Interview mit Regionalfilialist Till Herwig

"Wir hätten in hohem Maß investieren müssen"

6. April 2017
von Börsenblatt
Den Standort Ulm gibt er auf, vier seiner Filialen gehen an Osiander und auch die Schlosser’sche in Augsburg bekommt einen neuen Eigentümer: Nach Jahrzehnten im Buchhandel lässt Till Herwig jetzt alles hinter sich. Was diesen Abschied auslöste und er künftig vorhat: ein Gespräch.

Die Buchhandelslandschaft im Südwesten wird sich durch Ihren Verkauf an Osiander deutlich verändern. Gab es noch andere Optionen als diese?  
Als ich mich Anfang des Jahres dazu durchgerungen hatte, das Unternehmen zu verkaufen, kam für mich nur Osiander in Frage - meine Frau und ich hatten uns zuvor viele Buchhandlungen angesehen. Und wir haben dann auch nur mit Osiander gesprochen, obwohl es schon noch andere denkbare Kandidaten gegeben hätte. Klar ist Osiander viel größer als wir, aber wie sie den Buchhandel leben, von den Ideen, der Denke und der Struktur her - da gibt es ganz viele Übereinstimmungen. Das hat uns total überzeugt. Ich bin mir sicher, wir haben eine gute Zukunft gefunden für unsere Läden.   

Was hat Sie dazu bewogen, ausgerechnet jetzt zu verkaufen? 
In der Familie haben wir keine Nachfolger, das ist das eine. Das andere ist: Unternehmerisch betrachtet, erschien uns jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Würden wir noch weitermachen, hätten wir in hohem Maß investieren müssen – in die Website, den Online-Shop, in ein neues Warenwirtschaftssystem. Vielleicht sogar auch noch mal in eine neue Buchhandlung. Und da haben wir uns gefragt, ob das eigentlich noch Sinn macht vor dem Hintergrund der fehlenden Nachfolge. Unser Fazit lautet: Nein, die Investitionen wären ohne langfristige Perspektive geblieben. In zwei, drei, vielleicht auch erst fünf Jahren hätte ich die Firma ohnehin weggeben müssen – nächstes Jahr werde ich 60.  

Wie haben Ihre Mitarbeiter auf die Nachricht reagiert?
Sie waren überrascht, auch traurig - wir haben ein sehr enges, sehr persönliches Verhältnis. Aber sie haben dann auch Verständnis für meine Entscheidung gezeigt und die Chancen erkannt, die sich für sie ergeben. Ich bin froh darüber. Mir war wichtig, das Unternehmen mit allen Stellen abzusichern: Osiander übernimmt in den vier Buchhandlungen sämtliche Arbeitsplätze, und das ohne jede Einschränkung. Außerdem: An Osiander sieht man, dass man als größeres Unternehmen in einem tendenziell schrumpfenden Markt viel effektiver arbeiten kann – durch die Skalierungsmöglichkeiten. Wer größer ist, bekommt bessere Konditionen im Einkauf und kann seine Fixkosten besser verteilen. Das hilft einfach enorm.

Eine Ihrer Filialen wird es nicht schaffen, die in Ulm. 
Das stimmt. Leider. Es gibt da aber keinen Zusammenhang zum Verkauf an Osiander, das Thema Ulm beschäftigt mich schon länger. Unser Mietvertrag läuft dort zum 31. Dezember dieses Jahres aus. Wir haben versucht, ihn zu für uns tragbaren Konditionen zu verlängern, was leider nicht klappte. Und Alternativstandorte, die sich geeignet hätten, gibt es auch nicht –  um eine Schließung sind wir also nicht herumgekommen. Der einzige Unterschied: Wäre alles beim Alten geblieben, hätten wir wohl erst zum 31.12. geschlossen, jetzt ziehen wir den Termin wohl etwas vor.  

Was passiert mit den zwei Standorten der Schlosser’schen in Augsburg?
Auch da bin ich in fortgeschrittenen Verhandlungen mit einem Käufer. Das entscheidet sich voraussichtlich bis Ende April. 

Nach so vielen Jahren: Wie schauen Sie zurück? 
Dafür wäre es zu früh, weil noch sehr viel zu tun ist. Was ich heute sagen kann: Ich habe mich immer als Teil einer Familientradition gesehen, mein Urgroßvater hat das Unternehmen 1873 gegründet, das Zimmer, in dem ich zur Welt kam, liegt nur zehn Meter von meinem Büro entfernt. Ich bin in diese Buchhandlung hineingeboren, ich habe hier lesen gelernt, schon als Kind begegnete ich großen Autoren, wenn sie zu uns zu Lesungen kamen. Die Buchhandlung ist für mich ein starkes Stück Heimat, das ich jetzt weggebe. Natürlich ist das ein großer Einschnitt in meinem Leben - umso wichtiger ist es für mich, dass die Buchhandlungen in gute Hände kommen. 

Haben Sie schon Pläne für die Zeit danach?
Ich habe noch kein fertiges Konzept für meine Restlaufzeit. Ein paar kleinere Aufgaben habe ich noch und es gibt gute Ideen. Ich bin zum Beispiel ein leidenschaftlicher Bergsteiger, war auch schon im Himalaya, in den Anden. Das Bergsteigen werde ich sicher intensivieren. Und ich werde mein Englisch verbessern, weil wir viel unterwegs sein werden zuhause und in der Welt. Zu Fuß, mit dem Rad und eben den Dingen, die in einen Rucksack passen. Ansonsten muss ich mal sehen, wozu ich noch nützlich sein kann. Sicher ist aber, dass ich nur noch Dinge tun möchte, dich ich sinnvoll finde. Das halte ich übrigens für ein tolles Privileg. 

Kein Interesse mehr am Buchhandel?
Doch. Als Kunde. Vor allem bei Osiander hier in Göppingen. Frau Knaus und Herr Roos müssen mich dann beraten. Davor graut es denen jetzt schon. Aber im Buchhandel tätig sein, das kann ich mir nicht mehr vorstellen. Das ist vorbei.