgut (6.-8. November 2015) betreut, wies nachdrücklich auf die mögliche Konkurrenzsituation zweier Veranstaltungen mit ähnlicher Zielgruppe hin.

Wer nicht in Erfurt war, dem entgingen nicht nur viele kollegiale, freundschaftliche Gespräche in den Versammlungspausen oder beim nach Landessitte deftigen Abendessen im "Goldenen Schwan" – sondern auch ein ebenso kalorienreich geschnürtes kulturelles Rahmenprogramm: Besichtigungen der alten Synagoge in der Erfurter Innenstadt und der Bibliothek des Evangelischen Ministeriums, eine launige Lesung mit Matthias Biskupek, eine Nachtwanderung mit Original-Nachtwächter oder der furiose musikalische Auftakt der Hauptversammlung mit einem 14jährigen (!) Pianisten der Weimarer Musikschule.
 

Gelegenheit, die gern beschworene "Herzlichkeit" im Dreiländerverband live zu erleben, bietet sich übers Jahr sicher: Im Herbst wird das 100. Buchhändlergespräch bei Bier und Thüringer Bratwurst gefeiert (11. September, Volksbad Jena), das nächste gemeinsame Buchhändler- und Verlegerwochenende findet am 7. und 8. November im Schlosshotel Klaffenbach bei Chemnitz statt.

Wenn die Branche sich verändert, sollte man nicht nur die Stimmvertretung ziehen, sondern selbst mittun. Ganz im Sinne des großen Reformators, den Helmut Stadeler mehr als einmal zitierte: "Und wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen."