Martina Bergmann über Buchhandelsengagement (4)

"Der Rest der Klasse latscht muffig hinterdrein"

8. Mai 2017
von Börsenblatt
Sich um Welttagsaktionen und Leseförderung kümmern, endlos über Bücher reden, Lesekreise empfangen, Praktikanten aller Art beschäftigen - Martina Bergmann meint, dass Buchhändler sich zu oft vor falsche Karren spannen lassen. Teil vier einer zehnteiligen Serie der Buchhändlerin und Verlegerin aus Borgholzhausen.

Leseförderung ist sehr wichtig. Es ist wichtig, dass Kinder lesen und schreiben lernen, dass sie wissen, Wahrheit ist eine komplizierte Konstruktion mit vielen Gesichtern namens Meinung. Lesen ist eine Schlüsselkompetenz, um sich dessen gewahr zu werden. Fernsehen nicht unbedingt, Internet manchmal. Und im Internet muss man ja auch wieder lesen. Also ist Leseförderung heute wichtiger denn je. Die Frage ist nur: Warum ist wird sie als Aufgabe des Einzelhandels verkauft? Warum ist der Welttag des Buches vielerorts zerflossen zu einer Variante des Weltspartags für solche, denen Buch gefällt? Und der Rest der Klasse latscht muffig hintendrein. Ich sehe die Welttags-Anthologie viel zu oft in öffentlichen Bücherschränken, um sie noch für ein sinnvolles Produkt zu halten.

Das Dilemma: Natürlich muss ich als Einzelhändler Leseförderung betreiben. Ich brauche die Grundschüler mit ihren Bedürfnissen heute, aber mehr noch als Kunden von morgen. Es ist in meinem Interesse, dass sie viel und gern lesen, dass sie Bücher kaufen. Für Kinder wird soviel Geld ausgegeben; es ist nur folgerichtig, sie mit Werbemitteln zu bedenken. Ich investiere aber lieber in den "Kilifü" als Fördervereinen und Lesegruppierungen zu spenden. Sie haben mich zu oft geärgert und dann doch dort bestellt, wo es mit der Preisbindung nicht so eng genommen wird. Und jetzt dieses Ansparen im Netz, diese Unkultur der Weitergabe von Treuepunkten: Ich könnte brüllen. Allein, es hilft nicht. Es hilft nur, sich die eigene Rolle klarzumachen. Ich bin Unternehmerin. Von dem, was ich erwirtschafte, gebe ich etwas ab, nämlich Steuern. Und mit denen soll bitte reichlich Leseförderung betrieben werden. Leseförderung des Einzelhändlers kann immer nur Marketing für sein Geschäft sein; eine wesentliche politische Aufgabe hat sie nicht. Dazu gibt es Büchereien.

Stadtbüchereien, Landbüchereien, Mediatheken und wie sie alle heißen. Ich finde die gut. Ich fand erst nicht so gut, dass unzufriedene Sortimenterinnen neuerdings vermehrt in Bibliotheken auftauchen. Aber wenn sie dort erfolgreich Leseförderung betreiben, erklärt das ja auch, warum sie im Buchhandel nicht zurechtgekommen sind. Da muss man nämlich verkaufen. Verkaufen ist nicht das, wo ich ausgiebig den Inhalt von fünf Kriminalromanen vortrage, damit der Kunde nach erheblichen Bedenken einen einzelnen Band auswählt, aber bitte nicht über zehn Euro. Verkaufen ist das, wo der Kunde erwägt, ein Buch zu kaufen und mit dreien geht. Ich muss ihn überzeugen, aber ich muss ihm weder das Lesen beibringen noch ihn zu meiner Sicht der Welt bekehren. Und ich muss ihm gelegentlich sagen: Der Service hier ist wirklich gut. Aber den gibt es nicht umsonst. Wir bestellen gern zur Ansicht, nur nicht jedes zweite Buch. Wir möchten auch nicht, dass Sie die Rücken der Taschenbücher brechen, wenn sie eine Textprobe nehmen. Das geht ohne Zerstörung.

Gar nicht so wenige Passanten halten Buchhandlungen inzwischen für Orte, an denen zum Beispiel Auskünfte erteilt und Plakate aufgehängt werden. Wo sie eine halbe Stunde an den Postkartenständern meditieren und sich dann doch nicht entscheiden. Bibliografien erstellen, Lesekreise empfangen, Praktikanten aller Art stets herzlich willkommen heißen - man kann den ganzen Tag wohltätig sein, ohne ein Buch zu verkaufen. Die Leute bedienen sich an Zeit und Fähigkeiten, als seien sie Allmende. Und diese Attitüde wird ihnen ja geradezu angetragen. Ein beliebiges Beispiel aus meinem Alltag: Wandern im Teutoburger Wald. Radeln, kraxeln, übernachten, egal was. Zu jedem Thema gibt es prallbunte Schriften, entweder günstig oder ganz umsonst, weil irgendein Gremium sich dachte - och ja, wir dienen dem Verbraucher. Klarer Fall von öffentlicher Angelegenheit. Und weil so ein Verlag ja auch nur wieder Geld verdienen will, verlegen wir einfach selbst.

Ich habe mich darüber viel geärgert - bis zu dem wirklich guten Tag, als mir ein Kunde sagte: Ich zahle gern das Doppelte, wenn man das Kartenmaterial dann auch gebrauchen kann. Ich verwander mich nicht so gern. Ach, dachte ich. Das Qualitätsargument. Dann doch. Ich begann, mich zu sortieren, ich schaute - aha, die machen das und das. Und so machen sie das. Und lustigerweise ist mindestens die Hälfte von dem Zeug bei Flyeralarm gedruckt. Bezuschusst vom Soundso-Ausschuss der XY-Behörde, aber gedruckt bei Flyeralarm. Flyeralarm ist für die Drucker, was bei den Buchhändlern Amazon ist. Man kann eigentlich nichts gegen sie sagen, sie sind halt smart. Sie funktionieren, sie machen genau den Job, den sie anbieten. Aber dass gerade die Marktteilnehmer, die nach meinem Verständnis sowieso keine sind und die, wenn sie schon produzieren müssen, das besser vor Ort erledigen sollten: Dass diese Produzenten im Netz drucken, entbehrt jeder Logik und auch übrigens basaler Umgangsformen. Es ist unethisch, um eine Lieblingsformel aus diesem Orbit zu gebrauchen. Meine Meinung über gestaltende Verwaltung und halböffentliche Betriebe war bekannt und eher nicht beliebt. Ich hatte ungefähr fünf Jahre insistiert, dass Leseförderung eine politische und eher keine händlerische Aufgabe ist, dass aber Wanderkarten nicht gratis verteilt werden müssen, weil Tourismus kein Grundrecht ist. Waldwege, ja. Wanderkarten, nein. Ich hatte mir mit dieser Einstellung durchaus Freunde gemacht, besonders im Handwerk und bei den anderen Einzelhändlern, ich hatte wahrscheinlich sogar Geld verdient, weil die Leute auf dem Land ihre Solidarität im Portemonnaie spazieren tragen. Es hätte so weitergehen können. Nebeneinander, mit kleiner Häme immer mal dort, wo es sich anbot.

Dann kamen die Flüchtlinge. Und ich wurde Verwaltungsfan. Ich meine, sie haben das gut gemacht, diese ganzen Kommunalverwaltungen hier in Ostwestfalen. Sie haben Wohnraum geschaffen, Sprachkurse organisiert, Vereine angesprochen und, auch das, den Einzelhandel wieder wahrgenommen als Partner vor Ort. Ich habe genau registriert, jeder einzelne Kühlschrank für die Unterkünfte wurde hier schräg gegenüber beim Fachhändler bestellt, örtliche Handwerker waren im Einsatz. In der Volkshochschule staunten sie, ach ja, der Buchhandel weiß was von Deutsch als Fremdsprache, von Bildwörterbüchern, der Buchhandel kann arabische Importeure ermitteln und bei den Lehrwerken nach Levels und Auflagen unterscheiden. Ich habe so viele Deutschkurse und andere Lehrbücher verkauft, dass mein Schulbuchumsatz bei KNV sich verdoppelt hat. Gut, er war nie hoch, ich habe immer viel zu viel gemeckert, um bei den Schulaufträgen überhaupt bedacht zu werden. Aber jetzt waren Flüchtlinge da, und sie sind geblieben. Sie kommen weiter, sie machen ja nicht nur Level A1. Das geht bis zu C2, habe ich gelernt, und dann kann man angeblich soviel Deutsch wie ein Abiturient von der Gesamtschule. Das möchte ich nicht kommentieren.

Es ist müßig, sich über alte Zustände aufzuregen, zumal, wenn sie verbessert sind. Aber es ist allerhöchste Zeit, dass wir überlegen, wie es mit uns selber weitergeht. Einzelhandel ist derzeit ein schwieriges Gewerbe. Die Kunden müssen nicht mehr stationär einkaufen. Ländliche Kunden wählen heute nach meinem Eindruck im Netz wie früher aus dem Quelle-Katalog. Die große bunte Welt zu mir ins Haus, weil das Angebot (vermeintlich) soviel größer ist als im Bekleidungsladen um die Ecke. Man hat also abstrakt die Technik zum Gegner, und die Technik wird alle Tage besser. Der Einzelhändler, egal, in welchem Bereich, ist dagegen ohne Chance. Er kann nur, so meine ich, das Gegenteil anbieten. Vor Ort sein, schnell, spezifisch, lösungsorientiert. Dass die vielen Flüchtlinge ein schönes Konjunkturprogramm waren, verdankt sich keinem schlagartig neuen Bewusstsein der kommunalen Einkäufer. Es musste schnell gehen. Wir Einzelhändler konnten zeigen, wer wir sind und was wir können. Wir konnten auch, und das gefiel mir daran besonders, Farbe bekennen. Wir konnten sagen, wir Einzelhändler als öffentliche Personen heben den Daumen zur Zuwanderung. Handel war immer ein Kommen und Gehen, Handel erfordert Neugier und flexibles Denken. Handel ist viel mehr als ein Kniefall vor den Endverbrauchern.

Ich meine, genau hier ist die Möglichkeit zum Geldverdienen. Menschen geben ganz gerne Geld aus, und in den lesenden Schichten ist es gerade nicht sehr knapp. Man muss seine Kunden nicht anbetteln, muss sich nicht andienen als Billigheimer von der Kultur.

Wir Sortimentsbuchhändler müssen aber zusehen, dass die in unserem jeweiligen Einzugsgebiet lebenden Buchkäufer von ihrem Konsumbudget zumindest soviel bei uns lassen, dass wir nicht aus einem kargen Erwerbsleben in absehbare Altersarmut überwechseln. Gern auch mehr. Anstatt dem hehren Ziel der allgemeinen Leseförderung hinterherzulaufen, müssen wir - jeder für sich - innovativ sein. Handel ist Wandel, Handel kann und muss gestalten. Als Einzelhändler gerade in den Randlagen und abseits der Oberzentren müssen wir Trends aufzugreifen, uns immer wieder aktualisieren. Wir müssen interessant sein. Das ist eigentlich nicht mehr als eine Rückkehr zum Einzelhandel alter Schule, zu Kompetenz, Verbindlichkeit und lokaler Verwurzelung. Man muss das nicht "vintage" nennen. Hier ist keine Buchmanufaktur, es ist und bleibt eine Buchladen auf dem Land. Wie so viele andere auch. Aber es ist eben der Buchladen, wo Wanderführer aus dem Fachverlag vorrätig sind, wo der Duden vom Bibliographischen Institut und nicht aus dem Prospekt beim Discounter kommt. Es ist ein Ort, den ich gestalte. Ich kann meinetwegen bei irgendeinem dieser Welttage vorlesen und von meinem Beruf berichten. Aber dass ich Werbemittel bezahle, die Grundschüler dutzendweise ins Altpapier entsorgen? Nein, das ist verkehrt. So geht das nicht.

Bereits erschienen: 

Martina Bergmann arbeitet einen Fachbuchklassiker durch

Wie man sich ins Gespräch bringt

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