Innovationen auf der Druck- und Papiermesse

Über die Faszination einer elektrisierten Drupa 2016

14. Juni 2016
von Börsenblatt
Gerade ist in Düsseldorf die Druck- und Papiermesse drupa zu Ende gegangen. Unter den 260.000 Besuchern der elftägigen Fachmesse war auch Michaela G. C. Philipzen – die Produktionsleiterin der Ullstein Buchverlage präsentiert auf boersenblatt.net Rück- und Ausblicke.

Wer die Düsseldorfer Druck- und Papiermesse drupa das erste Mal besucht, staunt über das rein räumliche Ausmaß dieser Fachmesse: In stolzen 19 Hallen geben gut 1.800 Aussteller aus aller Welt im Vierjahrestakt ihr Können zum Besten – neueste Druckmaschinen und Weiterverarbeitungsstrecken sowie tonnenschwere Papierrollen fressen jede Menge Raum. Da wird kein Dummy gezeigt, sondern komplett aufgebaut und feinjustiert: Bis die Maschinen rund laufen, vergehen Wochen. Dieser Aufwand lohnt sich nur, wenn man auch ausgiebig zeigen darf, was man kann.

Technologisch betrachtet gibt die drupa einen Rückblick auf erreichte Entwicklungen und zugleich einen Ausblick auf das, was wir in den Verlagen mit etwas zeitlichem Verzug erfahren werden. So war es für Third-Party-Partner wie uns ein große Aufsehen, als bereits auf der vergangen Messe 2012 Hewlett-Packard mit seinen digitalen Inkjet-Rotationen den ewigen Hallenkönig Heidelberg vom Thron stieß. Der strauchelnde Aktienkurs des deutschen Maschinenbaumeisters ließ es damals schon erahnen, aber dass ein bis dato Branchenfremder wie HP selbstbewusst eine Messehalle nahezu allein beanspruchte – damit hatte niemand gerechnet. Die andere große Überraschung war Benny Landa, der Pionier des Digitaldrucks, auch „father of commercial digital printing“ genannt. 2002 verkaufte er seine 80er-Jahre-Erfindung, die „Electroink“ (verbaut in Indigo-Maschinen), an HP. Besessen von der Idee, eine noch effizientere und umweltfreundlichere Digitaldruck-Technologie zu entwickeln, stand er heuer wieder auf seiner selbst gebauten Bühne und präsentierte in bester Steve-Jobs-Manier seine neueste Errungenschaft: die Nanotechnologie-basierte Landa NanoInk

Seit 2012 ist viel passiert. Digital gedruckte Werbemittel sind aufgrund ihrer hohen Qualität salonfähig geworden, längst vergessene Buchstoffe in Kleinstauflagen wieder lieferbar und sinkende Startauflagen dank etabliertem Digitaldruck wirtschaftlich darstellbar. Die lange gültigen Technikgrenzen für kleine, mittlere und große Auflagen verschwinden und mit ihnen auch liebgewonnene Druckereien, die Sortenvielfalt der Buchpapiere und des ein und anderen Vorstufenbetriebs.

Heidelberg hat seine Standfläche ein weiteres Mal verkleinert, schaut aber mit einer großen Portion Zuversicht auf ihr Druckgeschäft. Heute spricht man nicht mehr vom „Drucker“, sondern vom „Datenmanager“, der sich nicht mehr nur um einzelne Druckjobs kümmert, sondern gleich 30 hochstandardisierte Printaufträge platziert und damit Aufgaben aus der Druckvorstufe übernehmen kann. Das bis dato vor sich hin dümpelnde Format „JDF“ spielt dabei eine entscheidende Rolle, nicht weniger die Web-Schnittstelle der Druckmaschine selbst – ganz im Sinne des 24/7 agieren Druckmaschinen in Zukunft deutlich autonomer. Technisch möglich ist längst, dass der Kunde seine Daten selbst auf die digitale Maschine schickt.

Die technologischen Versäumnisse der Vergangenheit holt Heidelberg nun auf, indem sie in ihre Digitalmaschinen die feindosierenden und unempfindlichen Tonerköpfe von Fujifilm verbaut und damit über Sonderfarbaggregate rund 95% der Pantone-Sonderfarben wiedergeben kann. Somit erlangen die Druckergebnisse nicht nur qualitativ ein hohes Niveau - auch das rohstoffbewusstere Druckverfahren ist ein wertvolles Gut.

Hewlett-Packard, numerisch betrachtet in der letzten Halle 17, wartet mit zwei Digital-Drucktechniken auf: die Indigo für das anspruchsvolle Farbsegment, z. B. Buchumschläge, die Inkjet für die schwarz-weiße und farbige Masseproduktion. Druckergebnisse auf Tintenbasis sind aus der schwarz-weißen Buchproduktion nicht mehr wegzudenken und manch’ Buchhändler würde staunen, wenn er wüsste, wie groß der Anteil an Büchern ist, die so das Licht der Welt erblickt haben. 

Was Fachfremde überrascht, ist für Fujifilm die logische Weitentwicklung des eigenen Kerngeschäfts: als Beschichtungs-Experte gelang ihnen mit der Entwicklung der Tonerkopf-Technologie „Samba“ ein großer Erfolg. Diese kann nicht nur besonders fein und schnell Primer, Tinte und Metallicfarben zu Papier bringen, sondern besteht auch den Stresstest in staubigen Umgebungen problemlos. Da wundert es nicht, dass dem 800-köpfigen F&E-Team einst auch eine besonders gute Anti-Aging-Creme gelungen ist – als Abfallprodukt quasi, denn „Creme ist technisch ja auch nur eine Art Film“, schmunzelt Fujifilm-Mitarbeiter Dirk Mussenbrock, der über den Stand führt. Genau das aber scheint ein wesentlicher Aspekt des Erfolgs auszumachen: der internationale Konzern schöpft Neues aus seinen interdisziplinären Geschäftsfeldern Life Science, Document Solutions und Health Care.

Um Inkjet zu beherrschen, war den Entwicklern von Anbeginn klar, müssten sie sich in Tinte, Druckköpfe und Software beweisen. Der Weg dahin war Trial-and-Error und 2008 noch mit extrem hohem Verschleiß verbunden, doch heute gelten sie als die besten Druckköpfe am Markt.

Je schwieriger die Herausforderung, desto besser seien sie, resümiert Thomas Brinkmann, Manager Strategic Business Development bei Fujifilm Europe. Was in Düsseldorf auf dem digitalen Druckmarkt wie Konkurrenz wirkt, wird im persönlichen Gespräch relativiert, denn das japanische Unternehmen Fujifilm hält 85% der Anteile am Wettbewerber FujiXerox – und damit die Oberhand auch über die hierzulande in Xerox-Maschinen verbauten Technologie.  

Bei Xerox freut sich Vertriebsmitarbeiter Ralf Menzel, dass der Digitaldruck sein schlechtes Image abgelegt hat: „Good-enough Druckqualität ist heute kein Schimpfwort mehr.“ Die jüngste digitale Endlospresse „trivor 2400“ überzeugt mit vielerlei Vorteilen: selbstreinigende Farbdüsen, keine Extravorbehandlung des Papiers, eine große Bandbreite an Papiergrammaturen sowie fünfzehn unterschiedliche Qualitätsstufen helfen teure Tinte zu sparen und somit schnell zu produzieren. Die platzsparende Maschine hat in deutschen Druckereien bereits ihren festen Platz eingenommen.

Doch ein Wermutstropfen bleibt: die Digitaltechnologie kämpft mit Passerungenauigkeiten im Druckbild, wie ihre Vorgängertechnologie. Da bleibt also noch Entwicklungspotenzial.

Konventionelle Druckfarben sind das Anliegen des süddeutschen Farbenherstellers Epple. Aus der Erfahrung mit dem hochpigmentierten Farbsystems aniva schaffen sie die Grundlage für die Farbbrillanz des Ultra HD-Verfahrens, welches das Grafische Centrum Cuno einsetzt. Voraussetzung aber für die spürbare Farbraumerweiterungen und das brillantere Druckergebnisse sind RGB-Daten, weiß die Druckerei mit ausgewiesener Vorstufenkompetenz zu empfehlen.

Dem noch relativ kleinen Digitaldruckmarkt sieht man bei Epple entspannt entgegen. Ihre nächste Herausforderung besteht eher in der Erfüllung der neuen Umweltauflagen, die verlangen, dass Kobalt und Mangan aus den Rezepturen verschwinden.

Genauso wie die Herstellung eines PAC-freien Schwarz, welches erst durch den Einsatz des problematischem Russ seine Tiefe bekommt. Eine unumgängliche Vorgabe für die Produktion von Kinderbüchern, die die Spielzeug-Verordnung erfüllen müssen. Nicht einfach auch für den Druckfarben-Hersteller, der attestiert, dass nicht jede Farbe CE-fähig sei.

Die gute Nachricht aber: Druckfarben sind frei von Schwermetallen und giftigen Stoffen. Wer fürchtet, dass ein riechendes Buch schlecht für die Gesundheit sei, der dürfe auch nicht mit Olivenöl braten – ist sich der Cheftechniker von Epple sicher. Denn pflanzenbasierte Druckfarben bzw. deren Aldehyde entwickeln ihren irritierenden, charakteristischen Geruch gerne wenn sie auf Naturpapieren zum Einsatz kommen. 

Mit der Zeit gehen musste auch der ostwestfälische Buchbindemaschinen-Hersteller Kolbus, der sich Dank des wachsenden Verpackungsmarktes wieder guter Geschäfte erfreut. Ein Trend, der sich wunderbar an Apple-Produkten ablesen lässt: rund 10 Prozent der Kosten gehen zu Lasten der Umverpackung, illustriert Bernd Gosewehr, der stellvertretende Geschäftsführer, sein Marktumfeld.

Buchumschläge und Verpackungen sind für das familiengeführte Unternehmen stark verwandt, die nächste Herausforderung jedoch steckt darin flexibel auf die Anforderungen aus dem digitalen Kleinauflagendruck zu reagieren: schnell wechselnde Buchformate mit minimalster Rüstzeit verarbeiten können. Mit der neuen Strecke gelingt Kolbus der Wechsel in nur zwei Minuten. So festigt der ehemalige Hufschmied erneut seine Marktführerschaft im Bereich des industriell gefertigten Buchs. Der entscheidende Technologie-Treiber dieser Weiterentwicklung aber war 2009 das boomende Fotobuch, welches dem schwächelnde Geschäft wieder auf die Beine verhalf. Inzwischen leisten Kolbus-Maschinen hundertprozentige Inline-Verarbeitung kompletter Verpackungen, die in Fernost noch händisch aufgebaut werden. 

Das Highlight der drupa 2012, der bereits genannte Digitaldruck-Pionier Benny Landa, sorgte auch in diesem Jahr für lautes Spektakel in seinem „Landa Theatre“. Unter dem Motto „Nano. The Power of Small.“ führte Landa, der auf der drupa seinen 70. Geburtstag feierte, das Grundprinzip seiner Nanotechnologie aus. Was er zu sagen hat, überzeugt: Mit seinem Teilchen-Ansatz will er den Digitaldruck günstiger und umweltfreundlicher machen. Denn noch versickert die eh’ schon teure Digitalfarbe vor allem ins Papier, welches wiederum aufwändig de-inkt werden muss – seine Idee: weniger Druckfarbe in kleineren Drucktröpfchen verarbeiten, im nächsten Schritt alle vier Farben auf einem Trägermaterial „verschmelzen“ lassen und erst zum Schluss auf das Papier übertragen, das würde auch den Recycling-Prozess erleichtern. Es ist Landas feinstoffliche Antwort der digitalen Ära auf ein traditionell mechanisches Verfahren.

Neben der Materialeinschränkung hapert es noch mit der Abbildungsqualität, wie man unter dem Fadenzähler erkennen kann. Aber darauf kann man bei Indigo-Erfinder Landa vertrauen, dass er das Problem in den Griff bekommt.  

Ein wenig belächelt hat man Benny Landa auf der diesjährigen drupa, weil seine Technologie dann doch noch nicht so weit war, wie 2012 angekündigt. Heidelberg hatte seinerzeit auf ihn gezählt und am Ende die Partnerschaft aufgelöst, um sich mit Fujifilm zusammenzutun. Und ein nicht widerlegtes Messegerücht besagt, dass nun auch Landa mit Fujifilm paktiert – jedoch die Druckmaschine von Komori bauen lässt. Diesen kritischen Stimmen zum Trotz gilt der 70-jährige Benny Landa unbestritten als einer der ambitioniertesten Innovatoren der Szene.

Die Digitalisierung stellt auch in der produzierenden Zunft alles auf den Kopf: Wer kalkuliert, muss die Kostentreiber des Digitaldrucks begreifen: eine lineare Kostenentwicklung der Farben zu Verbrauch und Auflage, ob Klick- oder Bogenweise gerechnete Maschinengebühr (ein Relikt aus den Zeiten des „Kopierpfennigs“), der Faktor Personal und damit Zeit (Digitaldruck ist immer noch langsamer als konventioneller Druck), der vielfach erhöhte Energieverbrauch (verglichen zu einer Offsetmaschine) sowie die Rüstzeiten für die Weiterverarbeitung. Und auch, wenn Druckmaschinen von heute eine zehnfach höhere Produktivität im Vergleich zu einer Maschine in den 1980er Jahren haben, sollte die Investitionen in digitale Technologie wohl überlegt sein. Innovative Druckereien wie das Grafische Centrum Cuno in Calbe wägen ihre Entscheidungen daher sorgfältig ab. „Individualität und Industrieproduktion sind längst keine Träumerei mehr.  Der klassische Offsetdruck wird neben den bestehenden tonerbasierenden Systemen durch den Inkjet-Druck mit Sicherheit eine spürbare Ergänzung erfahren. Auch wir werden unsere Produktion weiter durch diese Technologie ergänzen. Entscheidend ist am Ende, wie es uns gelingt, anspruchsvolle Kundenwünsche, individuelle Stärken im Team und hocheffiziente Industrieproduktion zu einem wirklich harmonischen Dreiklang zu vereinen. Dann nämlich erweitert Print seine Spielräume – auch bei der Buchproduktion“,  führt Inhaber und Geschäftsführer Manfred Cuno aus, der an vier Tagen seinen Verlags- und Industriekunden die Vielfalt der Messe gezeigt hat.

 

Doch ein Messetag genügt nicht, um all’ die faszinierenden Entwicklungen näher zu betrachten. So nimmt die Bedeutung des „Functional Printing“ immer mehr zu. Was uns manches Mal aus dem Blick gerät: die Bedeutung sowie der Umsatz von Druckverfahren spielt in anderen Branchen eine gewichtigere Rolle, von deren Innovationen der nischige Buchmarkt nur profitieren kann. Mehr dazu schreibt Uwe Marx auf FAZ.net 

 

Es bleibt spannend – auf ein Wiedersehen mit der drupa vom 23. Juni bis 3. Juli 2020.