Frankfurt liest ein Buch 2017

Das literarische Gedächtnis einer Stadt

25. April 2017
von Börsenblatt
Zum achten Mal startet „Frankfurt liest ein Buch“ – mit knapp 400 Gästen und viel Applaus. "So etwas gibt es nur in Frankfurt", betonte Kulturdezernentin Ina Hartwig. Im Zentrum des Literaturfestes steht diesmal der Roman "Benjamin und seine Väter" von Herbert Heckmann.

Knapp 400 Stühle passen in den Saal der Deutschen Nationalbibliothek, und keiner war mehr frei, als die Generaldirektorin Elisabeth Niggemann gestern Abend zum Auftakt von "Frankfurt liest ein Buch" nach vorn an Podiums trat und die Gäste begrüßte. Allein um die wichtigsten Namen zu nennen, brauchte sie einige Zeit – ein gutes Zeichen: Wenn die Prominenz der Stadt so zahlreich anwesend ist, kann das nur bedeuten, dass keiner mehr um das Thema herumkommt, das Festival überall anerkannt wird. Niggemann hat dafür auch eine Erklärung: Die Verantstaltung sei "längst ein Markenzeichen der Stadt Frankfurt", sagte sie. Jahr für Jahr werde ein neuer literarischer Schatz gehoben – ein Buch, das sich lohne, wiedergelesen und entdeckt zu werden.

Ina Hartwig: "So etwas gibt es nur in Frankfurt"

Dass dieses Angebot nicht nur einen kleinen Kreis erreicht, sondern zwei Wochen lang stadtweit für Bewegung sorgt – etwas Schöneres könne es gar nicht geben, schwärmte die Literaturkritikerin Ina Hartwig, seit Juli 2016 neue Kulturdezernentin der Stadt. Dabei sei der Erfolg von "Frankfurt liest ein Buch" nicht zufällig, meinte sie: Die Organisatoren hätten von Anfang alle mit eingebunden – heute werde das Literaturfest durch viele getragen und finde breite Unterstützung. Der partizipative Geist, der es groß gemacht habe, sei typisch und nirgendwo sonst zu finden. Hartwig: "So etwas gibt es nur in Frankfurt." 

Klaus Schöffling, Frankfurter Verleger (Schöffling Verlag) und Initiator von "Frankfurt liest ein Buch", verneigte sich vor so viel Lob, nutzte die ausgelassene, festliche Stimmung des Abends aber auch, um noch einmal an das zu erinnern, was solche Feste möglich macht – die Arbeit der Verlage. "Unsere Aufgabe ist es, dem literarischen Gedächtnis aufzuhelfen", betonte Schöffling; diese Gewissheit habe am Anfang von "Frankfurt liest ein Buch" gestanden, und sie gelte bis heute.   

   

Zwei Wochen, 90 Lesungen, ein Buch

Was das im Fall der aktuellen Ausgabe des Literaturfestes heißt, konnte das Publikum im Anschluss erleben: Neun Frankfurter rückten auf der Bühne nebeneinander – und lasen mit verteilten Rollen insgesamt eine Stunde lang aus "Benjamin und seine Väter", etwa der Chansonnier Jo van Nelsen und FAZ-Herausgeber Werner D’InkaClaudia Dillmann, Direktorin des Frankfurter Filmmuseums, und Hadwiga Fertsch-Röver, Redakteurin bei hr2-kultur.

So bekannt die Vorleser, so unbekannt aber das Buch: "Benjamin und seine Väter", 1962 als Debüt von Herbert Heckmann bei S. Fischer erschienen, war seit Jahren vergessen. Schöffling legte den Roman mit einem neu verfassten Nachwort von Peter Härtling wieder auf und veröffentlichte dazu auch ein Hörbuch (gelesen noch vom Autor, in einer Produktion des Hessischen Rundfunks von 1996).

Die Geschichte, die Heckmann erzählt, führt gut 80 Jahre in die Vergangenheit zurück, mitten hinein in eine von heute aus betrachtet dunkle Zeit: Benjamin, die Hauptfigur des Romans, wächst ohne Vater auf, sucht Antworten, stößt aber immer nur auf neue Fragen – und erlebt, wie die Weimarer Republik zu bröckeln beginnt. "Ich scheiße auf alle Väter, die uns ein solches Leben eingebrockt haben", lautet sein Fazit. 

Organisiert wird das Literaturfest vom Verein Frankfurt liest ein Buch, dessen Vorsitzender Klaus Schöffling bis heute ist. Kulturstaatsministerin Monika Grütters zeichnete die Initiative, wie berichtet, 2016 mit dem Preis Kulturelle Bildung aus.

Seit dem Start 2010 zählte der Verein bei der Lesereihe nach eigenen Angaben rund 86.000 Besucher – bei fast 700 Veranstaltungen. In diesem Jahr stehen (bis zum 7. Mai) insgesamt 90 Veranstaltungen an 70 Orten auf dem Programm; gelesen wird in Frankfurt und der Region – in Bibliotheken, Buchhandlungen und Schulen, außerdem öffnen Unternehmen, Kirchen und Privatleute ihre Türen.