Branchenreaktionen auf Terrorismus

Gespräche statt Aktionismus

2. Dezember 2015
von Börsenblatt
Wie reagieren Buchhändler und Verleger auf die Anschläge von Paris? Wie lässt sich mit diesem Thema überhaupt angemessen umgehen? Antwortversuche.

Das Blumenmeer vor der Französischen Botschaft in Berlin, gleich neben dem Brandenburger Tor, scheint jeden Tag noch etwas größer zu werden. Am Sonntagabend brennen zudem wieder viele Kerzen auf dem Vorplatz – trotz Schneetreiben. »Nous sommes unis« (»Wir sind vereint«) steht in großen, schwarzen Buchstaben auf einem weißen Banner, das teils von Blumenkränzen bedeckt ist. »A la liberté« hat jemand auf ein Blatt geschrieben. Auf einer Karte ist zu lesen: »Nous sommes Paris«, auf einer anderen »Wir weinen mit euch«. Und dazwischen immer wieder der Eiffelturm als Peacezeichen, das Friedenssymbol des französischen Künstlers Jean Jullien. Die Menschen, die hier vorbeikommen und oft lange stehen bleiben, reden nur leise miteinander. Trauer, Fassungslosigkeit, Zorn, Unsicherheit, Entschlossenheit – all dies lässt sich von den Gesichtern ablesen.
Das Leben nach den Terrorakten von Paris ist ein anderes – auch bei uns. In Talkrunden im Fernsehen wird darüber diskutiert, wie dem Extremismus zu begegnen sei, Experten werden interviewt und zur Sicherheitslage befragt. Es gibt Berichte und Artikel über den sogenannten Islamischen Staat – manche sagen, die Terrorakte seien Ausweis seiner zunehmenden Stärke, andere sehen die furchtbaren Taten eher als letztes Aufbäumen bereits geschwächter Fanatiker.
Buchverlage reagieren langsamer als Fernsehen oder Zeitungen auf aktuelle Entwicklungen. Erklären und aufklären wollen aber auch sie – ausführlicher, tiefgründiger, umfassender. Kaum ein Verlag in Deutschland setzt sich dabei derart intensiv mit dem Islam und dem Islamismus auseinander wie der Münchner C. H. Beck Verlag. Das Islamprogramm sei eine Herzensangelegenheit des Verlegers Wolfgang Beck, erklärt Lektor Ulrich Nolte, »nach dem 11. September haben wir unser Engagement noch verstärkt«. In Zeiten, da die Kriegs­rhetorik lauter wird, klingt Nolte, der das Islamprogramm verantwortet, ruhig und besonnen: »Uns geht es darum, auf wissenschaftliche Seriosität und Differenziertheit zu achten und keine vorschnellen, allzu simplen Antworten zu geben.«

Aufklärerisch wirken
Gerade ist bei C. H. Beck ein Buch des französischen Soziologen Emmanuel Todd erschienen. In »Wer ist Charlie? Die Anschläge von Paris und die Verlogenheit des Westens« werden die Reaktionen nach den Anschlägen auf das französische Satiremagazin »Charlie Hebdo« am 7. Januar kritisch beleuchtet. Der provozierende Befund: Unter dem Deckmantel eines Kampfs für die Freiheit haben sich Demokraten und Antidemokraten untergehakt, um gegen den Islam zu demonstrieren. Todd fragt, wie und warum wir so gern zu simplen Antworten kommen. Und Nolte sagt: »Ich bin stolz auf dieses Buch.«
Das Anliegen des Verlags sei es, aufklärerisch zu wirken. »Bei uns gibt es kein Buch über finstere Gotteskrieger. Wir wollen vielmehr Akzente gegen die Vereinfachung setzen.« Geplant ist ein Buch mit Innenansichten über den IS, ein anderer Titel soll sich mit terroristischen Netzwerken auseinandersetzen. Aus Belgien kommt ein Buch, das sich mit der islamistischen Szene des Landes beschäftigt und das Nolte gerade auf dem Schreibtisch hat. Womöglich nimmt er es ins Programm. Grundsätzlich aber sagt er: »Für eine differenzierte Analyse ist zeitlicher Abstand notwendig.« Die Pariser Anschläge führen deshalb bei C. H. Beck nicht zu hektischer Betriebsamkeit.

Kein Aktionismus im Buchhandel

Eher leise reagiert auch der Buchhandel auf die Anschläge. »Es gibt keine Solidaritätsadressen. Das Deklamatorische widerstrebt mir«, meint Heinrich Riethmüller, Geschäftsführender Gesellschafter der Osianderschen Buchhandlung in Tübingen und Vorsteher des Börsenvereins. Trauer und Betroffenheit seien spontane, persönliche Empfindungen. »Es ist nicht unser Stil, das in der Buchhandlung auszustellen. Das würde bloß aufgesetzt ­wirken.« Der Islam und der Nahe Osten sind als Buchthemen auf Büchertischen dennoch präsent in den Filialen – jedoch unabhängig von den Anschlägen.
Ähnlich äußert sich auch Silke Grundmann von Schleichers Buchhandlung in Berlin: »Wer seine Trauer zum Ausdruck bringen will, der kann dies vor der Französischen Botschaft angemessen tun. Es gehört nicht zu unserem Stil, dazu gleich eine Bühne aus Büchern zu bauen.« Mit der Erfahrung von Paris gehe jeder für sich und auf seine Weise um: »Wir werden nicht kurzfristig ein Schaufenster umgestalten. Solcher Aktionismus liegt mir fern.« Verkaufs- oder Eventaktionen, die sich auf die schrecklichen Ereignisse beziehen, hält sie für gänzlich unangebracht.
Für den Hanauer Buchhändler Dieter Dausien ist es wichtig, die Attentate und die Flüchtlingsthematik nicht auf verquere Weise miteinander zu vermengen. Zur Klärung sollen einschlägige Sachbuchtitel beitragen, die in seinem Buchladen am Freiheitsplatz seit Wochen schon prominent präsentiert werden. »Für uns geht es darum, dass wir das, was Willkommenskultur genannt wird, hochhalten«, sagt Dausien. Eine ausgestellte Betroffenheit – symbolisiert etwa durch Aufkleber mit dem Motiv des zum Peacezeichen gewordenen Eiffelturms – widerstrebt ihm. Und er gibt zu bedenken: »In den Ländern, aus denen die Flüchtlinge kommen, gehört die furchtbare Gewalt ja zum Alltag.«

Viele Gespräche mit Kunden

Der Autor, Verleger und Buchhändler Abbas Maroufi ist selbst geflohen. 1996 hat er den Iran verlassen, in Berlin später eine Buchhandlung gegründet: Hedayat – Haus der Kunst und Literatur. An den Wänden des Geschäfts im Stadtteil Charlottenburg hängen Bilder von Rilke, Böll, Kafka, Beckett und Joyce. Auf den Tischen und in den Regalen finden sich überwiegend Bücher in persischer, einige auch in deutscher Sprache. So ist es schon lange in der Buchhandlung. Was sich während der vergangenen beiden Wochen verändert hat, ist die Atmosphäre. »Die Menschen, die in das Geschäft kommen, sprechen vor allem über Paris«, sagt Maroufi. »Viele haben Angst.« Maroufi ist ein stiller, nachdenklicher Mann, kein Agitator. Aber vielleicht gilt jetzt auch, was er einmal mit Blick auf die Situation im Iran gesagt hat: »Egal, was passiert in der Politik: Wir müssen immer neue Bäume einpflanzen.«
Iris Hunscheid von der Buchhandlung Hoffmann in Achim bei Bremen ist womöglich eine Verwandte im Geiste. Jedenfalls sucht sie verstärkt das Gespräch mit ihren Kunden über die Pariser Ereignisse; und viele Menschen, die in ihren Buchladen kommen, tun das umgekehrt auch. Ganz ähnlich wie Dieter Dausien sagt Hunscheid, die auch Vorsitzende des Sprecherkreises des Arbeitskreises unabhängiger Sortimente (AkS) ist: »Es wäre schön, wenn wir klarmachen könnten, dass Offenheit und eine Willkommenskultur die beste Antwort auf die Extremisten sind. Ich hoffe, dass unser Land diesen Kurs, diese Haltung beibehalten kann – die große Mehrheit steht doch für freiheitliches Denken, Toleranz und Menschenrechte.«

Solidarität sichtbar machen

Hunscheid empfindet es als großes Glück, in einer Branche zu arbeiten, »wo man es überwiegend mit offenen, freigeistigen und reflektierten Menschen zu tun hat«. Bücher zu politischen Themen liegen in ihrer Buchhandlung gleich neben der Kasse, gut sichtbar platziert ist auch das Plakat von dtv, das für Toleranz und Menschlichkeit wirbt: zwei Hände, die sich begegnen.
Bilder für sich sprechen lassen – das ist auch die Idee der Mayerschen. Die Buchhandlung hat als Reaktion auf die Pariser Terrornacht ein Solidaritätsmotiv entworfen, das auf Bildschirmen in den Filialen und auf der Internetseite der Buchhandlung zu sehen ist: »Liberté, Égalité, Fraternité« steht da neben einem Herz in Blau, Weiß, Rot – den französischen Farben. »Wir wollen unsere Solidarität bekunden, aber damit keinen Umsatz machen«, erklärt Pressereferent Benjamin Schell.
Während der Schreckensnacht hatte die legendäre Buchhandlung Shakespeare & Company im Zentrum von Paris 20 Kunden Obdach gewährt. Seitdem kehren die Menschen in der Stadt allmählich zu ihrem gewohnten Alltag zurück. Doch es fällt schwer. Christian Döring, Verlagsleiter der Anderen ­Bibliothek, lebt seit Langem an der Seine, pendelt zwischen der deutschen und der französischen Hauptstadt. Es war reiner Zufall, dass er am 13. November nicht in Paris war. Jetzt hingegen hält er sich die meiste Zeit wieder in seiner Wohnung nahe der Sorbonne auf und ist in den Straßen der Hauptstadt unterwegs.
»Es ist eine eigentümliche Angespanntheit. In den U-Bahnen, wo gewöhnlich laut gesprochen wird, ist es ganz leise«, beschreibt Döring die Veränderung. Womöglich fasst die Atmosphäre in der Stadt am besten eine Formulierung zusammen, die Döring auf einer Brandschutzmauer nahe der Place de la République gelesen hat: »Fluctuat nec mergitur« (»Sie schwankt, aber sie geht nicht unter«) steht da. Es ist der alte Wahlspruch von Paris, der unter dem Schiff auf dem Wappen der Stadt prangt.

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