Ehrengast Flandern & die Niederlande

Ein Sonderzug nach Frankfurt

13. Oktober 2016
von Börsenblatt
Autoren aus den Niederlanden und Flandern sprachen gestern auf dem Blauen Sofa in Berlin über ihre Bücher und die Unterschiede zwischen den beiden Regionen. Es ging dabei auch um die Frage, ob eine Sprache die mehr Wörter braucht, reicher oder ärmer ist.

Beim Ehrengastauftritt von Flandern und den Niederlanden wird penibel auf Ausgewogenheit geachtet. Zur Frankfurter Buchmesse kommen deshalb 36 flämische und 36 holländische Autoren – die meisten gemeinsam in einem Sonderzug. Das ist auch deswegen bemerkenswert, weil in den Niederlanden fast dreimal so viele Menschen leben wie in Flandern. Gestern nun bei einer der so zahlreichen Vorpremieren zum großen Messeauftritt in der Berliner Bertelsmann-Repräsentanz waren die Flamen sogar in der Überzahl. Aus dem eingeladenen (selbstverständlich paritätisch besetzten) Autorenquartett war ein Trio geworden, da Leon de Winter sehr kurzfristig mitteilen ließ, dass er nicht auf dem eigens bei Bertelsmann abgestellten Blauen Sofa, vom "Spiegel" einmal als "Ruhmesrampe" apostrophiert, Platz nehmen könne.

So war es Sache der beiden flämischen Schriftstellinnen Saskia de Coster ("Wir & Ich") und Griet Op de Beeck ("Komm her und lass dich küssen") über die Unterschiede zwischen dem Standard-Niederländischen und dem flämischen Niederländisch aufzuklären. Letzteres sei verspielter, barocker, auch altmodischer. "Wir brauchen mehr Wörter, um das Gleiche zu sagen. Ich weiß nicht, ob das ein Vorteil ist", klärte Saskia de Coster in nahezu perfektem Deutsch auf. Dass ihr Roman über das verkorkste Beziehungsleben in einer abgeschotteten Villengegend daher anstrengend weitschweifig sei, wäre indes eine ganz falsche Vermutung. Das immerhin über 400 Seiten dicke Buch bietet vielmehr ein sehr unterhaltsames und konzentriertes Lesevergnügen.

Die niederländische Ein-Mann-Fraktion bestand aus dem großartigen Geert Mak. Seine Bücher verbinden Lebendigkeit mit Gelehrsamkeit – die seltene Kombination hat ihn zu einem der erfolgreichsten und vielfach prämierten Publizisten der Niederlande und darüber hinaus gemacht. In seinem neuen Buch "Die vielen Leben des Jan Six" erzählt er von einer 400 Jahren alten, berühmten Amsterdamer Familie. Und obwohl der Begründer der Dynastie, Jan Six I., im Mittelpunkt des Buches steht, verriet Mak, der drei Jahre an dem Werk gearbeitet hat, im Gespräch mit der Berliner Journalistin Barbara Wahlster, dass die Frauen der Six-Dynastie sich als die spannenderen Charaktere erwiesen hätten – impulsiv, unberechenbar und doch auch pragmatisch und lebensklug.

In Berlin wurden gestern kaum überraschend auch noch einmal die Rekordzahlen genannt, mit denen der diesjährige Ehrengast alle vorherigen Gastlandauftritte übertrifft: 230 Übersetzungen gibt es und mehr als 450 Titel, die sich mit Flandern oder den Niederlanden beschäftigen. Der flämische Kurator des Gastlandauftritts Bart Moeyaert versprach, wunderbar unbescheiden, dass Besucher des Gastland-Pavillons auf der Messe, die lediglich ein paar Minuten für einen raschen Überblick eingeplant hätten, mit Sicherheit mindestens eine Stunde bleiben würden. Warum das so sein wird, sagte er auch: Wer sich im Pavillon auf einen Stuhl setzt, dem flüstere kurz darauf eine Stimme ins Ohr: "Wollen Sie ein Gedicht hören?"

Jeder Gastlandauftritt sei so etwas wie das Kondensat der gesamten Buchmesse, sagte deren Chef Juergen Boos. Die Substanz der Messe – als literarische, kulturelle, wirtschaftliche und politische Veranstaltung – werde in der Ehrengastpräsentation gebündelt. Boos, nach seinem Lieblingstitel aus der Gastlandregion befragt, nannte "Der Kummer von Belgien" – von Hugo Claus. Er habe das bei Klett-Cotta neu aufgelegte Buch jetzt bereits zum zweiten Mal voller Begeisterung gelesen. Auch über den berühmten, flämischen Klassiker (1983 im Original erschienen) wird beim zweiten Auftritt nach der niederländisch-flämischen Premiere in Frankfurt von 1993, zu reden sein.