Lektoratsarbeit in Agenturen

Mehrarbeit für alle

14. Januar 2016
von Cornelia Birr
Übernehmen Agenten neue, zusätzliche Lektoratsaufgaben, weil Bücher in den Verlagen nur noch "gemanagt" werden? Einschätzungen aus sechs Agenturen.

Heinke Hager, Graf & Graf, Berlin

"Wir beobachten den Markt nun seit 20 Jahren und stellen fest, dass die Verlage den ökonomischen Druck, unter dem sie stehen, auch auf personeller Ebene umsetzen. Die Arbeitsbereiche wurden sowohl inhaltlich als auch im Umfang ausgeweitet. Das betrifft alle Abteilungen, nicht nur das Lektorat, auch wenn dieses für Autoren die entscheidende Schnittstelle im Verlag ist. Bei uns wurden und werden die Manuskripte schon immer eingehend mit den Autoren besprochen und kommentiert. Kein Manuskript geht ohne diesen Zwischenschritt und eine Überarbeitung an die Lektoren. Ein guter Agent ist auch mit den Lektoren sehr vertraut und weiß, was von wem zu erwarten ist. Das heißt: Bei der Wahl des richtigen Verlags für einen Autor spielt die Besetzung des Lektorats eine große Rolle."

Werner Löcher-Lawrence, Löcher Lawrence, München

"Dass die Agenten die Lektorats­tätigkeit der Verlage übernehmen, lässt sich so nicht sagen. Tatsächlich bereiten wir unsere Angebote jedoch besser vor als früher, weil kein Lektor mehr bereit ist, etwas Unfertiges zu nehmen. Projekte werden deshalb schon weit durchdacht und konzipiert, bevor sie auf einem Verlagsschreibtisch landen. Kein Verlag ist mehr bereit, sich für ein Manuskript, das noch bearbeitet werden muss und vielleicht ein gewisses Risiko mitbringt, zu engagieren. Das hat sich sehr verändert. Auf meinen Arbeitsalltag hat das jedoch keinen großen Einfluss. Ich habe von Anfang an gern mit Autoren gearbeitet, Gedanken entwickelt, Manuskripte wie ein Lektor begleitet – das ist das Herz  meines Jobs."

Georg Simader, Copywrite, Frankfurt

"Unser Arbeitsalltag hat sich ver­ändert, das betrifft aber nur bedingt ein etwaiges Vorlektorat. Neu ist, dass Autoren sich viel stärker als früher zu Vermarktern ihrer eigenen Werke entwickeln müssen. Das fängt bei der eigenen Website an, geht weiter im Social-Media-Bereich und hört bei der Frage auf: Wie präsentiere ich mich bei Lesungen? Ansonsten ist vieles geblieben, wie es war. Die meisten Lektorinnen und Lektoren leisten ganz wunderbare Arbeit, auch wenn der Druck zugenommen hat, weil die Rendite stimmen muss. Was auch so ist, wie es immer war: Offline reden wir mit den Kollegen aus den Lektoraten Klartext. Wir kennen ja unsere Pappen­heimer. Wer quengelt immer? Wer gibt immer zu spät ab? Hier nehmen wir viel Arbeit ab, verwarnen schon mal einen Autor, treiben ihn an, beruhigen ihn. So können sich die Verlagskollegen besser auf die (Text-)Arbeit konzentrieren. Und sonst? Die sogenannte Midlist ist beinahe zusammengebrochen, die Problemfälle haben zugenommen. Das erfordert Mehrarbeit."

Elisabeth Ruge, Elisabeth Ruge Agentur, Berlin

"Im Vergleich zu dem, was ich als junge Lektorin, später auch als Verlegerin erlebt habe, sehe ich derzeit in vielen Verlagen eine Schwächung der Rolle der Lektorate. Lektoren werden mit vielen Fremdaufgaben betraut – ob das Texte sind, die sie für die Website schreiben müssen oder Zusammenfassungen für Vertreter, die keine vollständigen Manuskripte mehr lesen. Da wird einfach zu viel abgeknapst an der eigentlichen Zeit für die Arbeit am Text und mit dem Autor. Natürlich sitzen in den Lektoraten gute Leute, die gern gute Bücher machen wollen. Es ist allerdings wichtig, Manuskripte anzubieten, die ausführlich durchgesprochen und präzise entwickelt sind, weil wir feststellen, dass die Zeit, die für die Akquise zur Verfügung steht, relativ kurz bemessen ist. Deshalb besteht eine unserer Hauptaufgaben als Agenten heutzutage tatsächlich darin, die Texte mit den Autorinnen und Autoren im Vorfeld intensiv zu bearbeiten. An manchen Büchern haben wir in der Agentur sechs bis acht Monate gearbeitet, bevor wir sie rausgeschickt haben. Bei einem Debütroman haben wir beispielsweise mit dem Autor einen zusätzlichen Erzählstrang entwickelt, bevor wir den Roman angeboten haben. Ich glaube, dass es für die Verlage in der Zukunft enorm wichtig sein wird, die Lektorate wieder stark zu machen. Nur so entsteht für Autoren wieder ein wirkliches 'Heimat­gefühl' bei den Verlagen – wenn man nämlich genügend Zeit für sie hat, wenn man sich für sie und ihre Texte wirkungsvoll einsetzen kann."

Barbara Wenner, Verlagsagentur Barbara Wenner, Berlin

"Die Beobachtung, Projekte müssten heute in einem fertigeren Zustand an Verlage überreicht werden als früher, kann ich nicht unterschreiben. Natürlich möchten die Kollegen in den Verlagen wirklich durchgearbeitete Materialien. Das entspricht meinem Anspruch als Agentin – es kann bis zu drei Jahre dauern, ehe ich mit etwas herausgehe. Daran hat sich nichts geändert. Ich denke aber, dass in den Verlagen jeder unter einem immensen Druck arbeitet. In einer Ökonomie der Aufmerksamkeit muss um jeden Titel gerungen werden. Stellt man fest, dass es an Konzentration auf ein Buch, einen Autor mangelt, ist man als Agent besonders gefordert. Ein Beispiel: Ein Autor erfährt beim Blick in die Vorschauen, dass sein Verlag einen unmittelbaren Konkurrenztitel im selben Zeitraum für ein anderes Imprint des Hauses akquiriert hat. Sie können sich vorstellen, der Autor ist hochgradig irritiert, fragt nach seiner Positionierung im Marketing, usw. Im Interesse des Autors und seines Buchs gibt es für den Agenten vieles zu klären. Leider ereignen sich solche misslichen Konstellationen heutzutage häufiger. Der Einzeltitel spielt in dem großen Getriebe eben eine geringere Rolle als früher."

Michael Meller, Michael Meller Agency, München

"Unser Arbeitsalltag hat sich ganz gravierend verändert. Das liegt an dem Arbeitsdruck, unter dem Lektoren heute stehen. Früher wurden Manuskripte vor der Weitergabe nicht ganz so sorgfältig angesehen. Was wir den Verlagen heute anbieten, hat meistens bereits zwei, drei Durchläufe hinter sich. Das heißt, wir haben den Autoren schon Hinweise gegeben, mal detaillierter, mal allgemeiner. Zudem erleben wir es leider immer öfter, dass ein Manuskript, das in den Augen der Verlage immer noch nicht perfekt ist, mit den Worten 'Das ist uns zu viel Arbeit' abgelehnt wird – ein Kommentar, der dieser Tage zu schnell fällt. Damit gehen auch oft gute Geschichten, die der Expertise des Lektorats bedürften, verloren."