VVA-Sortimentertagung in Köln

Ideen gegen den Leerstand

13. April 2016
von Börsenblatt
Wie die VVA ihren Radius erweitert, Buchhändler im Ausland ihren Alltag meistern, Innenstädte wieder aufblühen, sich Regionalia erfolgreich vermarkten lassen – und warum niedrige Bücherpreise für niemand ein gutes Geschäft sind: Die VVA hatte den Bogen bei ihrer Sortimentertagung in diesem Jahr weit gespannt. Knapp 60 Gäste waren dabei.

Alle zwei Jahre rollt die VVA Buchhändlern den roten Teppich aus, lädt sie für einen Tag ein zu einem Treffen an atmosphärisch aufgeladenen Orten, bei dem es um inhaltliche Fragen geht, die die Branche gerade umtreiben, vor allem aber darum, Kontakt zu halten und sich auszutauschen. Die Gäste, die die Auslieferung dazu einlädt, sind handverlesen; es ist ein exklusiver Kreis, man kennt sich.

Diesmal, am 11. April, ging es nach Köln ins Hotel im Wasserturm – in altes Gemäuer, das auf schönste modernisiert wurde und, aus unzähligen Perspektiven, einen Rundblick über die Stadt ermöglicht. Die Location passte perfekt zum Ziel der Sortimentertagung: Vom elften Stock des Wasserturms aus betrachtet, gibt es wenig, was den Blick bremst oder unüberwindbar erscheint – der Horizont liegt in weiter Ferne. 

Gießen macht sich schön: Programm gegen Leerstände und Umsatzrückgang in der Innenstadt

Als Heinz-Jörg Ebert vor rund zehn Jahren damit begann, sich Mitstreiter für eine großangelegte Renovierung der Gießener Innenstadt zu suchen, gab es viel Wildwuchs und unüberwindbar scheinende Hürden. Er wusste, dass es schon eine Brechstange bräuchte, um die festgefahrenen Strukturen wieder zu lockern, die traurige Stimmung aus der Stadt zu treiben, ihr ein Profil zu geben und, das war dem Inhaber des Schuhhauses Darré besonders wichtig, Leerstände zu vermeiden und die Kundenfrequenz zu erhöhen. Und das funktionierte. Auf der VVA Sortimentertagung berichtete er mit einem breiten Lächeln über die Erfolge und erklärte haarklein, wie sie möglich wurden. 
 
"Wir können unsere Läden noch so schön gestalten: Wenn der Standort nicht stimmt, nützt das gar nichts“: Mit dieser Gewissheit ging es für Ebert los. Er stieß auf ein ursprünglich in Übersee entwickeltes Konzept, das darauf basiert, private Investoren – sprich: die Eigentümer der Immobilien – in die Pflicht zu nehmen. Das Konzept basiert darauf, die Innenstadt als eine, zusammenhängende Bühne zu inszenieren und wurde bekannt unter verschiedenen Namen: Manche sprechen von Business Improvement Districts (BIDs), andere von Innovationsbereichen, Immobilien- und Standortgemeinschaften (ISG) und wieder andere von Innerstädtischen Geschäftsquartieren (INGE).

Seit 2007 ist die Sache auch gesetzlich geregelt (Gesetz Nr. 1630 zur Schaffung von Bündnissen für Investition und Dienstleistung). Ebert und seine Mitstreiter haben sich daran gehalten, Gießen ist heute kaum wiederzuerkennen (Details u.a. unter www.seltersweg.de). Durch unermüdlichen Druck erreichten sie, dass sich die Eigentümer finanziell beteiligten, ein Profil (Wissenschaftsstadt) geschaffen und ein Maßnahmenplan entwickelt wurde – und die Initiative auch Manager einstellen konnte, die sich um die Umsetzung dieses Plans auf Dauer kümmerten. Kurzum, so Ebert zu den erstaunten Buchhändlern in Köln: Die Stadt blühte wieder auf. „Gießen wächst mittlerweile schneller als Frankfurt.“

BIDs gibt es zwar schon lange, sie sind aber nicht überall gern gesehen: Kritiker bemängeln unter anderen, dass sie zu einseitig seien und den Wettbewerb vor Ort nur unnötig anheizten. Nichtsdestotrotz fördern IHKs die Einrichtung von BIDs jedoch auch weiterhin und erstellten Anfang 2016 erstmals auch eine bundesweite Übersicht zu den Aktivitäten in einzelnen Bundesländern (zum Nachlesen, als PDF, auf der Website des Deutschen Industrie- und Handelskammertages).  

Erfolge und Engpässe: Stephan Schierke und seine 13 Jahre bei der VVA

Der Vortragsreigen begann in Köln, so ist es bereits Tradition, mit der VVA, mit einer Bilanz und einer Menge Zahlen: Gastgeber Stephan Schierke sprach über die Veränderungen bei der Vereinigten Verlagsauslieferung (VVA) und beim Verlegerdienst München (VM), erinnerte sich dabei noch einmal an seine Anfänge – verglich die Lage im Jahr 2002, als er Geschäftsführer unter dem Dach der Bertelsmannsparte Arvato wurde, mit der Situation, wie sie sich heute für die beiden großen Auslieferungen darstellt. Schierke sprach über Erfolge, vergaß aber auch die Rückschläge nicht. Im Überblick:

  • Die VVA verlor 2015 einen ihren über lange Jahre bedeutendsten Kunden – den Club Bertelsmann. Als Schierke 2002 zur VVA kam, lag das Club-Volumen noch bei 20 Prozent, bis 2015 ging es runter auf 3 Prozent. Seit diesem Jahr ist der Club nun Geschichte. „Sie können sich vorstellen, was das für unser Haus bedeutet“, sagte Schierke.
  • Aufs Logistikgeschäft, und damit auf das Kerngeschäft von VVA und VM, drücke zudem die gestiegene Nachfrage nach E-Books, die laut Schierke mittlerweile 8 Prozent des Ausliegerungsvolumens ausmachen. Das Problem hier: „Für die Auslieferung von E-Books braucht es keine Logistik“ – keine Fördertechnik, keine Lagerfläche, keine Lieferwannen.      
  • Trotz dieser beiden Faktoren konnte die Verlagsauslieferung jedoch zulegen, gegen den Branchentrend. Schierke zufolge ging es beim Volumen weiter nach oben, das durchschnittliche Auslieferungsvolumen liegt heute bei mehr als 160 Mio. Büchern pro Jahr. Der VM erlebte, durch eine Sonderkonjunktur bei Hueber, das beste Jahr seit 2004. Der Lagerbestand legte ebenfalls zu, wuchs zwischen 2002 und 2015 um insgesamt 30 Prozent (im Schnitt 2,0 Prozent pro Jahr).  
  • Mehr Einnahmen erzielten die VVA und der VM dadurch aber offenbar nicht. Pro Titel betrachtet, seien die Umsätze seit 2002 um ein Drittel gesunken, so Schierke – und das vor allem auch deshalb, weil die Bücherpreise stagnierten. „Da bewegen wir uns alle im Fahrwasser der Verlage“, meinte er. In einem solchem Umfeld zu agieren, sei schwierig. „Dass der Lagerbestand stärker wächst als der Absatz, ist keine gesunde Entwicklung – und drückt auf die Margen in der Branche.“
  • Die beiden Bertelsmann-Auslieferungen reagieren darauf mit Diversifizierung – sie nehmen branchenfremde Unternehmen auf (u.a. Krombacher und Omega), bauen bestehende Geschäftsfelder weiter aus. Letzteres vor allem im Segment Spielwaren – am Standort Verl. Vier Millionen Euro wurde dort 2015 in die Erneuerung der Logistik investiert, im Langzeitvergleich seit 2002 versechsfachte sich der Umsatz.
  • Der Service hatte 2015 gleich mehrere Themen auf der Agenda – sorgte für die Umsetzung der Bundle-Anforderungen (Besteuerung), stellte das Leseproben-Widget technologisch um (von Flash auf HTML5), entwickelte für Verlage eine Software, mit der sie die Verfügbarkeit und die Preise ihrer E-Books in Webshops per Knopfdruck prüfen können. 

Reisen schärft den Blick: Unterwegs mit Torsten Woywod    

Außer den eher harten Fakten gab es für die Buchhändler, die nach Köln gekommen waren, noch zwei eher unterhaltsame, leichte Themen. Zum einen hatte die VVA ihnen den Wunsch erfüllt, einen Verleger als Referent einzuladen, Hermann-Josef Emons; zum anderen war Torsten Woywod (Mayersche, Online-Marketing) da, um ihnen etwas über seine sagenhafte und viel beachtete Buchhandlungsreise durch Europa zu erzählen. 

Woywod hat, wie berichtet, im vergangenen Jahr innerhalb von 28 Tagen zwölf Länder bereist – und 62 Buchhandlungen besucht. Große und kleine, urbane und ländliche, luftige und auch solche, in denen sich die Regalbretter durchbiegen, so voll sind sie. In Köln zeigte er Bilder seiner Reise, berichtete über Eigenheiten (u.a. der Harry-Potter-Buchhandlung Livraria Lello e Irmão in Porto, die jetzt 3 Euro Eintritt nimmt und beim Bücherkauf wieder verrechnet) – präsentierte immer aber auch ein Fazit und was er selbst für nachahmenswert hält.

„Viele Buchhandler haben Interesse sich zu vernetzen – auch länderübergreifend“, habe er beobachtet, so Woywod. Und das jede Erfolgsgeschichte nicht nur ein gutes Konzept und eine Vision bräuchten, sondern immer und in erster Linie: engagierte Leute.
In diesem Sommer wolle er die Reise fortsetzen, dabei seinen Radius auch noch einmal erweitern, kündigte Woywod in Köln an. Bis dahin hat er allerdings noch einiges vor sich: Noch ist das Buch, in dem alle Geschichten und Bilder der letzten Reise unterkommen sollen, noch nicht fertig – es erscheint zur Frankfurter Buchmesse im Oktober (bei Eden Books).   

Rückenwind für Regionales: Verleger Hermann-Josef Emons      

Hermann-Josef Emons, Kunsthistoriker und seit 1984 Verleger, ist heute mehr denn je der Ansicht, dass das Regionale Zukunft hat. Besonders in Köln – die Kölner seien geradezu berühmt für ihre Selbstbesoffenheit, erzählte Emons auf der Bühne im Gespräch mit Harald Horstmann (Bereichsleiter Logistik, VVA). „Man muss nur auf irgendetwas Köln draufkleben, dann wird es gekauft.“

Ganz so flüssig lief es für den Verleger zwar nicht, wie er verriet („wir sind schneckenmäßig gewachsen“), aber auch nicht wirklich holprig – vor allem dank seiner regionalen Krimis und seiner 111er-Reihe, mit er längst und weit über Köln hinaus gekommen ist.

Im April 2015 zog Emons in größere Räume (560 Quadratmeter inmitten von Köln), der Verlag hat heute 28 Mitarbeiter, kommt pro Jahr auf 300 Novitäten und einen Umsatz von acht Millionen Euro. Emons weiß, dass ihn Buchhändler auf dem Weg dahin immer unterstützt haben – er stellte ihnen in Köln ein Geschenk in Aussicht: "Wir machen jedes Buch, das Sie wollen und uns überzeugt", bot er selbstbewusst an. "Dafür stelle ich auch noch weitere Leute ein."