Lünebuch hat sich konsequent an zwei Zielgruppen orientiert

Kunden im Fokus

27. April 2017
von Stefan Hauck
Welche Kundentypen sollen verstärkt zu uns kommen?, fragte sich das Team von Lünebuch – und krempelte daraufhin die Buchhandlung Schritt für Schritt um. Die Ergebnisse zeigen, wo die neuralgischen Punkte in der Ansprache der einzelnen Zielgruppen liegen.

Bis Jan Orthey vor zehn Jahren in das väterliche Unternehmen einstieg, hieß dieses einfach nur Buchhandlung am Markt. "Aber es gibt in Deutschland viel zu viele Buchhandlungen am Markt, weshalb ich ein ­Alleinstellungsmerkmal gesucht habe", erklärt Orthey. "'Lünebuch' hat den eindeutig lokalen Bezug und ist für die ­Lüneburger identitätsstiftend." Das klassische allgemeine Sortiment gegenüber dem Rathaus führte Bücher aus allen Warengruppen: "Letztlich waren wir 52 Spezialsortimente unter einem Dach. Und wir mussten schauen, dass der Kunde nicht vorzeitig abbiegt."

So kam vor zwei Jahren bei Orthey der Wunsch auf, sich in seinem Bücherangebot stärker zu fokussieren. Bei einer Bastei-Lübbe-Veranstaltung hatte er Verlagsberater Andreas Meyer kennengelernt, der über Kundenzielgruppen und das limbische System referierte. Woraufhin 2016 Meyer und sämtliche 32 Lünebuch-Mitarbeiter – Orthey: "Es war mir wichtig, dass wirklich alle eingebunden sind" – in einem Workshop der Frage nachgingen: Wer sind die Lünebuch-Kunden? Und welche Gruppen sollten noch stärker angesprochen werden?

Auch wenn Meyer seit 14 Jahren mit der Konferenz "Libri.Campus" sehr viel mit Independent-Buchhandlungen zu tun hat, war es für den Berater eine Premiere: "Mein erster Buchhandels-Workshop mit einem über die Maßen engagierten Team. Mein Job war der, den ich sonst gegenüber Verlagen oder auch außerhalb der Branche habe: radikale Zielgruppen-Fokussierung zu trainieren." Die von Meyer benutzten Tools sind branchenneutral und münden immer in der gleichen Frage: Wann ist ein Kunde begeistert?

Bei Lünebuch entschieden sich die Mitarbeiter klar für zwei Kundentypen als Zielgruppe: Anna Katharina, Mitte 30, und Barbara, die seit Kurzem im ­Ruhestand ist. Orthey selbst hätte zunächst ältere und finanzkräftigere Kunden bevorzugt, findet die Entscheidung aber klug: "Es ist letztlich sehr nachhaltig, wenn man mit Anna Katharina die Jüngeren nachzieht." Mit der Stammkundenbildung könne man meist erst ab 30 anfangen, "dann sind die Leute entschlossen, auch in der Stadt zu bleiben". Bei mehr als zwei Zielgruppen werde es unübersichtlich, erläutert Orthey, "da kann man keine klare Linie mehr erkennen". Meist erwische man aber auch ­Nebenzielgruppen, die gern so sein möchten wie die Hauptzielgruppe.

In einem weiteren Workshop einige Monate später stellten sich die Mitarbeiter mit den ­Beratern Marianne Drees und Arndt Roszinsky-Terjung die Frage: Wie muss für Anna Katharina und Barbara der perfekte Laden aussehen? "Völlig ergebnisoffen", hält Orthey fest, "wir hätten auch alle drei Stockwerke komplett auf den Kopf stellen können." Ein Ergebnis war die geschicktere Verbindung von Warengruppen: Ernährung und Gesundheit etwa, früher im ersten Stock, wurde zu Kochen ins Erdgeschoss geholt (dafür zog Lifestyle eine Etage höher). "Anna Katharina und Barbara verbinden gedanklich sehr viel mit dem Thema Kochen." Und alle Warengruppen wachsen.

So haben die Mitarbeiter immer wieder mehrere Warengruppen in einem "Zimmer" zusammengefasst. Do it yourself, Bewusster wahrnehmen, Hobby und Basteln etwa werden nun als ein ­erkennbarer Raum besser frequentiert. Und bei aller Fokussierung auf kauffreudige Frauen gibt es auch ein Zimmer, in dem sich Männer wohlfühlen, mit ­Büchern über Angeln, Sport, RWS.

Trotz klarer Regalbeschriftung und Wegweisern, so hatten die Lünebuch-Mitarbeiter festgestellt, finden sich die Kunden alleine nicht gut zurecht. "Wir alle erfassen viel eher über die Warenpräsentation und die Covergestaltung, welche Warengruppen wo stehen, als über die Regalbeschriftung", erläutert Orthey eine Erkenntnis. Über die Nah- und Fernwirkung haben sich die Sortimenter langsam herange­tastet, um die Signalwirkung auszuloten. Regale und Tische sind dabei die "schweigenden Kollegen", die den Kunden bei der Orientierung helfen: Gartenbank und Pflanzen etwa zeigen, was den Kunden in diesem "Zimmer" erwartet. Inzwischen fragen Kunden kaum noch: Wo steht denn …? "Wir haben mehr Zeit für die Beratung und müssen viel weniger umräumen, weil die Themen-Schwerpunkte gut erkennbar sind."

Dazu gehören auch höhere Bücher­stapel auf den flexibel einsetzbaren Tischen, die allesamt neu angeschafft wurden. "Bei einem ästhetisch perfekt arrangierten Tisch traut man sich kaum, ein Buch anzufassen", hat Orthey be­obachtet. Auch der gut gemeinte Aufsteller oben auf dem Stapel sei kaufabträglich: "Der Kunde möchte nicht, dass irgendetwas umfällt, das wäre ihm peinlich – also lässt er's ganz." Entscheidend ist, dass er bei jedem Ladenbesuch etwas Neues sieht: "Wenn wir die Tische respektive die Bestückung wöchentlich um 90 oder 180 Grad drehen, fallen dem Kunden an seinen gewohnten Lauf­wegen neue Titel auf, das registriert das Gehirn sofort." Der gesamte Tisch wird im Monatsrhythmus umdekoriert.

Nach wie vor gibt es keinen Zentraleinkauf, von dem Orthey auch nicht viel hält: "Wir müssen schnell reagieren, und da können meine Buchhändler doch nicht ständig den Chef fragen – wozu auch?" Jeder Buchhändler kauft eigenverantwortlich ein, ohne Budgetvorgabe, für eine natürliche Beschränkung sorgen die festgelegten Regalmeter und Präsentationsflächen. "Jeder Mitarbeiter engagiert sich doch viel mehr für die von ihm selbst verantworteten Titel als bei einem Zentraleinkauf, und Budgets sind von Natur aus immer rückwärtsgewandt, das bringt nichts. Unser klarer Vorteil ist: Wir können über jedes Buch etwas erzählen."

Die Sortimenter arbeiten zwar auch mit Bestsellerlisten, "viel entscheidender aber ist: Was will der Kunde? Wir wollen nicht an bestimmten Strukturen festhalten, nur weil sie für uns bequem sind." Dazu gehört, dass bereits auf den drei Tischen im Eingangsbereich (Belletristik, Sachbuch, Krimi) die Kunden Hardcover, Paperback und Taschenbuch durchmischt vorfinden – "und die Hardcover-Verkäufe wachsen". Verstärkt setzt das Lünebuch-Team eigene Buchempfehlungen in postkartengroßen Acrylschiebern ein; sie sind auch im Onlineshop und im Kundenmagazin zu finden.

Dass andere Buchhändler ihren Kunden vorauseilend anbieten: "Wir haben den Titel auch im Taschenbuch", versteht Orthey nicht. "Wir dürfen uns doch nicht dafür entschuldigen, dass wir gute Produkte verkaufen!" Der Kunde wolle Geld ausgeben, um sich in seiner Freizeit etwas Gutes zu tun oder um andere zu erfreuen – "im Supermarkt will er doch auch nicht die schwärzeste Banane von unten, Hauptsache billig". Gerade als Geschenk sei ein Buch persönlicher als Wein, Blumen oder Konfekt, "es ist von Dauer, ein Erinnerungsobjekt an den Schenkenden. Das alles können wir durch ansprechende Präsentation und einfühlsame Beratung beeinflussen."