Aljoscha Walser über den Nutzen künstlicher Intelligenz

Mathe statt Menschen

22. November 2016
von Börsenblatt
An der Automatisierung des Automatisierbaren führen auch in der Verlagswelt nur die Holzwege vorbei – meint Unternehmensberater Aljoscha Walser.

In der Arbeitswelt werden in der Digitalisierung primär drei Richtungen verfolgt: Senkung direkter Kosten, Beschleunigung und Qualitätsverbesserung. Derzeit wird versucht, nicht nur manuelle Tätigkeiten des Menschen durch Roboter zu ersetzen, sondern auch menschliche Entscheidungen zu automatisieren.

Bei der künstlichen Intelligenz (KI) geht es darum, mit dem Mittel der angewandten Mathematik die Entscheidungen von Menschen zu imitieren und in Handlungen umsetzbar zu machen − und das nicht nur zur Steuerung von Robotern. Für KI relevant können alle Prozesse werden, bei denen Menschen

  1. häufig wiederkehrende Geschäftsprozesse ausführen,
  2. viele (digitalisierbare) Informationen verarbeiten müssen,
  3. eine begrenzte Zahl an Entscheidungsmöglichkeiten haben.

Aus Ausgangsinformationen (in Form von Bildern, Daten, Texten, Scorings oder Tönen) und den dazu getroffenen Entscheidungen werden mathematische Muster erzeugt. Analysiert werden hierfür Entscheidungen, die bisher Menschen getroffen haben – zum Beispiel eine Gruppe erfolgreicher Einkäuferinnen im Buchhandel. Basierend auf solchen Mustern treffen Automaten bessere, zuverlässigere und konsistentere Entscheidungen als einzelne Menschen.

KI-gesteuerte Prozesse sind heute noch nicht durchgängig zu 100 Prozent automatisiert. Vielen Unternehmen reicht es völlig, wenn bei einem Stapel Aufgaben zunächst nur 90 Prozent der Fälle automatisch erledigt werden.

Interessant sind nicht nur Produktionsprozesse. Auch in Administration, Controlling, Lektorat, Vertrieb und Marketing werden laufend Entscheidungen getroffen, und das nicht nur in der einfachen Sachbearbeitung. Manche Entscheidungen setzen sogar ein Studium voraus. Allerdings sind Entscheidungen Einzelner anfällig für individuelle Fehler und unterliegen qualitativen Schwankungen. Hinzu kommt, dass es fast unmöglich ist, Muster oder inhaltliche Zusammenhänge zwischen Aufgaben zu erkennen, wenn die Arbeit auf mehrere Personen verteilt wird. Da sind KI-Automaten schon heute weit überlegen.

Auch im Publishing hat man bereits viele Aufgaben als optimierungsbedürftig erkannt und outgesourct. So wurden zwar Kosten gesenkt, die qualitativen und inhaltlichen Fragen aber nicht gelöst. Daher ist es nicht verwunderlich, wenn darüber nachgedacht wird, bisher fremdvergebene Prozessaufgaben künftig von Automaten erledigen zu lassen.
Aus unserer Sicht gibt es heute eine Reihe von Prozessen im Publishing, die KI-konvertibel sind:

  • Erfassung von Informationen und Metadaten für Datenbanken
  • Analyse und Aktualisierung bestehender Urteils- und Gesetzesdatenbanken
  • automatisierte Identifikation von Bildern oder Marken
  • aktive Preismodellierung bei Onlineshops
  • Einkauf im stationären Buchhandel
  • Kunden-Potenzialanalysen im Anzeigenverkauf
  • aktive Lösungsunterstützung der menschlichen Agenten einer Service-Hotline
  • Vorab-Bewertung unverlangt eingesandter Manuskripte in den Bereichen Literatur oder Kinderbuch
  • Vorauswahl und Qualitätssicherung bei Fotos und ­Illustrationen.

KI bietet bereits heute viele Möglichkeiten. Wer sie nutzt, wird nicht nur Kostenvorteile realisieren. Die Vor­auswahl eines Romans durch eine Maschine ist emotional sicher nicht erstrebenswert, und ein Franz Kafka wird so wohl auch nicht entdeckt werden. Andererseits: Welcher Verlag hat in den vergangenen Jahren schon einen Kafka entdeckt, und wie viele Verlage haben "Harry Potter" abgelehnt?