Vito von Eichborn über blumige Vorschauprosa

Für Leser ohne jede Furcht

9. Juni 2016
von Börsenblatt
Vito von Eichborn hat Vorschauen gelesen. Die Fülle buchbezogener Attribute beeindruckte ihn schwer. Er sammelte, sortierte, reflektierte – und legt hier nun ein paar praktische Vorschläge für die Verlagsprosa vor.

Abgründig, abwechslungsreich, ambitioniert, atemberaubend, atmosphärisch, außergewöhnlich, bahnbrechend, begnadet, berührend, bewegend, bezaubernd, bittersüß, brillant, brisant, eindringlich, elegant, facettenreich, federleicht, fesselnd, fulminant, großartig, herzenswarm, herzerwärmend, mitreißend, nervenaufreibend, originell, packend, prickelnd, provokant, raffiniert, rasant, schicksalhaft, schnörkellos, subtil, temporeich, umwerfend, unvergesslich, unvorhersehbar, unwiderstehlich, vielschichtig, virtuos, waghalsig – im Vorschau­paket eines einzigen Verlagshauses fand ich alle diese Begriffe.
Damit das klar ist – ich will mich hier nicht mokieren, habe selbst jede Menge Sprüche geklopft. Ich biete dies an als ersten gekonnten Fundus, den andere aus den Herbstvorschauen ergänzen mögen. Das Konvolut gehört dann in den Speicher jedes Lektors und Werbetexters – damit sie nicht immer von vorn anfangen müssen zu dichten: Was passt am besten zu diesem Buch? Offensichtliche Unsinnsbegriffe könnte man als Hilfestellung vielleicht kennzeichnen.
Jedoch erstaunte mich: "für Leser ohne jede Furcht". Denn seit Märchenzeiten wissen wir doch, dass das fürchterliche ­Geschehen uns dienen soll, unsere Ängste zu verarbeiten. Wer keine Furcht hat, ist doch eher selbst zum Fürchten!
Kinderbücher werden "von Familien empfohlen". Aha, soso, die sind also ultimativ banal. Da leuchtet doch viel mehr ein: "für Leser von …" – da kann man schön platt von Pilcher bis King irgendwelche Namen von Bestsellerautoren eintragen, wer einem gerade dazu einfällt. So werden Markenartikel zu Schubladen der Rufausbeutung. Es fragt sich nur, ob Buchhändler oder Pressefuzzis – und an die gehen doch die Vorschauen – ­darauf reinfallen. Und auf die vielen "Bestsellerautoren" mit "Start­auflage XY", von der wir wissen: Es stimmt vielleicht die Hälfte. Außerdem: Vorsicht! Die Vorbilder Joyce und Musil bedeuten: Unverkäuflich. Kafka ist totgeritten. Und wenn aus, sagen wir, der New York Times Erfolgsautoren als Referenz genannt werden, die hierzulande niemand kennt – wem hilft das?
Wir sollten es, wie auf so vielen Feldern seit unserer West-orientierung, den Amis nachmachen: Dort verdienen sich prominente Autoren ein erkleckliches Zubrot, indem sie sich "Quotes" gut bezahlen lassen. Das machen die am liebsten für gute Freunde, deren Bücher sie wirklich mögen. Hierzulande empfehlen sich ja auch Autoren vice versa, wenn sie denn häufig genug nebenbei Kritiker sind (weil sie von ihren Büchern nicht leben können). Aber bisher ist mir kein Fall bekannt, dass ein Lektor anruft und seinem Autor sagt: "Kriegst fünfhundert für einen massenwirksamen Satz für …" Könnte das eine gute Idee sein, das Buch eines jungen Hoffnungsträgers zu promoten? Die Presse fällt jedenfalls sofort drauf rein. Man darf natürlich niemals erzählen, dass es wie in jedem Showgewerbe bezahlt ist. Diesen Tipp verschenke ich hier nur mal so als garantiert erfolgreiche Idee für die Werbeabteilung. Authentizität verkauft immer. People to people.
Wenn es dann allerdings gelungen ist, ansatzweise diese Hälfte zu verkaufen, heißt es (so im Börsenblatt), "Rowohlt bereitet die zweite Auflage vor". Was machen die da bloß? Das ist Nonsens pur. Wenn eine weitere Auflage gebraucht wird, geht eine Mail an den Drucker, vielleicht mit einer Änderung im Impressum. Und hübsch und dünn steht in einer Verlagsanzeige: "2. Auflage im Druck, 3. Auflage in Planung." O Mann, was die Planer da wohl treiben? Statt schlicht auf die Absatzzahlen zu schauen und sie hochzurechnen?
Ich schlage vor: "Bald werden wir vergriffen sein!" Kauft, Buchhändler, kauft!