Kein & Aber-Verleger Peter Haag im Interview

"Wir sind Tiefseetaucher"

28. Februar 2017
von Börsenblatt
Währungsbedingte Turbulenzen haben anfangs auch den Schweizer Verlag Kein & Aber durchgeschüttelt. Es sei wie beim Wetter, man könne nichts ändern, erklärt Verleger Peter Haag – und macht einfach weiter tolle Bücher. Manchmal hilft Sportsgeist.

Sie haben ein Debüt, den ersten Roman des Spiegelredakteurs Takis Würger, zum Spitzentitel Ihres Frühjahrsprogramms gemacht. Warum? Dieses Buch ist einer der seltenen Fälle, da wusste ich von der ersten Seite an: Das will ich machen. Mit dem Autor haben wir jetzt bereits großen Spaß.

Inwiefern? Wir haben ihn nach Zürich eingeladen, und beim Mittagessen sagte er: „Ihr habt ja im Buchhandel einen Ruf wie Donnerhall.“ Woher er das wisse, fragte ich ihn. Und dann erzählte er uns die Geschichte: wie er einfach in Buchhandlungen gegangen war und dort gefragt hatte: Ich habe ein Buch geschrieben, was ist wohl der beste Verlag dafür? Der hat alle Details recherchiert, zum Beispiel, dass ein Buch im Handel besser präsent ist, wenn es der Verlag vorn auf die Vorschau nimmt. Also kam er gleich mit ganz präzisen Vorstellungen zu mir.

Als Debütant schon sein eigener Vertriebsprofi. Genau. Wir haben etwas Neues mit ihm ausprobiert und binnen einer Woche in Köln, München, Hamburg und Wien jeweils 20 Buchhändler zum Abendessen eingeladen – ganz ungezwungen, kein Vortrag, keine Bestellformulare, gar nichts. Einfach so. Da sind wir zu dritt losgezogen, meine Vertriebschefin Kathrin Döring, der charmante Takis Würger und ich. Man erfährt dabei sehr viel von den Händlern, was man sonst nicht erfahren würde. Für mich hat sich das total gelohnt.

Sie sitzen mit Ihrem Literaturverlag immer noch im teuren Zürich und haben Geld genug, 100 Buchhändler von Hamburg bis Wien zum Essen einzuladen – stimmt das gar nicht mit dem Währungsproblem im Schweizer Buchmarkt? Es ist eine Katastrophe. Aber Sie können nichts machen. Es ist wie beim Wetter. Einen Standortwechsel habe ich nie erwogen. Wir sind ein deutschsprachiger Verlag, machen 85 Prozent Umsatz in Deutschland, etwas mehr als zehn Prozent in der Schweiz, den Rest in Österreich. Aber wir haben natürlich Zürcher Gehälter und Zürcher Lebenskosten. Unser Problem ist, dass wir wie keine andere Branche ein grenzüberschreitendes Produkt machen bei totaler Preistransparenz. Hinzu kommt in der Schweiz noch der Wegfall der Preisbindung. Dass ein Roman hier 32 Franken kostete, war normal und entsprach absolut der Kaufkraft. Durch die Entwicklung kostet er aber jetzt nur noch 23 Franken. Der Schweizer Buchhandel hat ein Drittel seiner Marge eingebüßt. Das hinterlässt Spuren.

Welche Spuren sind das bei Kein & Aber? Schwierige Situationen haben auch eine gute Seite. Man wird gezwungen, in den Maschinenraum zu gehen, Betrieb und Abläufe auf Effizienz zu trimmen, nochmal und nochmal zu schauen, was man anders, besser, schlanker machen kann.

Und was haben Sie gefunden? Die gesamte Beschaffungswirtschaft haben wir auf den Radar genommen. Haben hart verhandelt beim Einkauf. Wir bemühen uns zum Beispiel um Bündelungen in der Herstellung, produzieren das Hardcover im gleichen Format wie das Taschenbuch und sparen uns den Neusatz. Wir sind kreativer geworden in der Vertragsgestaltung etc.

Sollten auch die eigenen Mitarbeiter weniger kosten? Ich bin überzeugt, wenn Sie Leute schlecht bezahlen, kriegen Sie keine guten Leute. Dann werden Sie erst recht zum Verlierer. Mit exzellenten Mitarbeitern habe ich doch die Chance, das Geld wieder reinzubekommen.

Ein Standortwechsel kommt für Sie nach wie vor nicht in Frage? Nein. Das würde auch gar nicht funktionieren. Wir sind ein Zürcher Verlag. Und wir hatten 2016 ein hervorragendes Jahr. Es geht uns gut. Das Taschenbuch entwickelt sich sehr erfreulich. Der Kostenapparat ist unter Kontrolle.

Der Einkauf von Autoren wird nicht günstiger. Das stimmt. Natürlich können wir nicht bei den Honoraren sparen.Auf den Auktionen, in London oder Frankfurt stelle ich aber immer wieder fest, viele der Hypes sind zwei Jahre später schon keine mehr. Mehr Flops als alles andere! Wenn mir dann ein Programmchef eines größeren Hauses sagt, Vorschüsse würde er generell nie einverdienen, dann frage ich schon: Wie macht Ihr das?

Wie vermeiden Sie eine hohe Flop-Rate? Wir leisten uns eine eigene, klare Meinung bei der Programmauswahl. Dennoch haben auch wir nicht in allen Fällen eine glückliche Hand, ist ja klar. Unsere Maxime heißt: übersichtlich bleiben, aber mit Muskeln.

Gut definiert quasi? Wenn Sie so wollen (lacht). Wir möchten mit unserem übersichtlichen Programm Kraft entwickeln. Wir machen ca. 40 Titel im Jahr, davon sind 15 Taschenbücher, der Rest Hardcover. Um diese Titel kümmern wir uns intensiv. Die Menge möchte ich auf keinen Fall ausweiten. An die Schrotflinte glaube ich nicht, dafür ist dieser Markt viel zu voll. Trotzdem bleiben wir in einem Metier, das risikobehaftet ist. Wer das nicht erträgt, muss das Verlegen lassen.

Entscheiden Sie auf eigene Faust? Oder besprechen Sie sich mit Ihrem Team? Ich quassele den ganzen Tag mit den Leuten hier, oft ergibt sich etwas erst und nur beim Reden, am Schluss muss aber einer entscheiden..

Wie stark trifft Sie die VG-Wort-Problematik? Relativ schwach. Ehrlich gesagt, verstehe ich manche Klage nicht. Wenn ich seit drei Jahren weiß, dass Rückstellungen gebildet werden müssen, dann mache ich das doch auch! Ich würde nie, nie, nie Briefe an meine Autoren schreiben, dass sie ihre Ansprüche abtreten sollen. Das sieht meine kaufmännische Leiterin übrigens genauso.

Was wird aus dem E-Book-Markt im deutschsprachigen Raum? Auf dem Treffen der Publikumsverlage im Januar hat Gabor Steingart vom Handelsblatt uns ja empfohlen, dass wir das Haptische vergessen sollen – nachdem er zuvor große Gehirnaufnahmen über die Emotionalität gezeigt hatte. Ich halte das für absurd. Das Lesen ist ein sehr sinnlicher Vorgang. Ich glaube mittlerweile, dass man die Form des Buches digital nicht toppen kann. Es scheint eine perfekte Form zu sein. Die Leser sehen das genauso. Sie bleiben unaufgeregt. Ich glaube, dass das E-Book im deutschsprachigen Raum auf lange Zeit nicht über zehn Prozent Marktanteil haben wird. Aber wie das so ist mit Prognosen… (lacht).

Sie sagen, das Taschenbuch läuft. Keine Kannibalisierung durchs E-Book? Wenn Sie in großen Mengen und bei schwacher Qualität Taschenbücher auf den Markt bringen, dann kapitulieren die Leser. Wir haben im Taschenbuchmarkt massiv das Problem eines Überangebots, das den Kunden überfordert. Bei Kein & Aber versuchen wir, dem zu entgehen, indem wir nicht so viele, dafür aber sehr gut ausgestattete und unverwechselbare Taschenbücher machen. Mir sagte gerade ein Buchhändler, es kämen Kunden zu ihm, die unsere Taschenbücher kaufen, obwohl sie den Titel überhaupt nicht kennen. Also nur wegen ihres Auftritts.

Seit Jahren macht Kein & Aber auch wegen eines anderen Auftritts von sich reden: des Messeauftritts nämlich. Welche Pläne verfolgen Sie aktuell? Ich gehe seit Jahrzehnten nach Frankfurt. Als Kind war ich schon dort mit meinem Vater, der Buchhändler war. Wir haben mit der weltweit größten, wichtigsten und interessantesten Buchmesse in unserem Sprachraum ein echtes Asset. Und was macht die Branche? – Seit 1960 ungefähr die gleichen Aufmärsche. Dass nicht noch eine Kordel vor den Ständen hängt, ist fast schon ein Wunder. Absurd!

Ihre Alternative zum Aufmarsch?
Wenn ich da hingehe, möchte ich gern meinen Verlag vorstellen, und zwar nicht nur drei Buchhändlern, die zufällig vorbeikommen und sagen: „Haben wir ja alles schon eingekauft.“ Wir brauchen ein Gesicht, wir wollen doch zeigen, wer wir sind. Die Messe hinter der Messe, das Lizenzgeschäft, läuft ja, dafür spielt ein Stand auch keine Rolle. Aber ich will doch die Welt außerhalb der Branche beeindrucken.

Der Weltevent funktioniert doch gerade, weil in Frankfurt gleichsam die Weltbuchbranche „aufmarschiert“. Jedes Jahr kommen mehr Besucher. Irgendwann wird das so nicht mehr funktionieren. Auf keiner Messe der Welt haben Sie so viele sympathische Menschen zur selben Zeit am selben Ort. Da liegt ein Konsens in der Luft. Den haben Sie vielleicht auch auf der Bootsmesse, aber da interessiert es keinen. Die schwimmen alle obenauf, wir sind Tiefseetaucher. Um das in Zukunft noch glaubhaft zeigen zu können, brauchen wir neue Formen des Auftritts.

Spektakuläre Auftritte sind auch eine Geldfrage, oder? Nein, sie sind eben gerade keine Geldfrage! Ich bekomme ständig Offerten von Standbauern, die nach allen Regeln der Kunst ihre Arbeit machen: viel zu teuer und nicht innovativ. Da kommt nichts Persönliches. Ich will nicht auf Teufel komm raus alles eventisieren – aber ich will unseren Charakter vermitteln. Wir sind die Kuratoren eines genialen Produkts. Wir sind Teil der grafischen Industrie. Wir können Glamour und Glitzer. Wir brauchen eine Selbstdarstellung oberhalb der des Metzgerverbands.

Und wie wollen Sie das im Oktober 2017, im 20. Jahr Ihres Verlags, umsetzen?
Neu und schön. Die Leute werden etwas erleben. Aber noch ist das ein Geheimnis.