ITB Berlin 2017

Terrorangst und Tourismus

13. März 2017
von Matthias Glatthor
Mehr als 10.000 Aussteller versammelten sich auf der ITB Berlin, die gestern endete. 109.000 Fachbesucher wurden gezählt. Eins der beherrschenden Themen in diesem Jahr: Die Auswirkungen des Terrorismus und politischer Disruptionen auf den Tourismus. Daneben nahmen digitale Angebote einen breiten Raum ein.

Aber auch für Reisebuchverlage ist die Internationale Tourismus-Börse (in diesem Jahr: 8.−12. März) ein wichtiger Termin im Kalender. Sie treffe sich dort vor allem mit Bloggern, Reisejournalisten und Tourismusverbänden, erläuterte Uta Niederstraßer, Presseleiterin von MairDumont, im Gespräch auf der ITB. Bei Bloggern sei für sie – wie bei Journalisten – die PR-Perspektive interessant und außerdem könne man bei beiden potenzielle Autoren für die Printprodukte kennenlernen. Weiter seien die Chefredakteurinnen mehrerer Reiseführer-Reihen vor Ort, um sich ebenfalls um die Autorenpflege zu kümmern. Angereist wären zudem viele Mitarbeiter aus den digitalen Redaktionen, um passende Veranstaltungen des Kongresses zu besuchen. Die Plattformen TripsByTips und Beach-Inspector, eine Tochter und eine Beteiligung der Verlagsgruppe, waren mit eigenen Ständen vertreten. Und die Bücher? Die gab es wie gewohnt in der Messebuchhandlung zu kaufen, die Regine Kiepert, Inhaberin der Berliner Buchhandlung Schropp seit Jahren mit Verve führt.

Das Interesse der Verlage eine Regalfläche zu mieten, sei in diesem Jahr groß gewesen, sagte Regine Kiepert, die mit ihrem Team für ihre "Mieter" ein Rundum-sorglos-Paket anbietet: "Wir legen die Fliesen, stellen die Regale auf, leeren die Pappkartons mit den zugeschickten Büchern aus und sortieren sie alphabetisch ein, schreiben Schilder – und dekorieren alles schön", so Kiepert. In diesem Jahr waren 30 Verlage dabei, rund 2.000 Titel sind in den Regalen zu finden, schätzt Kiepert, die mit einem Umsatz von 4.000 bis 5.000 Euro rechnet. "Bei Schropp fühlen wir uns wohl", lobte Matthias Kröner, Pressesprecher des Michael Müller Verlags, und hebt eine Besonderheit der ITB hervor: "An den Publikumstagen kommen auch viele Leser, die uns ein Feedback zu unseren Reiseführen geben."

Problemfall Türkei

Angesprochen auf die rückläufigen Buchungen von Türkeiurlauben, bestätigte Regine Kiepert, dass die Türkei-Reiseführer bei Schropp stehen bleiben würden – was allerdings durch andere Destinationen wie Kroatien, Skandinavien oder Osteuropa wieder ausgeglichen werden konnte. Und: "Wir zehren von dem exotischen Ziel Kuba", so Kiepert. Auch Verleger Michael Müller spricht von einem gravierend gesunkenen Absatz von Reiseführern in die Türkei, für ihn eine Folge der vergangenen Terroranschläge und der aktuellen politischen Situation in dem Land. Die geopolitisch schwierige Lage in der Türkei ist auch bei MairDumont ein Thema: "Wir drucken Türkei-Reiseführer nicht gleich wieder nach – lassen sie teilweise auslaufen, wenn wir wissen, dass im nächsten Jahr ein Relaunch ansteht", erklärte Uta Niederstraßer. Oder es werden kleinere Auflagen gedruckt. Auf das Gesamtgeschäft habe dies jedoch keine Auswirkungen, angesichts hunderter Titel für alternative Reiseziele im Programm.

Reisestatistik: Türkei

Die Türkei rangierte im vergangenen Jahr dennoch mit 3,9 Millionen Urlaubsreisen (ab 5 Tage Dauer) von Bundesbürgern (darunter 900.000 mit ausländischen Pass, wohl hauptsächlich türkischer Herkunft) erneut an dritter Stelle nach Spanien (10,1 Mio.) und Italien (5,6 Mio.) – trotz eines Minus von 23 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Marktanteil sank jedoch von 6,0 Prozent (2014) auf 4,7 Prozent (2016), wie der Lüneburger Tourismus-Professor Martin Lohmann auf Basis der "ReiseAnalyse 2017" in einem vollbesetzten Workshop berichtete. Wohltuend seine differenzierte und ausgewogene Darstellung.

  • 27 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung von 14-70 Jahren erklärten danach in einer Online-Umfrage im November 2016 an, das sie früher an einem Türkei-Urlaub interessiert waren, jetzt aber nicht mehr. 73 Prozent davon nannten die politische Situation als Grund (solch ein hoher Wert werde bei der ReiseAnalyse selten erreicht, so Lohmann), 58 Prozent empfanden das Land als nicht sicher – aber 15 Prozent hatten sich einfach für ein anderes Reiseziel entschieden. 
  • Im Januar 2017 gaben 6,0 Prozent (zum Vergleich Januar 2015: 8,3 Prozent) der deutschsprachigen Wohnbevölkerung ab 14 Jahre an, in den nächsten drei Jahren in sicher die Türkei reisen zu wollen und weitere 13 Prozent (2015: 22,9 Prozent), das sie es in Erwägung ziehen würden.

Trotz der weltweiten Terroranschläge der vergangenen Jahre hätte sich jedoch nichts an der Reiselust der Deutschen geändert, so Lohmann. Das bestätigt auch ein Blick in die RA ReiseAnalyse 2017: Danach fühlen sich zwar 38 Prozent der Bevölkerung durch den Terror in ihrer aktuellen Reiseplanung beeinflusst, ein eigentlich bevorzugtes Reiseziel soll nicht besucht werden (18 Prozent) – ein  Reiseverzicht werde aber nicht erwogen. 2017 wollen 69 Prozent der Bevölkerung sicher oder wahrscheinlich verreisen (2016: 70 Prozent).

Auf der ITB war die Türkei mit dem größten Stand (3.079 Quadratmeter) überhaupt vertreten − 129 Aussteller fanden dort Platz. Ein großformatiger Versuch der Krisenbewältigung. Dennoch war etwa am Stand eines kleinen Berliner Reisebüroverbunds hinter vorgehaltener Hand zu hören, das die Buchungslage für Urlaube in die Türkei in diesem Jahr "katastrophal" sei. Auf einer Pressekonfernez beantwortete der türkische Tourismusminister Nabi Avci keine kritischen Nachfragen über mögliche Auswirkungen auf Urlaubsreisen in sein Land angesichts des aktuellen Streits mit Deutschland (und den Niederlanden) um Wahlkampfauftritte türkischer Politiker sowie den inhaftierten Journalisten Deniz Yücel, berichtete das Magazin fww daily, das auf der Messe verteilt wurde.

Um Reisesicherheit ging es auch bei zahlreichen weiteren Veranstaltungen, so etwa beim Studiosus Talk "Reisesicherheit konkret: Was der Kunde erwartet". Weiter wurden politische Disruptionen (Brexit, Trump-Präsidentschaft in den USA) und die möglichen Folgen auf das Reiseverhalten thematisiert.

Blogger-Träume und rundäugiger Roboter

Am Freitagmorgen ging es hoch her vor und auf der eTravel Stage – die Sitzplätze reichten bei weitem nicht aus. Der große Andrang entlockte Kashyap Bhattacharya (Toposophy) ein: "It's amazing" – der Reiseblogger, bekannt als Budget Traveller, präsentierte Ideen für ein innovatives Storytelling, stellte verschiedene Projekte vor. Er konstatierte einen Mangel an Kreativität bei vielen Blogs, die Vermittlung der Inhalte sei zu ähnlich ("Content is becoming industry"). Blogger sollten stattdessen "Moments of Inspiration" (MOI) schaffen, den Spassfaktor nicht vernachlässigen. Dabei spielen offenbar Videos und Bilder eine immer größere Rolle: Die Beispiele, die er zeigte, arbeiten viel mit Fotos oder Filmen, um Emotionen zu erzeugen (darunter: "This is my Athens"). Die Kunden würden dieses "Visual Storytelling" lieben, so Kash, der 2016 von National Geographic Traveller zum Blogger oft he Year gekürt wurde. Angeheuert werde er etwa von Destinationen oder Touristikverbänden, sagt er anschließend im Gespräch. Auf die Frage, ob er damit sein Auskommen verdienen könne, wog er den Kopf und bejahte dann mit einem Lächeln. Im Anschluss rockte Rob Holmes, GLP Films, die Bühne, der über neue Formen des Content Marketing sprach − im Mittelpunkt ein Werbe-Video für Reisen zur Inkastadt Machu Picchu.

Ein oft abgebildeter Star der ITB war der Service-Roboter Pepper, der gleich für mehrere Firmen unterwegs war. Am Stand von Hamburg Tourismus präsentierte die Innovationsagentur Future Candy, einen Pepper mit Display vor der Brust, der Fragen zur Hansestadt beantworten konnte. Auf dem Kreuzfahrtschiff Aida werde er bereits als persönlicher Assistent getestet, erklärte Konstanze Kossack, Director Business Development bei Future Candy. Ihr Unternehmen hat für den Roboter eine Lizenz erworben. Auch ein Einsatz am Hotel-Empfang sei denkbar.

Konnten auch Verlage in den digitalen Angeboten etwas für sich entdecken? Gefühlt habe er 1.000 Buchungssysteme gesehen, sagte Michael Müller mit einem Augenzwinkern, nichts habe ihn angezogen. "Aber vielleicht habe ich etwas übersehen", räumte er zur Halbzeit der Messe ein. Der Verlag erzielt noch rund 98 Prozent seines Umsatzes mit Printbüchern, erläuterte Sprecher Matthias Kröner. Für viele ihrer Bücher, etwa die City-Reiseführer, gibt es eine kostenlose Web-App oder eine kostenpflichtige Voll-App. Das sei auch eine Investition für die Zukunft, so könne man schnell reagieren, falls die Kunden mehr auf digitale Inhalte ansprechen würden. Laut Börsenverein liegt der Umsatzanteil mit Reiseführern im E-Book-Markt bei etwa einem Prozent.

Feierstunde fürs Buch: Die ITB BuchAwards

In den Mittelpunkt rückte das Reisebuch am Freitagabend, als traditionell zum Ende der Fachbesuchertage die ITB BuchAwards 2017 im Palais am Funkturm vergeben wurden – lebhaft moderiert von Mary Amiri. Mitreißend eröffnet wurde die Preisverleihung, der auch der Tourismusminister Tshekedi Khama des diesjährigen ITB-Partnerlands Botswana beiwohnte, durch eine Tanz-Performance des 16-köpfigen, afrikanischen #ilovebotswana Ensembles − mit Call-and-Response-Gesängen, Händeklatschen und Pfeifen. Zur Begrüßung trat David Ruetz, ITB-Chef und Vorsitzender der BuchAward-Jury, ans Pult – und sorgte für eine Überraschung: Er rief das langjährige Jury-Mitglied und Messebuchhändlerin Regine Kiepert, deren Buchhandlung Schropp in diesem Jahr ihr 275-jähriges Jubiläum feiert, auf die Bühne und überreichte der sichtlich erfreuten Buchhändlerin einen Ehrenglobe – "für ihr Schaufenster", so Ruetz.

Danach wurden die zahlreichen ITB BuchAwards überreicht, viele der Autoren, Verleger und Fotografen nahmen ihre Preise persönlich entgegen – etliche nicht Anwesende bedankten sich per Videobotschaft. Der LifetimeAward ging an den Mare-Verleger Nikolaus Gelpke.

Eine der glücklichen Preisträgerinnen war Judith Lohse, die für ihren ersten Reiseführer "München geheim" (August Dreesbach Verlag) gleich einen der Awards mitnehmen konnte. "Ein tolles Gefühl", so Lohse. Die gelernte Buchhändlerin und studierte Buchwissenschaftlerin, der als Personalberaterin arbeitet, erzählte, das ihr Buch mit 400 Tipps im Sortimentsbuchhandel im München und Umgebung gut aufgenommen worden sei.

Da die Preisträger schon vor der festlichen Veranstaltung bekannt waren, sollen sie hier nicht alle noch einmal aufgeführt werden (zur Meldung auf boersenblatt.net mit Liste). Nach der Verleihung konnten die Preisträger und Gäste bei Häppchen und Getränken plaudern und Glückwünsche austauschen.

Die nächste ITB Berlin findet von Mittwoch bis Sonntag, 7. bis 11. März 2018, statt.