Internationaler Buchhandel (2/2)

Buchhändlerischer Ideencocktail

27. Oktober 2016
von Börsenblatt
Was Buchhändler von ihren internationalen Kollegen lernen können, haben wir in hier vorgestellt. Nun folgen drei weitere Anregungen, die sich andernorts bereits in der Praxis bewährt haben.

"Wir leben von der Attraktivität der Innenstadt." Das erklärte Lünebuch-Geschäftsführer Jan Orthey seinen Kollegen auf der Konferenz der europäischen und internationalen Buchhändlerföderation EIBF am 20. Oktober auf der Frankfurter Buchmesse. 75 Teilnehmer waren gekommen, um sich anzuhören, welche Ideen buchhändlerische Umsätze in anderen Ländern bereits beflügelt haben; die eine Hälfte Sortimenter, die andere Hälfte aus verschiedenen Buchhandelsverbänden. Orthey präsentierte besondere Serviceleistun­gen in Sachen Belieferung, Verzahnung von Onlinewelten und Einkaufserlebnis im Ladengeschäft, dazu stellte er die deutsche Buy-Local-Bewegung vor.

"Wir stellen zusehends fest, dass wir die Kunden durch reine Anwesenheit immer weniger zu uns bekommen. Wir müssen als gesam­ter Ort eine ­Attraktivitätssteigerung hinbekommen", glaubt Orthey. Zwei ­Aspekte seiner Keynote über die Aktivitäten der beiden Lünebuch-Standorte waren für die internationalen Kollegen von besonderem Interesse: die radikale Ausrichtung auf die Kundeninteressen und die Verzahnung von Online- und POS-Aktivitäten, etwa durch die Möglichkeit, E-Books und Hörbücher in der Buchhandlung auf die eigenen Geräte zu überspielen ("reine Kompetenzdarstellung"); außerdem eigene Apps. "Der Kunde kann die Onlineempfehlungen seines Lieblingsbuchhändlers ansehen,  gleichzeitig ist die Lieferfähigkeit der Titel dargestellt." Von immenser Bedeutung sei die Bekanntmachung der eigenen Serviceleistungen, etwa bei der Möglichkeit, bei Lünebuch in einem Warenbestand von sagenhaften 100 000 Titeln zu stöbern: "Wir müssen dem Kunden vermitteln, dass es ein Luxus ist, dass er dieses Angebot vor Ort finden kann", meint Orthey. Gleichzeitig macht Lünebuch es den Kunden möglichst einfach, online zu bestellen und die Ware nicht irgendwie, sondern auf dem ­gewünschten Weg zu erhalten. "Über 80 Prozent der Onlinebestellungen werden in unseren beiden Buchhandlungen abgeholt. Der Kunde möchte sicherstellen, dass er nicht umsonst in die Stadt kommt." Für die übrigen 20 Prozent bietet Lünebuch einen Kurierdienst per Fahrrad – es sind vor allem die Azubis, die in die Pedale treten. Außerdem erprobt der Händler ein Pilotprojekt zur Eillieferung mit dem örtlichen Postzusteller. Bis 16 Uhr bestellt, bekommen Kunden ihre Ware noch am Abend zwischen 19 und 21 Uhr nach Hause geliefert – kostenlos, wohlgemerkt. "Die berühmte Nachricht im Briefkasten, 'Ich habe Sie leider nicht angetroffen', bringt dem Kunden nichts", findet Orthey, der vor Ort Synergien schaffen will: Die Auslastung des Zusteller-Fuhrparks werde verbessert. Das Projekt der Abendzustellung könnte schon bald stadtweit genutzt werden, hofft Orthey: "Der Kunde könnte einen VIP-Status bekommen, einkaufen gehen, ohne sich abzuschleppen – denn schon am Abend werden die Waren fertig konfektioniert nach Hause geliefert – ein reiner Onlinehändler kann das nicht bieten."

Matthieu de Montchalin, Inhaber der Buchhandlung l’Armitière in Rouen und Vorsitzender des französischen Buchhändlerverbands SLF (Syndicat de la librairie française) präsentierte in Frankfurt ein Vergleichstool mit Daten aus den Warenwirtschaftssystemen französischer  Buchhandlungen, das er selbst täglich nutzt und das den Mitgliedern vom Verband zur Verfügung gestellt wird. Täglich macht Montchalin sich im "Observatoire" auf die Suche nach "heimlichen Bestsellern", denn man könne weit mehr als nur den Schnitt und die Gesamtverkäufe für einzelne Titel und Warengruppen von den rund 200 teilnehmenden Buchhandlungen ermitteln. "Ich habe andere Sortimente, die nicht mit mir konkurrieren, als sogenannte Schwesterbuchhandlungen ausgewählt – sie sehen meine Verkäufe und wir ihre", erläutert Montchalin. "Longseller, Bestseller, Lagerhaltung – die Möglichkeiten sind umfassend, wir verbringen eine Stunde täglich mit diesem Tool und konzentrieren uns auf ein einzelnes Element."
Einmal angemeldet, muss der Buchhändler aber keine ungewollte Beobachtung durch die Konkurrenz fürchten: "Niemand kann meine Warenwirtschaft sehen, wenn ich es nicht erlaube." Das Tool koste gerade einmal zehn Euro im Monat für kleine Buchhandlungen, größere Händler werden stärker zur Kasse gebeten – sie zahlen bis zu 3 000 Euro jährlich. Fünf Großhändler sind eingebunden, 95 Prozent der inhabergeführten Buchhandlungen mit Warenwirtschaft können teilnehmen, wie Montchalin sagt. In Frankreich sind Warenwirtschaftssysteme beinahe in allen Buchhandlungen Standard.

Die australische Buchbranche musste in den letzten fünf Jahren die Finanzkrise und die überraschende Insolvenz der Red Group wegstecken. Die größte Buchhandelskette im Land hatte einen Marktanteil von 30 Prozent. Infolgedessen kam es zu einem Boom inhabergeführter Sortimente und einer neuen Solidarität zwischen Verlagen und kleinen Buchhandlungen, wie Verbandschefin Patricia Genat erläutert. "Der Markt steht heute besser da als zuvor", sagt Genat. Sie berichtet: "Vor allem Kinder­bücher boomen, einige Buchhändler konzentrieren sich heute ganz auf diesen Bereich." Auch der inhaber­geführte Regionalfilialist Readings mit Sitz in Melbourne hat vor gerade einmal zwei Wochen in der australischen Millionenstadt eine Kinderbuchhandlung auf 170 Quadratmetern eröffnet. "Unsere Umsätze mit Kinder- und Jugendbüchern in unserem Stammgeschäft sind stark angestiegen – und allmählich ging uns der Platz aus. Zufällig wurde gegenüber ein Laden frei", berichtet Inhaber Mark Rubbo, wie es zur Eröffnung kam. Gemeinsam mit einem Architekten und dem ­Kinderbuchillustrator Marc Martin entstand eine Buchhandlung, die ­aussieht wie eine Picknickwiese inklusive Kletterbaum; ein großes Wandbild wurde aus einem städtischen Kulturfonds ­finanziert. Readings betreibt ­sieben Buchhandlungen in und um Melbourne (70 – 480 Quadratmeter) und beschäftigt 130 Mitarbeiter. Zehn Prozent der Erlöse kommen gemeinnützigen Zwecken zugute. "Wir haben auch drei mit je 4 000 Dollar dotierte Literaturpreise ins Leben gerufen", ­erläutert Rubbo.