Wirtschaftspsychologe beschreibt die Fallhöhe von Buchgeschenken

Panikkäufe kommen selten an

26. November 2015
von Börsenblatt
Weihnachten steht vor der Tür − und die letzten Geschenke müssen besorgt werden. Der Stresslevel steigt. Immer wieder gern verschenkt werden Bücher. Doch das will wohl durchdacht sein, meint der Dresdner Wirtschaftspsychologe Ulrich Winterfeld. Im Interview mit "Vorsicht Buch!" gibt er Tipps, wie man Panikkäufe vermeidet.

Machen Sie Weihnachtsgeschenke?
Aber ja, natürlich! Ich überlege allerdings sehr gut, was ich individuell schenken kann und plane gut übers Jahr – zum Beispiel hebe ich Buchbesprechungen auf!

So vorausgeplant – das ist ja eher ungewöhnlich. Es hat nicht jeder so die Ruhe weg wie Sie.
Allerdings! Und das haben die Neurologen auch erforscht. Auf den letzten Drücker einkaufen gehen, das ist eine Persönlichkeitseigenschaft, die sich bei sehr vielen Menschen nachweisen lässt. Wer ohne Plan und in letzter Minute losläuft, um irgendwas zu finden – der bekommt Stress. Und kauft dann panisch oft das, was er selbst gern hätte. Geschenke also, die so gar nicht ankommen beim Beschenkten.

Aber wenn es eine quasi angeborene Schwäche ist – muss der Beschenkte dann nicht verzeihen?
Das sehe ich als Psychologe ganz anders. Man kann trainieren, sich vor Stress zu bewahren. Relativ einfach sogar: 14 Tage vor dem großen Fest auf einem leeren Blatt eine Liste machen, wer ein Geschenk bekommen soll. Und gleich Ideen entwickeln. Unauffällig kann man auch mal vorfühlen, um Wünsche zu erfahren.

Wenn man das nicht machen will – ist das Fachpersonal im Laden eine Hilfe?
Ja, bei Büchern geht das gut. Vor allem wenn der Schenker den Menschen genau kennt, für den er ein Geschenk sucht, und ihn der Buchhändlerin schildern kann. Dann kann sie Vorschläge machen – denn sie hat ja vieles gelesen – und mit etwas Glück trifft der Schenker ins Schwarze. Bestsellerlisten oder das, was man selbst gern liest, führen bei Buchkäufen seltener zum Erfolg.

Also ist Buchgeschenk nicht gleich Buchgeschenk?
Zu den beleidigenden Geschenken gehören Dinge, die ohne Plan gekauft werden und den Beschenkten nicht interessieren – das können auch Bücher sein. Doch in allererster Linie beleidigen Bücher, die quasi anonym über einen Buchservice versandt werden. Diese Art der Zustellung führt zu negativen Emotionen. Es demonstriert nämlich kalte Geschäftsmäßigkeit – das geht weder an Weihnachten noch unterm Jahr.

Stressfrei schenken scheint gar nicht so einfach zu sein, oder?
Da haben Sie Recht. Richtig schenken ist harte Arbeit. Recherchieren, Rezensionen lesen, schauen, was den Nerv der Zeit trifft. Bei einem meiner drei fußballbesessenen Söhne hat ein Buch über das WM-Spiel Deutschland-Brasilien richtig eingeschlagen, bei einem anderen dagegen eine Reportage über das Schleppersystem in Europa. Da hatte ich ein gutes Händchen – aber eben mit Vorarbeit!

Was soll derjenige tun, der das Stressvermeidungsprogramm nicht schafft?
Geschenke machen, die sich verbrauchen: Also Zeit, gekoppelt mit einem gemeinsamen Essen oder einem Theaterbesuch oder einer Lesung können funktionieren – weil sie doppelt daherkommen. Ich denke, ab einem gewissen Alter sollte man nur noch solche Geschenke machen.

Das Interview führte Vorsicht Buch!

Ulrich Winterfeld studierte Psychologie an der Universität Frankfurt, 1978 folgte die Promotion an der FU Berlin. Von 1999 bis 2013 war er für die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung in Dreden tätig. Seither ist er im Ruhestand und Inhaber einer Galerie in Dresden. 

In einer Umfrage vom Mai 2015 im Rahmen der Kampagne Vorsicht Buch! gaben 72,5 Prozent der Deutschen an, gern ein Buch als Geschenk zu kaufen. Befragt wurden dabei durch Research Now 5.000 Männer und Frauen ab 14 Jahren. Auftraggeber ist der Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

Zum Download der Umfrage mit weiteren Ergebnissen geht es hier.