Zum Henker mit dem Dekomaterial

Wie im Ramschladen

17. März 2016
von Börsenblatt
Verlagsvertreter müssen jetzt stark sein. Ihre bunten Papplieblinge werden vom Buchhandel nämlich gar nicht so geliebt, wie sie meinen. Für Michael Lemling von der Münchner Buchhandlung Lehmkuhl war ein Galgen der Gipfel.

Vor ein paar Tagen kam der Galgen. Hochwertig. Aus Holz. Ein Kollege hat ihn mit zwei Handgriffen schnell zusammengeschraubt. Wir staunten und lachten und kamen ins Fachsimpeln: Da fehlt die Falltür. War wohl im Budget nicht mehr drin.

Der Galgen wurde uns von Thienemann geliefert, um dessen Spitzentitel "Der Ruf des Henkers" im Laden oder Schaufens­ter zu inszenieren. Wir sind ja für skurrile Ideen zu haben, aber die Sache mit dem Galgen ist grundsätzlicher Natur: Wir wollen kein Dekomaterial. Obwohl wir das seit Jahren bei jedem Vertretergespräch ablehnen, werden wir bei jeder Novitäten­lieferung reichhaltig damit versorgt. Von uns wird es dann auf direktem Wege entsorgt. Denn: Wie sähe wohl unsere Buchhandlung aus, wenn wir das, was uns da unverlangt geliefert wird, ernst nehmen und zum Einsatz bringen würden? Wie ein Ramschladen, der an jeder inszenierten Stelle aufblinkt mit der Botschaft: Alles muss raus.
Wir rätseln bei jeder neuen Lieferung: Warum nur hängen so viele Verlage an ihrem Dekomaterial? Hoffen sie, dass nur die Pappaufsteller, Fahnen und Displays der Konkurrenz den ­direkten Weg zum Wertstoffhof finden und allein ihre POS-Inszenierung in den Buchhandlungen der Republik leuchtet? Chance 1 : 50. Erschwerend kommt hinzu: Dekomaterial kann nicht süchtig machen. Das meiste davon darf man sich aus der Nähe gar nicht betrachten: ein Elend aus Pappe und Plastik, dem anzusehen ist, dass es nicht viel kosten durfte. Und das soll dann den Umsatz des neuen Romans von Elizabeth ­George beflügeln?
Sind wir mit unserem Blick auf das, was uns mit jeder neuen Saison als Handelsmarketing angeboten wird, untypisch und kennen nur unseresgleichen, die diese Zumutungen ebenfalls umgehend den Müllwerkern überantworten? Falls wir jedoch repräsentativ sind, stellen wir unsere Theorie eines großen Missverständnisses zur Diskussion: Es sind die Verlagsvertreter, die diese Dekomaterialien lieben und an ihren Zauber glauben. Die Marketingabteilungen in den Verlagen sind skeptisch und lassen deshalb das Pappenzeug so billig wie möglich produzieren – und so sieht es dann meistens auch aus. Die Buchhändler wollen es in der Regel nicht und wundern sich, wenn es trotzdem kommt. Und warum kommt es? Weil es ab einer festgesetzten Bestellmenge automatisch geliefert wird oder weil der Vertreter in vorauseilender Überzeugung vom besonderen Verkaufserfolg des betreffenden Titels in "seinen" Buchhandlungen einfach sein Kreuz auf dem Reiseauftrag bei den zusätzlichen Gimmicks macht. Schließlich hat er ja bei der Verlagskonferenz dafür gekämpft. Dekomaterial hat also doch ein Suchtpotenzial.
Diese – auf den ersten Blick marginale – Angelegenheit ist grundsätzlicher Natur auf eine weitere Weise. Ich glaube, dass die Kommunikation zwischen Verlagen und Handel sich in naher Zukunft gravierend verändern wird. Die digitale Vorschau mit all ihren Möglichkeiten ist dafür das sichtbare Zeichen am Horizont. Der Verlagsvertreter wird – um seine Funktion weiterhin zu rechtfertigen – paradoxerweise die Perspektive des Handels sehr viel deutlicher als bisher einnehmen müssen, obwohl er in Diensten der Verlage steht. Das wird dann auch das Ende des Dekomaterials sein, das wir heute noch beklagen.
Den Galgen haben wir übrigens nicht entsorgt. Der erwähnte Kollege hat einen Sohn, der gerade seine Piratenphase durchlebt. Jetzt ist das hochwertige Stück in seinem Kinderzimmer im Einsatz. Die Mutter fürchtet, dass das Meerschweinchen demnächst dran hängt.