Frankfurt liest ein Buch

Auf den Spuren von Elise Herman

11. April 2016
von Börsenblatt
Mit viel Vorleseprominenz wurde in der Deutschen Nationalbibliothek gestern Abend die 7. Auflage des Lesefestivals Frankfurt liest ein Buch eröffnet. Bis zum 24. April geht es nun in rund 70 Veranstaltungen in Frankfurt und Umgebung um den Roman "Frankfurt verboten" von Dieter David Seuthe (Weissbooks).   

Das diesjährige Frankfurt-Buch dreht sich um die junge jüdische Pianistin Elise Herman, die von den Nazis um ihren Beruf, ihre Liebe, ihr Leben gebracht wurde. Man werde hineingezogen in den Roman, lege ihn nicht mehr aus der Hand, lobte Frankfurts Kulturdezernent Felix Semmelroth die Auswahl. Nach der Lektüre trete man ein Stück zurück und frage sich, wie der Naziterror möglich war. Leider war Frankfurt vorn dabei: 44,1 Prozent der Frankfurter stimmten 1933 für die NSDAP, das waren zwei Prozent mehr als im Durchschnitt des Landes. Und früher als anderswo begann in Frankfurt die sogenannte "Entjudung".

Die Buchbranche ist politisch

"Ich freue mich, dass ein Buch im Fokus steht, das Antwort auf die Frage zu geben versucht, wie das braune Gift sich verbreiten konnte", sagte Weissbooks-Verleger Rainer Weiss. Man müsse schonungslos in die Geschichte schauen, um etwas zu lernen. Erst vorgestern sei es an einigen Ecken der Stadt zu nationalsozialistischen Schmierereien der übelsten Sorte gekommen. "Die Spaßgesellschaft ist vorbei", so Weiss. 

Er bedankte sich bei Börsenvereins-Geschäftsführer Alexander Skipis für sein Verdikt, die Frankfurter Buchmesse müsse politischer werden, und die von Börsenvereinsvorsteher Heinrich Riethmüller auf der Leipziger Buchmesse gestartete Aktion "Für das Wort und die Freiheit".

Frankfurter Kulturprominenz liest vor

Der Auftakt von Frankfurt liest ein Buch mit einem Lesereigen der Frankfurter Kulturprominenz in der Deutschen Nationalbibliothek hat Tradition – und der Große Saal war wieder bis auf den letzten Platz besetzt. Zu den Vorlesern zählten diesmal Willy Praml, Regisseur und Leiter des Theaters Willy Praml, Maja Klostermann, Schülerin der Europäíschen Schule Frankfurt am Main, Tigerpalast-Direktor Johnny Klinke, die Schriftstellerin Monika HeldDieter Graumann, ehemaliger Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Stefan Wolff, Wirtschaftsjournalist / ARD Börse, Frankfurts Literaturreferentin Sonja Vandenrath und Franziska Nori, Direktorin des Frankfurter Kunstvereins.

Ihre Stimmen machten Dieter David Seuthes Roman lebendig. "Luises Stimme bebte ganz sacht", begann der tiefe Bass von Willy Praml – und das Publikum lernte die 17jährige Elise Herman und ihre geliebte Großmutter kennen. Die junge Stimme von Maja Klostermann nahm den Faden auf; ein Benefizkonzert für die Augenoperation der Großmutter soll organisiert werden. Johnny Klinke stellte  die Unterstützer und das Programm vor. Die Profi-Vorlesestimme der Schriftstellerin Monika Held berichtete vom Konzertabend, vom ersten Grauen der auftretenden Hitlerjugend, den Goldberg-Variationen, Debussys "Claire de Lune", die Teilen des Publikums nicht deutsch genug waren, den Pfiffen und dem anschließenden Horst-Wessel-Lied.

Bei Dieter Graumanns klarer und fester Stimme reisten Elise und ihre Großmutter von Bad Ems nach Frankfurt. Es war der 31. Mai 1929, und Elise stellte sich im Hoch'schen Konservatorium in der Eschersheimer Landstraße 4 vor. Die große Liebe, Kino (mit Ton!), musikalische Fortschritte – die Briefe nach Hause las Stefan Wolff vor. Die Beerdigung der Großmutter ohne Elise, die wegen eines Wettbewerbs fernbleibt, war Sonja Vandenraths anrührendes Kapitel, das sie bestens meisterte. Richtig dunkel wurde es bei Franziska Nori: Die Ausschreitungen beginnen, Elise darf nicht mehr auftreten. Wie es weitergeht? Man will es wissen und ahnt es doch zugleich.

Appell an die Menschlichkeit

Das Schlusswort hatte der Autor Dieter David Seuthe. Vor vier Jahren hat er den Roman geschrieben, der in den nächsten 14 Tagen in vielfältigster, oft auch musikalischer Weise aufbereitet wird. "Es begeistert mich, dass mein Buch etwas in den Frankfurter Lesern zum Klingen bringt", so Seuthe in der Nationalbibliothek. Es sei Zufall, ob man als Frau, Mann, Jude oder Christ geboren wird, zuallererst sei man Mensch. Nach Schätzung von Amnesty International seien derzeit 60 Millionen Menschen auf der Flucht, sein Roman also brandaktuell. "Wir müssen den Flüchtlingen helfen, unsere Hände nach ihnen ausstrecken". 

Der Autor zeigte sich zur Eröffnung der 7. Auflage von Frankfurt liest ein Buch tief bewegt und dankte unter anderem dem Frankfurter Verleger Klaus Schöffling, der dem Verein Frankfurt liest ein Buch vorsitzt und das Frankfurter Lesefestival erfunden hat.

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