Sind Verlage eher Partner oder Konkurrenten?

AWS-Jahrestagung: Fachbuchhändler ringen um Marktanteile

4. Mai 2016
von Börsenblatt
Für Fachbuchhändler bleibt die Lage unübersichtlich: Von Fachverlagen sehen sich entweder umworben – oder an den Rand gestellt. Bei ihrer Jahrestagung in Bensheim (2.-4. Mai) diskutierten sie über beide Positionen, über die geplanten Nationallizenzen der Großverlage, quälende Ausschreibungen und das Direktgeschäft. Der neu gewählte Vorstand bekommt viel zu tun. 

Derk Haank und der Buchhandel

Für die Fachbuchhändler ist es ein immerwährendes Thema – die Zusammenarbeit mit Verlagen. "Entwicklung gemeinsam gestalten", lautete diesmal das Motto ihrer Jahrestagung.

Wie groß die Lücke ist, die sich zwischen dem Buchhandel und Verlagen auftut, zeigte die Podiumsdiskussion, die gestern auf dem Programm stand. Sukzessive, befürchten die Fachbuchhändler, könnten sie im Zeitschriftengeschäft mit den öffentlichen Wissenschaftsbibliotheken aufs Abstellgleis geraten – wenn die drei Großverlage Springer, Elsevier und Wiley tatsächlich unterzeichnen (Hintergrund: Dunkle Wolken über dem Bibliotheksgeschäft und Vor dem Deal).

In einem Interview mit dem Börsenblatt (45/2015) hatte Derk Haank, CEO von Springer Nature im vergangenen Jahr schon mal seine Richtung vorgegeben. „Die Welt ändert sich, und der Buchhandel muss seine Rolle neu finden. Das tut manchmal weh“, stellte er klar – die zwei knappen Sätze hallen offenbar bis heute nach: Sie standen am Beginn der Podiumsdiskussion, Klaus Tapken (Missing Link, Bremen), der die Runde moderierte, hatte sie mitgebracht.

Braucht es einen Verlagsbuchhandel 2.0?

Die erste Frage ging an Torsten Jahn von der Heinrich Heine Buchhandlung in Hamburg. Tapken wollte von ihm, bezugnehmend auf das denkwürdige Haank-Interview, wissen, ob er Springer-Titel aus dem Sortiment genommen habe. Jahn lächelte: Natürlich verkaufe er noch Springer-Titel. Im Übrigen sei das Neuerfinden ja quasi sein Beruf, Schmerzen spüre er keine. „Verlage springen zu kurz, wenn sie eigene Vertriebswege aufbauen, also eine Art Verlagsbuchhandel 2.0 betreiben“, so Jahn. „Wir wissen sehr genau, was unsere Kunden wollen, sind das Scharnier zwischen beiden Welten.“ Damit könne man, sprich: der Fachbuchhandel, doch selbstbewusst umgehen.

Service, Service: Was sich Bibliotheken wünschen

Jahn war, neben Moderator Tapken, der einzige Händler, der auf dem Podium seine Meinung sagte – der AWS ging eher darum, Verlage selbst sprechen zu lassen und auch mehr darüber zu erfahren, warum sich Wissenschaftsbibliotheken von ihnen wegbewegen. Letzteren Part übernahm Dirk Pieper von der Universitätsbibliothek Bielefeld, ohne viel zu beschönigen. Pieper erklärte, unter welchem Rationalisierungsdruck Bibliotheken heute stehen würden, dass Verlage als direkter Partner wichtig seien – er sich umgekehrt aber keine Zukunft vorstellen könne, in der man nur noch direkt und nur noch bei einem Verlag, etwa bei Springer Natur, einkaufen würde.

„Das widerspricht der geforderten Vielfalt und den Ansprüchen unserer Nutzer.“ Den Buchhandel komplett abzuklemmen, komme schon aus Kostengründen der Aufgabenteilung nicht infrage; im Grunde, so Pieper, sei man in den Bibliotheken auf die Mithilfe der Händler angewiesen: „Wir brauchen ihre Unterstützung bei der Rechnungsstellung, im Marketing und auch in puncto Metadaten.“ Konzentration im Markt, wie sie mit den Nationallizenzen eingeht, halte er für genauso gefährlich wie viele andere. „Aber ich habe kein Gegenrezept.“

Für Hanser Fachbuch, bei der Jahrestagung vertreten durch Vertriebsleiterin Dubravka Hindelang, steht ein Tauziehen mit dem Buchhandel um Marktanteile zunächst nicht zur Debatte. „Wir versuchen immer mit den Händler zusammenzuarbeiten“, betonte Hindelang – und erklärte, dass auch sie Deals, wie sie die Nationallizenzen bedeuteten, kritisch sehe. Bibliotheksumsätze liefen bei Hanser zu 99 Prozent über den Handel. „An dem Know-how des Handels und seinem Service können wir doch uns gar nicht messen, wir haben keinen Außendienst, sind überhaupt nicht so aufgestellt.“

Das habe sich auch bei der Allianzlizenz mit dem Land Sachsen gezeigt, die 2015 einigen Staub aufgewirbelt hatte: Hindelang zufolge verhandelte Hanser zwar mit dem Konsortium, reichte das Volumen dann aber an den Handel weiter. „Das Verfahren hat sich bewährt.“ Anders laufe es nur, wenn Erwerber darauf bestünden, direkt einzukaufen.

De Gruyter hat mit solchen Anfragen ebenfalls Erfahrung, allerdings wollte Chef-Verkäufer Ben Ashcroft (Vice President Sales & Marketing) gestern auf dem Podium weder die eigene noch die Funktion des Buchhandels dabei klein reden. Der Verlag verfüge über ein starkes Direktgeschäft, arbeite im wachsenden Umfang aber auch mit dem Handel zusammen, sagte er. „Im Bibliotheksgeschäft spielt er eine bedeutende Rolle – über 50 Prozent unseres E-Book-Umsatzes läuft mittlerweile über den Handel.“

Mit Blick auf Print habe man bei DeGruyter der Handel zuletzt vernachlässigt, doch auch das ändere sich gerade wieder. „Die Tendenz geht bei uns in die Richtung, stärker mit dem Handel zu kooperieren.“ Einzige Einschränkung: die Datenbanken des Verlags. „Die Produkte sind komplex und erklärungsbedürftig, da ist die Erfolgsquote des Handels aus unserer Erfahrung sehr viel niedriger.“ Zu niedrig, um groß ins Geschäft zu kommen.     

Ja und nein, einerseits, andererseits – die Diskussion kam auf keinen klaren Nenner, verlief aus der Sicht mancher auch „zu friedlich“, wie die anschließenden Gespräche in kleinerer Runde zeigten.

Otto Schmidt Verlag:  "So geht es nicht weiter" 

Die einen sind auf den Buchhandel angewiesen, andere nicht – mit diesem Fazit endete  Podiumsdiskussion und jeder Vortrag, der ihr folgte. Gemurrt wurde dabei aber nur einmal: Als Christian Kamradt, Geschäftsbereichsleiter Marketing beim Verlag Dr. Otto Schmidt, ans Mikrophon trat und seine Ideen dafür vorstellte, wie er künftig die Digitalangebote, die der Verlag ergänzend zu den Printprodukten entwickelt hat, pushen will.  

Das Problem des Verlags und Kamradts Appell: Ein Großteil der Print-Abos (Loseblattwerke: 90 %; Zeitschriften: 60%) läuft über den Buchhandel, ein Viertel auch über allgemeine Sortimente – wobei nicht alle Händler, wie Kamradt sagte, interessiert daran seien, die Kunden zu umwerben, sie zu beraten und über digitale Angebote zu informieren.

Da der Verlag keinen Zugriff auf die Daten der Kunden habe, habe er auch keine Chance, am Stillstand etwas zu ändern. „Wir wollen nicht tricksen und auch niemand etwas wegnehmen“, betonte Kamradt, doch so, wie es sei, könne es nicht bleiben. Es sei die Pflicht des Handels, aktiv zu werden – genau das wolle er künftig stärker einfordern. „Uns geht es darum, mit den Händlern, die inaktiv sind, wieder neu in Kontakt kommen, und gemeinsame Online-Abos auf den Weg bringen.“  Das Bonbon für den Händler: Das Digital-Abo soll dann zwei Jahre über seinen Schreibtisch laufen.     

Weitere Themen der Jahrestagung 2016, zum Beispiel:

  • Open Access-Modelle – und sie den Markt unter Druck bringen; dazu gab es eine Podiumsdiskussion u.a. mit Xenia van Edig (Copernicus),  Cary Bruce (EBSCO) und Sven Fund (fullstopp); 
  • Bestandsaufbau in Bibliotheken in der Praxis – darüber sprach Joachim Drews von der Universitätsbibliothek Bremen
  • Bessere Kommunikation zwischen Verlagen und Buchhandlungen auf Prozessebene – am Beispiel von Klopotek, mit COO Klaus-Peter Stegen.
  • Die Wünsche der Wissenschaft und der Sinn des Direktgeschäfts - aus Sicht des Riesen Elsevier; Claus Grossmann (Regional Director DACH, Academic & Governmental Sales) zeigte, wie der Verlag – u.a. mit dem Tool Mendeley – auf die Anforderungen der Forscher an den Universitäten und in der Industrie reagiert – und damit dem Handel weit enteilt ist. 

Neuer Vorstand, neue Geschäftsführerin, neue Themen

Organisatorisch wird sich für die rund 50 Mitgliedsunternehmen der Arbeitsgemeinschaft in der nächsten Zeit einiges ändern: Sie wählten im Rahmen der Jahrestagung turnusgemäß einen neuen Vorstand – und lernten zusätzlich ihre neue Geschäftsführerin kennen, Christa Beiling. Nach Stationen bei Suhrkamp, Springer Nature und Piper (u.a.) machte sie sich 2009 als Unternehmensberaterin in Unterschleißheim selbstständig, übernimmt nun die Geschäftsführung bei der AWS.

Ihre Vorgängerin Dorothea Redeker scheidet auf eigenen Wunsch aus, will sich nach eigener Aussage auf ihre Arbeit als Autorin konzentrieren: Vor drei Jahren stieß sie zufällig auf den Nachlass ihres Großvaters, des Mediziners und ab 1953 ersten Präsidenten des Bundesgesundheitsamtes Franz Redeker. Sie arbeitete den Nachlass auf, durchkämmte Archive und dokumentiert nun ihre Ergebnisse: Ihr Buch „Der Physikus. Als Public Health noch Volksgesundheit hieß“ erscheint im Juni (im Selbstverlag, siehe Website).  

Neu im Vorstand der AWS sind Bianca Kölbl (Buchhandlung Biazza, München) und Torsten Jahn (Heinrich Heine Buchhandlung, Hamburg) – Thomas Wich (Sack Mediengruppe) geht in seine zweite Amtszeit.

Alle drei haben feste Pläne: Sie wollen erreichen, dass die Leistungen des Fachbuchhandels neu wahrgenommen werden; sie haben vor, die Independents unter den Mitgliedern noch einmal stärker als bisher in den Mittelpunkt zu rücken und ihre Lobbyarbeit in Richtung Börsenverein auszubauen. Die im vergangenen Jahr von ihnen angeregte IG (Interessengemeinschaft) Wissenschaftliche Bibliotheken sei unter dem Dach des Branchenverbands bereits gegründet worden, berichtete Noch-Vorstand Klaus Tapken (Missing Link, Bremen). Eine zweite IG, über die sich die AWS-Mitglieder einbringen wollen, werde folgen (IG Fachinformationen).

Die Jahrestagung der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlicher Fach- und Sortimentsbuchhändler (AWS) fand diesmal vom 2. bis 4. Mai in Bensheim statt.