Peer Steinbrück bei den Publikumsverlegern

"Seien Sie Impulsgeber"

21. Januar 2016
von Börsenblatt
Nicht als "Experte in Ihren fachlichen Fragen", sondern als politischer Zeitdiagnostiker stellte sich der frühere SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück den in München versammelten Publikumsverlegern vor. Um dann sogleich deutlich zu machen, dass es ihm um seine Diagnose ernst ist: "Die Jahre 2014 und 2015 stellen so etwas wie eine Zeitenwende dar."

Dazu passe die immer noch „verbreitete Selbstzufriedenheit dieser Republik“ in keiner Weise. Der prominente Gastredner der AG Pub kritisierte die „verbreitete Sehnsucht, sich bequem in einer permanenten Gegenwart einzurichten“. Die Politik selber hat Steinbrück zufolge zur weitgehenden Entpolitisierung der Gesellschaft beigetragen. Wenn man nicht mehr bereit sei, Konflikte einzugehen, entpolitisiere man die Leute – und speise sie zunehmend mit Banalisierung ab. Die Verleger als „Public Intellectuals“ nahm er in die Pflicht, ihre Rolle als „Impulsgeber und Erklärer“ in der Gesellschaft verstärkt wahrzunehmen.

„Dieses Europa ist in einem Ausmaß gefährdet wie nie zuvor.“

Denn tiefgreifende, krisenhafte Veränderungen in Europa wie auch global würden den Bedarf an Komplexitätsreduzierung und Orientierung immer mehr erhöhen. Die entscheidenden politischen und wirtschaftlichen Krisen laut Steinbrücks Analyse:

  • Die Besetzung der Krim und die Destabilisierung der Ukraine. Die „gedemütigte Großmacht“ Russland versuche, wieder Stolz zu entwickeln, „Wir haben es in Europa mit einer völlig neuen Sicherheitslage zu tun.“
  • Die Destabilisierung der Euro-Zone. Eine dermaßen fragile Lage sei entstanden, dass man sich Sorgen machen müsse um die Kohärenz Europas.
  • Die Entwicklung in Frankreich mit bevorstehenden Präsidentschaftswahlen, die womöglich auf ein Duell „zwischen Marine Le Pen und dem Wiederaufstehmännchen Sarkozy“ hinauslaufe.
  • Eine Renationalisierung in Europa auf mehreren Ebenen.
  • Der Export des Terrors nach Europa.

Steinbrücks Schlussfolgerung aus seiner Liste der Dramen: „Dieses Europa ist in einem Ausmaß gefährdet wie nie zuvor.“ Hinzu komme aktuell der Zuzug von Flüchtlingen, der jedenfalls für Deutschland „in jeder Hinsicht die größte Herausforderung der Republik seit 1949“ sei.

Über diese krisenhaften Entwicklungen verliere die Politik an Glaubwürdigkeit und an Respekt. Allgemeine Skepsis hinsichtlich der staatlichen Kontrollfähigkeit, der Sicherheit, des Justiz- und Gewaltmonopols führt nach Überzeugung Steinbrücks dazu, dass eine wachsende Zahl von Menschen sich frage: Wie handlungsfähig ist der Staat noch? Vor dem Hintergrund wachsender Distanzierungen forderte der Politiker die Verlage auf, mitzuwirken „an einem neuen europäischen Narrativ“. Europa müsse „wiederaufgeladen werden als ein wunderbares demokratisches Gebilde“.

Für die aktuellen Sorgen der Verlagsbranche zeigte Steinbrück viel Verständnis. „Vollständig ratlos“ sei er mit Blick auf die Entscheidungen des EuGH in Sachen Verwertungsgesellschaften. „Ich verstehe, dass da ein Drittel oder mehr Ihres jährlichen Gewinnes ohne Ausschüttungen der Verwertungsgesellschaften bedroht sein könnte.“ Auch beim Entwurf zum Urhebervertragsrecht müsse zumindest die Fünf-Jahres-Frist wieder zurückgenommen werden. „Warum kann man das nicht über Vertragsfreiheit regeln?“, fragte er: Politik solle sich nicht anmaßen, alle Fragen regeln zu wollen, sondern etwas bescheidener auftreten.

Den Verlegern sagte Steinbrück am Ende seines mit viel Beifall bedachten Vortrags zu, „zu helfen, wo ich behilflich sein kann“.