Interview mit Christian Schumacher-Gebler

"Gemeinsam investieren"

5. Januar 2017
von Börsenblatt
Know-how und Ressourcen bündeln: Im Interview spricht Christian Schumacher-Gebler, CEO von Bonnier, über seinen verlagsübergreifenden Führungskreis, die Entwicklung des E-Book-Markts und die Durchsetzung höherer Bücherpreise.

Als Joerg Pfuhl, der neue CEO der Holtzbrinck-Buchverlage, sein Führungsteam präsentierte, war das Aufmerken in der Branche groß. Gibt es verlagsübergreifende Führung auch bei Bonnier Media?
Wir haben seit anderthalb Jahren einen erweiterten Führungskreis auf Gruppen­ebene. Der ist aus den Bedürfnissen der Verlage entstanden, was ich sehr positiv finde, denn wir sind ja dezentral verfasst und arbeiten in den Verlagen sehr eigenständig. In den Diskussionen mit meinen Geschäftsführern wurde jedoch immer wieder deutlich, dass sich die einzelnen Verlage mehr Bündelung auf Gruppenebene wünschen. Auf diese Weise können wir jene Vorteile realisieren, die sich nur dann ergeben, wenn wir als Verlagsgruppe agieren.


Was sind das für Themen, die sich gruppenweit besser bearbeiten lassen?
Im digitalen Bereich geht es darum, dass wir das Rad nicht in jedem Verlag immer wieder neu erfinden. Dabei ist unser Ziel keinesfalls, sämtliche digitalen Themen zentral zu entwickeln oder zentral zu entscheiden. Vielmehr soll das Management-Team die wichtigen Themen zwischen den Häusern und den Austausch von Ideen und Innovationen koordinieren.


Aber LeYo! entstand vor zwei Jahren ganz bei Carlsen – als Innovationssolo.
LeYo! ist ein gutes Beispiel. Carlsen war Initiator und hat die Idee vorangetrieben, aber alle Gruppenverlage haben das Know-how genutzt, sodass wir bei Thienemann-Esslinger oder bei arsEdi­tion LeYo! oder etwas Vergleichbares nicht ein weiteres Mal hätten erfinden müssen.


Wie steht es um die LeYo!-App, mit der Kinder sich ein Buch via Smartphone zusätzlich erschließen können?
Die Virtual-Reality- und Augmented-Reality-Einheit bei Carlsen arbeitet hoch motiviert an neuen Trends für den Kinderbuchbereich. Regelmäßig werden dort neue Ideen entwickelt. LeYo! selbst hat leider den wirtschaftlich erhofften Erfolg verfehlt. Aber das Know-how, das die Mannschaft bei der Initialidee LeYo! gesammelt hat, hilft uns jetzt bei neuen Produktideen. Viele Investments zahlen sich nicht im ersten Schritt aus, sind aber in der Zukunft von Relevanz.


Welche Themen kommen noch für übergreifendes Management infrage?
Die Herstellung beispielsweise. Piper und Ullstein verlegen ähnliche Produkt­formate, gleiches gilt für die Kinderbuchverlage. Insofern liegt es nahe, Volumina zu bündeln und Auflagen aus mehreren Verlagen in einen abgestimmten Produktionsprozess hineinzugeben. Um das zu realisieren, haben wir uns zuvor in den Formaten angenähert. Es gibt keinen triftigen Grund, warum etwa Verlagsreihen wie das Taschenbuch bei Piper oder Ullstein geringfügigste Formatunterschiede haben sollten. Hier hat Sven Zorman, der nebst seiner Tätigkeit im Management-Team ausschließlich für Thienemann-Esslinger zuständig ist, auf Gruppenebene einen hervorragenden Job in der Koordination mit den Herstellungsabteilungen geleistet. Die Herstellungsleiter haben im eigenen Verlagsinteresse erkannt, dass wir als Gruppe nur dann Vorteile haben, wenn wir uns aufeinander zubewegen.


Siedeln Sie für solche koordinierenden Aufgaben Leute innerhalb der Holding an, oder nutzen Sie vorhandenes Know-how in den einzelnen Häusern?
Genau diese Frage hat mich stark beschäftigt, bevor ich das Management-Team um mich formierte. Die Entscheidung fiel jedoch klar zuguns­ten jener Lösung, bei der ich das Know-how der einzelnen Häuser nutzen kann. Dort arbeiten hervor­ragende Verlagsmanager. Ich war und bin nach wie vor fest davon überzeugt, dass der Koordinationsprozess auf Gruppenebene weit größere Akzeptanz erfahren würde, wenn man die Kollegen in den Häusern auch für strategische Themen der Bonnier Gruppe einsetzen würde.


Gibt es schon betriebswirtschaftliche Effekte?
Ja, gibt es. Im digitalen Bereich investieren wir gemeinsam, was allen Verlagen zugutekommt. Und im klassischen Geschäft hilft uns die Abstimmung unter den Verlagen, wenn es darum geht, Volumen zu bündeln. Abgesehen davon sparen wir alle viel Zeit, indem die Themen, die alle Verlage betreffen, einmal konzertiert und nicht x-mal individuell angegangen werden.


Der E-Book-Markt stagniert. Haben Sie damit gerechnet?
Beim Thema E-Book kam es mir stets auf Flexibilität an und nicht auf die genaue Prognose der zukünftigen Entwicklung. Das gilt meines Erachtens nicht nur fürs E-Book, sondern für viele Themen. Deshalb versuche ich, meine Organisation flexibel auszurichten, um auf Veränderungen reagieren zu können. Aber zurück zum E-Book. Wir sehen aktuell eine Stagnation im E-Book-Markt der Verlage. Was sich im Selfpublishing-Bereich tut, sehen wir dagegen nicht. Aus meiner Sicht hat sich bewahrheitet, was viele vermutet hatten: Das E-Book generiert keine Zusatzumsätze zum gedruckten Buch, sondern ersetzt diese. Das tut uns solange nicht weh, wie wir in der Lage sind, E-Books zu verkaufen. Aber mit dem Selfpublishing ist ein Markt­segment hinzugekommen, dessen Größe wir nur erahnen können. Vermutlich ist das ein Markt, der dem klassischen Verlagsgeschäft deutliche Anteile wegnimmt, denn es geht, wie gesagt, um ersetzende und nicht um zusätzliche Umsätze. Die Frage wird sein: Setzt sich langfristig die Qualität, die Verlage bieten, durch? Oder ist es dem Leser ein Stück weit egal?


Wird das Niedrigpreissegment, das für den noch steigenden Absatz von E-Books sorgt, die Wertwahrnehmung von Büchern beschädigen?
Das ist jedenfalls eine Riesengefahr. Noch sind wir in Deutschland in der vorteilhaften Situation, dass es aufgrund der Buchpreisbindung für die Branche auskömmliche E-Book-Preise gibt. Das gilt für den Handel sowie für die Verlage. Das Ausverkaufsprinzip mit starken Discounts auf Bestseller, wie man es in anderen Ländern sieht, kennen wir nicht. Verglichen mit dem internationalen Buchmarkt haben wir vernünftige E-Book-Preise für Verlagsprodukte. Preise, mit denen wir die Investitionen des Handels und der Verlage refinanzieren können. Unsere Aufgabe ist es, unseren Lesern zu verdeutlichen, dass der Preis eines Buchs nicht von der Ausgabeform abhängt.


Verlage haben in den vergangenen Jahren viel investiert, um am E-Book-Markt teilzuhaben. Jetzt entwickelt sich der Markt unvermutet träge. Ein Problem?
Die Hauptinvestitionen der Häuser sind in eine neue Form der Organisa­tion geflossen. Die ist nach wie vor sinnvoll, weil wir unterschiedliche Formate bedienen. Bei Bonnier haben wir in fast allen Verlagen auch E-only-Imprints im Sinne von "Publishing light". Das alles hat weiterhin Bestand, generiert Umsätze und auch sinnvolle Deckungsbeiträge.


Im letzten Jahr war von Verlagsleuten mehrfach die Klage über eine sich zum Schlechten verändernde Rolle der Agenten zu hören – die seien nur an immer höheren Honoraren interessiert. Teilen Sie diesen Eindruck?
Es gibt viele Agenten in Deutschland, die ein Interesse daran haben, für ihre Autoren gemeinsam mit Verlagen langfristig sinnvolle Lösungen anzustreben. Gute Agenten haben meines Erachtens jedoch nicht ausschließlich die finanziellen Rahmenbedingungen im Blick. Es geht ja darum, gemeinsam mit dem Autor einen Verlag zu finden, der gut zu dem Autor passt. Die reine Honorarfokussierung, die Sie ansprechen, gilt meines Erachtens nur für eine kleine Minderheit.


Werden irgendwann die Risiken für Verlage zu groß?
Die Risiken sind groß und steigen durch diese extremen Honorarvorauszahlungen. Und das ist eine traurige Entwicklung, denn sie geht zulasten der Publikationsvielfalt. Denn wenn man bei Hochrisikoprojekten danebenliegt und nicht refinanzieren kann, was man dem Autor als nicht rückzahlbaren Vorschuss überlassen hat, werden aus sehr groß erscheinenden Projekten sehr große Verlustprojekte. Bisher klappt es mit der Mischkalkulation noch halbwegs. Aber je weniger finanzielle Mittel für eine Mischkalkulation übrig bleiben, desto eher bedroht diese Entwicklung die Vielfalt.


Mehren sich die großen Flops?
Definitiv. Die Flops, bei denen man hoch sechsstellig in den Sand setzt, gibt es zur Genüge und sie treten häufiger auf.


Woran liegt diese Überhitzung?
Für alle Marktteilnehmer wird es immer wichtiger, Bestseller zu haben, die ein stabiles und planbares Fundament liefern. Nur so lassen sich große Verlagsgruppen seriös steuern. In dem Wunsch nach Planbarkeit im Bereich der Spitzenautoren ist man – fast paradoxerweise – bereit, größere Risiken einzugehen.


Jemand hat es neulich so formuliert: Alle bieten mit, und am Ende gewinnt ein Random-House-Verlag. Frustriert es, oft überboten zu werden?
Man muss das ins Verhältnis zur Umsatzgröße eines Verlags setzen: Wenn Sie mit einem 40-Millionen-­Euro-Jahresumsatz gegen einen Verlag bieten, der 350 Millionen Euro umsetzt, ist es normal, dass Sie acht- bis neunmal überboten werden. Abgesehen davon weiß Random House, dass man allein über die Höhe des Angebots einige Verlage aus einer Auktion ausschließen kann. Das stelle ich mir hauptsächlich für kleine, engagierte, aber nichts sonderlich finanzkräftige Verlage besonders bitter vor. Insofern bin ich froh und dankbar, dass niemand die Bonnier Verlage durch die Höhe der Vorschusssumme aus einer Auktion drängen kann.


Eine andere Preisfrage ist die der Ladenpreise. Alle rufen unisono: rauf damit! Aber Marktführer in bestimmten Segmenten trauen sich oft dann doch nicht auf die Lichtung, weil sie Verdrängungswettbewerb fürchten. Wie ist Ihre Haltung?
Preissteigerungen sind notwendig, allein schon, um die Inflationsrate auszu­gleichen. Wir bewegen uns zu lange schon an den Grenzen zehn Euro im Taschenbuch und 20 Euro im Hardcover. Bonnier ist in den relevanten Bereichen, wo wir über echte Bestseller in gut gehenden Genres sprechen, nach oben gegangen. Diesen Weg werden wir weiter beschreiten, weil er notwendig ist.


Welche Erfahrung machen Sie mit Ihrer Risikobereitschaft?
Bei Nele Neuhaus und Jo Nesbø, in einem Genre, in dem es viel Konkurrenz gibt, hat das bisher ausgezeichnet funktioniert. Nele Neuhaus’ neuen Roman »Im Wald« haben wir in diesem Herbst im Hardcover nochmals besser verkauft als den Vorgängertitel. All das trotz Preisanpassung. Mit Jo Nesbø sind wir schon vor drei, vier Jahren über die 20-Euro-Grenze gegangen, ohne im Absatz Einbußen zu erleben. Mit beiden Autoren sind wir auch im Taschenbuch über die Zehn-Euro-Grenze gesprungen, was dem Absatz der Bücher ebenfalls nicht geschadet hat. Das sind nur wenige konkrete Beispiele aus unseren Verlagen. Insofern ziehe ich für uns zunächst ein durchaus positives Fazit.

Der erweiterte Führungskreis von Bonnier Media