Im Interview: Oliver Zille

"Haltung muss man sich erarbeiten"

28. März 2017
von Börsenblatt
285 000 Menschen haben in diesem Jahr die Leipziger Buchmesse und das Literaturfestival »Leipzig liest« besucht – 25 000 mehr als im Vorjahr. Außer den Impulsen, die die Messe als Fach- und Publikumsmesse zur Literaturvermittlung für Verleger, Buchhändler, Autoren, Lektoren, Übersetzer, Blogger oder Leser gab, habe sich die Leipziger Buchmesse so politisch wie nie zuvor gezeigt, so Messedirektor Oliver Zille. 

Leipzig las - vor allem aber diskutierte es. Hat sich das Mischungsverhältnis im Programm geändert? Und was bedeutet das für die Buchmesse?

Oliver Zille: Die Mischung hat sich verändert - als Reaktion auf das, was in der Gesellschaft passiert. Die Messe ist zweifellos politischer geworden. Für die Zukunft heißt das, dass wir in der Programmarbeit noch einmal genau schauen müssen, wie wir das Verhältnis von Kunst und Politik justieren. Wir brauchen weiterhin starke literarische Kerne, damit die Arithmetik im Gleichgewicht bleibt. Es braucht Reihen wie „Im Brennpunkt“, wo man ganz aktuell auf den Punkt kommen kann. Das tut der Literatur nicht immer gut. 

Was kann die Debatte über komplexe politische Themen im Messetrubel leisten - und was nicht? 

Zille: Themen umfassend behandeln oder gar Lösung präsentieren können die Debatten - angesichts der Geschwindigkeit und Vielfalt, die eine Messe haben muss - natürlich nicht. Sie können aber Anregungen geben, nach der Messe Wissen zu vertiefen - auch über Bücher und andere Medien. Und, siehe Europa21: Es kann einem auch schon auf der Messe helfen, den eigenen Kopf in Bewegung zu setzen, und zu einer Haltung zu kommen. Die wird einem nicht geschenkt, man muss sie sich erarbeiten. 

Am Messesonntag gab es wieder eine Protest-Demo gegen die Teilnahme des rechtspopulistischen Compact-Verlags. Ist die Messeleitung in dieser Frage zu neuen Erkenntnissen gekommen? 

Zille: Unser Spielraum ist nicht sehr groß. Wir haben uns im letzten Jahr von einem renommierten Rechtsanwaltsbüro eine Analyse erstellen lassen, was unsere Handlungsmöglichkeiten gegenüber Ausstellern mit extremen politischen Meinungen betrifft. Der Paragraph 5 des Grundgesetztes definiert klar Straftaten - er verpflichtet uns aber auch, eine Menge auszuhalten. Wenn der Erregungsspiegel in der Gesellschaft steigt, wird sich das auch auf Messen abbilden.

 

Mehr über das Frühjahrsevent der Branche lesen Sie im Dossier Leipziger Buchmesse, enthalten im Börsenblatt 13 / 2017 am kommenden Donnerstag.