"Zeit"-Feuilletonchefin Iris Radisch

"Der Buchhandel ist als lokale Gegenkraft unverzichtbar"

15. September 2015
von Börsenblatt
Im Buchmesse-Monat Oktober will das „Zeit“-Feuilleton seinen Schwerpunkt auf literarische Themen ausrichten. Was die Sonderserie mit dem Literatur-Vorstoß des „Spiegel“ zu tun hat, was geplant ist - und was sie, als Jury-Vorsitzende beim Deutschen Buchhandlungspreis, vom analogen Buchhandel hält: Ein Interview mit Iris Radisch, Feuilleton-Chefin der "Zeit".

In den vergangenen Jahren ist in den deutschen Feuilletons der Platz für Rezensionen und literarische Themen knapper geworden. Wie haben Sie sich jetzt den Raum für mehr Literatur erkämpft?
Kunst und Kultur spielen traditionell in der „Zeit“ eine Hauptrolle. Vor drei Jahren haben wir eine Sonderserie zum Kanon der europäischen Nachkriegsliteratur veröffentlicht. Unsere neue Aktion, die Anfang Oktober startet, schließt daran an: Wir wollen die besten Bücher des neuen Jahrhunderts vorstellen. Das werden fünfzehn Titel sein, die wir ausgewählt haben. Sie werden in vier aufeinanderfolgenden Ausgaben präsentiert.

Reagieren Sie damit auch auf den Vorstoß der „Spiegel“-Redaktion, die im Herbst ihr Kulturmagazin sehr stark auf Literatur fokussiert?
Wir sind sehr gespannt auf das neue Literaturmagazin des „Spiegel“. Und ja – natürlich wollen wir zeigen, dass wir auch etwas zu Büchern zu sagen haben und dass unsere Lust dazu noch immer sehr groß ist.

Um welche Themen wird es in der vierteiligen Serie ab 8. Oktober gehen?
Die fünfzehn besten Bücher des jungen Jahrtausends seien hier nicht verraten. Nur so viel, sie werden aus allen Sprachen und allen Kontinenten stammen, vorausgesetzt sie wurden ins Deutsche übersetzt. Und wir werden nicht nur über sie schreiben, sondern auch mit den Autoren selbst über ihre Meisterwerke reden.

Wird sich das Oktober-Magazin von den bisherigen jährlichen Buchmesse-Ausgaben unterscheiden? (Vermutlich ist das Oktober-Magazin dann auch das „Buchmesse“-Magazin?) Mehr Platz, neue Themen, anderes Layout?
Unser Magazin zur Frankfurter Buchmesse wird ein brisantes Thema vorstellen: Wird die Gegenwartsliteratur immer politischer und warum? Zu diesem Thema haben wir ein Gespräch mit den Schriftstellern Jenny Erpenbeck, Ulrich Peltzer und Ilija Trojanow geführt, die in diesem Herbst alle sehr politische Bücher vorlegen. So viel kann ich schon sagen: Wir haben dabei eine neue politische Kampfbereitschaft entdeckt. Es wird wieder über den Systemwechsel nachgedacht. Das Magazin wird den Lesern ansonsten weiterhin vertraut vorkommen. Es wird einen Mix aus Reportagen, zum Beispiel aus dem Buchmessen-Gastland Indonesien, Interviews, Essays und Rezensionen der wichtigsten Herbsttitel enthalten.

Als Vorsitzende der Jury zum Deutschen Buchhandlungspreis haben Sie gerade viele Einblicke in die Situation der kleineren Buchhandlungen in Deutschland bekommen. Was ist Ihnen dabei aufgefallen?
Ich war unglaublich beeindruckt davon, wieviel persönliche Einsatzbereitschaft der Buchhändler überall in Deutschland zu spüren ist, wie viele originelle und sehr eigenständige Ideen entwickelt werden. Der Idealismus und die Kreativität, mit der das gemacht wird, ist überwältigend. Angefangen von einer einfallsreichen und selbstbewussten Schaufenstergestaltung, über Lesungen, Soireen, persönlichen Empfehlungen bis hin zu eigenständigen Literaturevents, die von den kleinen inhabergeführten Buchhandlungen quer durch alle Regionen gestemmt werden. Diese Vielfalt und das Ausmaß des ganz persönlich geprägten und deswegen besonders glaubwürdigen Engagements der Buchhändler hat mich überrascht.

Wie beurteilen Sie die Zukunft des stationären Buchhandels?
Ich bin überzeugt davon, dass er als lokale Gegenkraft zur Anonymität im Netz unverzichtbar ist. Die persönliche, stabile Bindung, die der Buchhändler zu seinen Kunden aufbauen kann, lässt sich nicht ersetzten. Ein guter Buchladen ist ein Ort der Entdeckung und der Begegnung. Die Buchempfehlungen eines Buchhändlers sind persönlich auf den Kunden abgestimmt und nicht das Ergebnis eines unpersönlichen Algorithmus. Ich kann mir eine Welt, die auf einen solchen menschlichen und kulturellen Reichtum, wie wir ihn in der deutschen Buchhandlungslandschaft haben, freiwillig verzichtet, gar nicht vorstellen. Man sollte daran denken, dass man dieser Vielfalt schadet, wenn man das nächste Mal ein Buch bei Amazon bestellt.

Interview: Stefan Hauck, Tamara Weise