Iren Isberner über den Bahnhofsbuchhandel

"Wir stellen uns breiter auf"

19. April 2016
von Börsenblatt
Heute treffen sie sich die Bahnhofsbuchhändler zu ihrer Jahrestagung in Berlin, um über die Folgen der Digitalisierung zu reden. Ein Gespräch mit Iren Isberner, Einkäuferin bei der Unternehmensgruppe Dr. Eckert.

Ein Smartphone in der Hand oder ein Laptop vor sich: Das ist im Zug mittlerweile der Normalfall. Wo bleiben die Bücher?
Natürlich kenne ich dieses Bild. Vor zwei, drei Jahren waren unsere Befürchtungen da auch noch recht groß: Wir dachten, dass unsere Printumsätze rapide sinken könnten, die Leute immer seltener bedrucktes Papier kaufen würden. Aber so kam es nicht: Insgesamt sind wir sehr angenehm überrascht worden. Unsere Buchumsätze sind stabil, sogar wieder leicht steigend gegenüber dem Vorjahr – trotz aller digitaler Ablenkung. 

Sie beobachten keine Verschiebungen?
Doch, sicher, aber eben keine Rückgänge, was den Buchumsatz insgesamt angeht. Verschiebungen zeigen sich eher bei den Themen, die gefragt sind. Unterhaltung im Taschenbuch und auch das Segment Hardcover-Bestseller entwickeln sich etwas schwächer, andere Segmente dafür stärker. Zum Beispiel der ganze Kreativbereich, besonders auch die Ausmalbücher für Erwachsene. Wir müssen schon schauen, dass wir mehr anbieten als bloß die üblichen Bestseller, wir uns im Sortiment also breiter aufstellen und auch Nischenthemen nicht vergessen.

Welchen Regeln folgen Sie da?
Das ist ganz unterschiedlich. Unsere großen Ludwig-Buchhandlungen, etwa in Köln oder Leipzig, sind Vollsortimente wie klassische Sortimentsbuchhandlungen auch. Es gibt dort kompetente Buchhändler vor Ort, die selbst einkaufen, die beraten und den gleichen Service anbieten, den Kunden auch aus Innenstadtbuchhandlungen kennen. In der Mehrzahl betreiben wir mittlere und kleinere Bahnhofsbuchhandlungen, wo wir aus Platzgründen nicht mehr das ganze Sortiment abbilden können. Da müssen wir uns auf die gängigen Bestseller und bekannte Autoren beschränken.

Spielen da auch Thementische eine Rolle?
Klar, je nach Saison, Thema oder Aktualität. Gerade für unsere Stammkunden, die vielen Pendler, ist es wichtig, dass wir Abwechslung bieten. 

Dass Ihre Kunden auf Reisen sind – machen Sie sich das zunutze? Sind Ihre Reiseabteilungen größer als in Buchhandlungen abseits des Gleises?
Das Segment ist uns sehr wichtig, wir sind darüber hinaus allerdings auch regional stark. Stadtpläne, Wanderkarten, regionale Krimis und Kalender, Souvenirs und so weiter – das haben wir alles da und es läuft auch ganz wunderbar.

Dreiviertel des Umsatzes erwirtschaften Bahnhofsbuchhandlungen nach wie vor mit Zeitungen und Zeitschriften. Können Sie sich als Bucheinkäufern davon unabhängig machen?
Die Abteilungen arbeiten getrennt voneinander, auch im Einkauf, tauschen sich aber regelmäßig aus. Andererseits beobachten wir natürlich Trends, die beide Bereiche betreffen. Ich persönlich denke, dass es für uns als Bahnhofsbuchhändler ein großer Vorteil ist, dass wir Kunden sowohl Presse als auch Buch anbieten können – da gibt es durchaus Synergieeffekte. Denken Sie nur an das Segment Eisenbahn: Kunden, die sich dafür interessieren, ist es egal, ob sie am Ende ein Buch kaufen, eine Zeitschrift oder eine DVD – ihnen geht es um das Thema.

In den vergangenen Jahren gab es eine Reihe von Neugründungen auf dem Zeitschriftenmarkt, viele Titel bewegen sich inhaltlich und preislich nah am Taschenbuch. Wonach greifen Ihre Kunden heute eher, wenn sie die Wahl haben: zum Magazin oder zum Buch?
Aus meiner Sicht ergänzen sich die Formate, ich beobachte da eigentlich keine Konkurrenz. Die weibliche Kundschaft, die zum Beispiel Unterhaltungsromane kauft, kauft dazu auch noch eine Zeitschrift aus dem großen Bereich „Bewusster Leben“ – und umgekehrt. 

Was kaufen Männer?
Die kaufen verstärkt Sachbücher zu aktuellen politischen Themen. Auch da ist es eher so, dass sich die Formate Buch und Zeitschrift ergänzen – zumal Verlage ja auch relativ zeitnah auf Ereignisse und Debatten reagieren. Ganz allgemein: Ich schätze, dass mindestens die Hälfte unserer Kunden männlich ist. Wir merken das zum Beispiel an den Segmenten Science Fiction und Fantasy, die bei uns wirklich super laufen. Viele Männer kommen auch zu uns, weil sie Fachzeitschriften für ihre Hobbys kaufen. Dass wir uns im Buchbereich genauso auf sie einstellen, wissen sie sehr zu schätzen.

Wie entwickeln sich die Stückzahlen bei Ihnen?
Große Stapel präsentieren wir nur noch bei ausgewählten Titeln, und das dann sehr bewusst. Insgesamt jedoch sind die Stapel eindeutig kleiner geworden. Vor Jahren war es noch so, dass ein aktueller Titel sich in den ersten Tagen rasant verkaufte. Jetzt läuft das Geschäft meist langsam an, hält sich dafür dann aber eine Weile – länger als früher.

Mussten Sie die Buchflächen verkleinern?
Nein. Da, wo wir den Platz haben, bemühen wir uns eher, noch mehr in die Breite zu gehen als in der Vergangenheit und unseren Kunden eine größere Auswahl anzubieten. 

Wie lange geben Sie Büchern heute Zeit, um Käufer zu finden?
Da sind wir stringent. Bei Hardcovern schauen wir mindestens zwei Mal im Jahr, welche Titel nicht laufen und remittiert werden müssen. Im Taschenbuch sind die Zyklen zum Teil auch kürzer. Das heißt aber nicht, dass wir keine kompetente Backlist pflegen.

Für wie viele Filialen kaufen Sie ein?
Zentral betreut meine Abteilung rund 40 Filialen, die Buchhändler in den 14 Ludwig-Buchhandlungen kaufen selbst ein und in den etwa 35 kleineren Läden, die Bücher verkaufen, hilft uns der Rackjobber BTV.

Wie spüren Sie Themen auf?
Durch intensive Nutzung und Beobachtung aller Medien, durch das Lesen der Vorschauen und über die Vertreter. Außerdem stehen wir im regen Austausch mit den Kollegen vor Ort und schauen standortbezogen auf die Abverkäufe. Ich denke, wir haben ein gutes Gespür dafür entwickelt, welche Themen gerade gefragt sind.

Wie viele Verlagen beliefern die Unternehmensgruppe Dr. Eckert? 
Mit den großen Verlagsgruppen bestreiten wir den Hauptteil des Umsatzes. Darüber hinaus arbeiten wir intensiv mit vielen kleineren Verlagen, die oft einen regionalen Bezug haben beziehungsweise Titel abseits des Mainstreams anbieten.

Kommen Ihnen die Verlage entgegen?
Die Zusammenarbeit ist sehr kollegial und über die Jahre gewachsen. Was die Konditionen angeht, gibt es schon immer Unterschiede zwischen Bahnhofsbuchhandlungen und kleineren Sortimenten – weil wir durch die viel höheren Mieten und den höheren Personaleinsatz, bedingt durch unsere langen Öffnungszeiten,  eine ganz andere Kostenstruktur haben. Für große Verlage, so heißt es oft, seien wir ein Superpower-Kanal. Und das stimmt wohl:  Es gibt Kampagnen, die bei uns stattfinden, auf den Werbeflächen und in der Kundenzeitschrift „DB mobil“. Die so vorgestellten Titel stechen besonders heraus – meist auch mit dem gewünschten Erfolg.


Die Unternehmensgruppe Dr. Eckert betreibt in Deutschland mehr als 200 Geschäfte in den Bereichen Presse, Buch, Tabak und Convenience: Bahnhofsbuchhandlungen der Marke Ludwig (14), Pressefachgeschäfte der Marke Eckert (127), Tabakwarenfachgeschäfte der Marke Barbarino (49) und Convenience Stores unter den Labels Adam’s (3) und ON!Express (14).

Mit den Vollsortimenten unter dem Namen Ludwig ist das Unternehmen bundesweit an 14 Standorten vertreten, Bücher gibt es zudem in der Mehrzahl der Läden, die unter der Marke Eckert aktiv sind. An gut 50 Standorten können Kunden Bücher auch individuell bestellen (per Anbindung an Libri).